Einkommenslimite spaltet Zürcher LinkeÜberraschende Wende im Streit um günstige Wohnungen
Die AL brüskiert die anderen linken Parteien im Gemeinderat. Der Entscheid, wer in gewissen günstigen Wohnungen leben darf, muss neu ausgehandelt werden.
Selten kommt es vor, dass politische Parteien plötzlich ihre Position komplett ändern. Die Stadtzürcher AL hat genau dies getan. Dadurch kippt sie einen wohnpolitischen Grundsatzentscheid, der während der vergangenen Tage für Aufregung gesorgt hat.
Dabei geht es um den Paragrafen 49b im Planungs- und Baugesetz. Diesen hat die kantonale Stimmbevölkerung 2014 angenommen, seit 2019 ist er in Kraft. Seither können Gemeinden bei Auf- oder Umzonungen von privaten Investorinnen und Baugenossenschaften einen Mindestanteil an preisgünstigem Wohnraum einfordern.
Die AL zieht ihre Unterstützung für eine Ausgestaltung dieses Paragrafen 49b zurück, die sie gemeinsam mit SP und Grünen vor einer Woche vorspurte. Dies verkündete die AL in einer Fraktionserklärung am Mittwoch im Gemeinderat. Und überrumpelte damit alle anderen Parteien.
Dabei geht es um die Frage, wer die günstigen Wohnungen erhalten soll, welche die Stadt aufgrund des Paragrafen 49b bei Auf- und Umzonungen einfordern kann. Der Stadtrat sah dafür ähnliche Belegungs- und Einkommensbeschränkungen vor, wie sie bereits bei städtischen Wohnungen gelten. Doch die links-grüne Allianz strich die Einkommenslimiten wieder aus der Verordnung. Zudem setzte sie Ausnahmen bei der Wohnsitzpflicht und der Mindestbelegung durch.
Dieser Entscheid wurde breit kritisiert, auch vom grünen Stadtrat Daniel Leupi. SP, Grüne und AL ermöglichten es dem Mittelstand, ärmeren Menschen günstige Wohnungen wegzuschnappen, lautete der Vorwurf.
Durch die neue Ablehnung der AL wird die umstrittene Version des Paragrafen 49b bei der Schlussabstimmung, die in einigen Wochen ansteht, keine Mehrheit mehr finden.
AL wünscht sich breitere Abstützung
Die Ratsdebatte vom vergangenen Mittwoch sei «äusserst emotional, polarisiert und teilweise unverständlich» abgelaufen, heisst es in der Fraktionserklärung der AL. Auch die AL habe nicht ihre beste politische Performance geleistet und der Polemik zu wenig entgegengesetzt. Die Bevölkerung wünsche sich eine «praktikable Umsetzung» des neuen raumplanerischen Instruments.
«Die Debatte ist auch im Nachgang völlig ausser Kontrolle geraten», sagt David Garcia Nuñez, Co-Fraktionschef der AL, auf Anfrage. Die Linke habe ihr Anliegen schlecht vermittelt. «Wir haben daraus gelernt und sind zum Schluss gekommen, dass es einen Neustart braucht.» Ein wohnpolitischer Grundsatzentscheid müsse breiter abgestützt sein.
Mit dem Nein der AL bleibt nun vorerst alles beim Alten. Die Ausgestaltung des Paragrafen 49b wird zurück an die Kommission gehen. Die AL würde sich dafür einen runden Tisch wünschen, an dem alle Beteiligten ihre Vorstellungen einbringen. «Alle sollen einen Schritt zurück machen, um die Debatte zu versachlichen», sagt Garcia Nuñez.
Kopfschütteln bei der SP
SP und Grüne hatten das AL-Manöver nicht kommen sehen. Einige ihrer Parlamentarierinnen zeigten sich irritiert, andere schüttelten den Kopf. Auf der Seite der Bürgerlichen hingegen konnten sich manche ein Lachen nicht verkneifen.
«Wir können inhaltlich noch nichts sagen, wir haben sehr kurzfristig davon erfahren», sagte SP-Co-Fraktionschef Florian Utz auf Anfrage. Die Fraktion werde die neue Ausgangslage analysieren.
Die Grünen gaben sich etwas weniger wortkarg. Und zeigten gewisses Verständnis für die AL. «Es ist ein enorm schwieriges Geschäft», sagte Matthias Probst. Die Grundhaltung der Grünen sei klar, einen runden Tisch, wie ihn die AL vorschlage, würden sie aber begrüssen. Das «komplexe Geschäft» lässt sich laut Probst durchaus verbessern, es zurück in die Kommission zu schicken, erscheine daher sinnvoll. Matthias Probst stört sich allerdings daran, dass sich die Ratsrechte aktuell als Gralshüter des gemeinnützigen Wohnungsbaus darstelle. Dabei habe die Vergangenheit gezeigt: «Gemeinnützige Wohnungen interessieren die Rechten nicht.»
Die Belegungsvorschriften für Stadt- und Genossenschaftswohnungen sind von dieser Debatte nicht betroffen. Sie bleiben, wie sie sind. Obwohl der Paragraf 49b seit drei Jahren gilt, hat er bisher kaum preisgünstige Wohnungen ermöglicht. Dies, weil es in Zürich selten zu grösseren Aufzonungen kommt.
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