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Neue Zahlen des Bundes
Grundwasser weist wieder mehr Schadstoffe auf

Ein Landwirt bringt mit seinem Gespann Gülle auf einem Feld aus. 
Foto: Philipp Schulze (Keystone) 
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Ohne Dünger sähe die Welt etwas anders aus. Dank ihm können Pflanzen besser wachsen, es winken höhere Ernteerträge. Die Rückstände belasten aber die Gewässer und letztlich das Trinkwasser. Zum Beispiel Nitrat. Und hier weist der Pfeil im zweiten Jahr in Folge nach oben, wie jüngst publizierte Zahlen des Bundesamts für Umwelt (Bafu) zeigen.

2019 registrierten die Fachleute an 14 Prozent der 545 Messstellen im Grundwasser Nitrat-Konzentrationen über dem Grenzwert von 25 Mikrogramm pro Liter; das sind über 2 Prozentpunkte mehr als beim bisherigen Tiefstand 2017. Betroffen ist vor allem das Mittelland mit seinem Acker- und Gemüsebau; hier verzeichnen fast 30 Prozent der Messstellen zu hohe Werte. Das Bafu will die Daten bis im Herbst vertieft analysieren.

Die Publikation der Daten fällt in eine politisch heisse Phase: Am 13. Juni kommt die Trinkwasserinitiative an die Urne. Die Bauern sollen laut Initiativtext künftig nur noch so viele Tiere halten dürfen, wie sie «mit dem auf dem Betrieb produzierten Futter» ernähren können. Das Volksbegehren will so die Zahl der etwa 15 Millionen Nutztiere im Land stark senken – und damit auch die Düngermenge. Gelangt mehr Gülle oder Mineraldünger auf die Felder, als die Pflanzen aufnehmen können, wird der überschüssige Stickstoff in Form von Nitrat aus dem Boden ausgewaschen und gelangt ins Grundwasser. Die Zunahme der Grenzwertüberschreitungen deutet darauf hin, dass sich das Problem verschärft hat.

Dem ist aber nicht so, wie das Bafu klarstellt. Nach einer Abnahme in den 1990er-Jahren liegt der Stickstoffüberschuss seit 20 Jahren bei etwa 100’000 Tonnen pro Jahr. «Die Schwankungen der Nitrat-Konzentration und die Entwicklung der landwirtschaftlichen Praxis in den letzten Jahren lassen sich nicht korrelieren», sagt Bafu-Sprecherin Rebekka Reichlin. Die leichte Zunahme 2018 und 2019 sei «am wahrscheinlichsten» klimatisch bedingt, lagen die Niederschlagsmengen insbesondere im Mittelland in diesen Jahren doch deutlich unter dem langjährigen Mittel. In der Folge sanken die Grundwasserstände vielerorts, gleichzeitig stiegen die Nitrat-Konzentrationen an. Auch der Spitzenwert im Jahr 2006 lässt sich wohl so erklären: als Folge der Trockenheit 2003 und 2005.

Das Düngerproblem – und das ist die andere Seite – hat sich aber auch nicht entschärft. Landwirte können dank importierter Futtermittel mehr Nutztiere halten, zudem verwenden sie nebst hofeigenem Dünger auch zugekauften. «Die Politik weiss seit Jahrzehnten, dass so enorme Gülleüberschüsse produziert werden», sagt Franziska Herren, Promotorin der Trinkwasserinitiative. Die Folgen seien drastisch. Herren spricht von schwindender Biodiversität und künstlich beatmeten Seen. «Doch nichts wird dagegen unternommen.»

«Mit einer simplen Reduktion der Tierbestände ist der Umwelt wenig bis gar nicht geholfen.»

Markus Ritter, Schweizer Bauernverband

Das gegnerische Lager widerspricht. Ein Tier brauche heute deutlich weniger Futter für die gleiche Leistung wie noch vor zehn Jahren, sagt Markus Ritter, Präsident des Bauernverbands. Die Landwirtschaft habe ihre Nährstoffeffizienz in den vergangenen Jahrzehnten laufend verbessert, im Tierbereich, aber auch im Pflanzenbau. «Mit einer simplen Reduktion der Tierbestände ist der Umwelt wenig bis gar nicht geholfen.» Was er meint, illustriert Ritter anhand eines «Zielkonflikts», den er aus gesellschaftlichen Ansprüchen erwachsen sieht: Einerseits sollen sich die Schweizer künftig deutlich mehr pflanzlich ernähren, auch sollen die Bauern mehr Gemüse und Hülsenfrüchte anbauen. Andererseits weise just diese Landnutzung die stärksten Nitratverluste auf, am wenigsten dagegen Grasland mit Nutztieren. «Was soll die Landwirtschaft nun tun?», fragt Ritter.

Das Beispiel zeigt, wie komplex die Fragestellungen sind, welche die Volksinitiative aufwirft. Dem Parlament geht das Begehren zu weit. Es hat aber eine Art inoffiziellen Gegenvorschlag ausgearbeitet. So will es die Nährstoffverluste bis 2030 «angemessen» reduzieren, freilich ohne quantifizierte Reduktionsziele. Zudem will es den Schutz der Zuströmbereiche für Grundwasserfassungen stärken, also jener Flächen, wo das Regenwasser versickert und dabei Schadstoffe wie Nitrate aufnimmt. Allerdings besteht noch kein Konsens über das Tempo dieser Trinkwasserschutz-Vorlage. Das Parlament will diese Differenz in der laufenden Session bereinigen.

Bund relativiert Warnung der Initianten

Ungeklärt ist ein anderer wichtiger Punkt. Heute müssen die Bauern anhand einer Nährstoffbilanz belegen, dass kein überschüssiger Stickstoff ausgebracht wird. Abweichungen bis zu 10 Prozent über dem Bedarf der Kulturen sind aber erlaubt. Der Bundesrat will diese Toleranz streichen. Damit könnten die Nährstoffverluste wirksam und ohne administrativen Aufwand massgeblich reduziert werden, sagt Florie Marion vom Bundesamt für Landwirtschaft. Der Ständerat dagegen will die Toleranz weiterhin gewähren. Der Nationalrat wird sich in der Sommersession dazu äussern – kurz vor oder nach der Volksabstimmung.

Der Abstimmungskampf nimmt derweil an Fahrt auf. Initiantin Herren warnt, Nitrat im Trinkwasser erhöhe auch unterhalb des Grenzwerts die Darmkrebs-Gefahr. Die Fachleute des Bundes relativieren: Die vorliegenden Studien seien mit einigen Schwächen behaftet. Aufgrund der vorliegenden Daten könne ein «kleiner Beitrag» zum Dickdarmkrebsrisiko nicht ausgeschlossen werden, heisst es beim Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen. Andere Faktoren seien jedoch bedeutender, etwa fehlende Bewegung oder Rauchen.