Grosses Ziel an der WM Jetzt turnt für die Schweiz eine neue, aufregende Generation
Zum dritten Mal in Folge wollen sich die Schweizer für Olympia qualifizieren – doch die alte Garde ist nicht mehr da. Höchstschwierigkeiten sollen den Erfolg bringen.

An sich blickt die Turnwelt ab Samstag gebannt nach Antwerpen, wo sich an der Weltmeisterschaft die Besten der Besten messen. Aber sobald im Sportpaleis das Magnesium stäubt und der Schweiss fliesst, dürfte in so manchem Kopf eine andere Stadt herumgeistern: Paris. Denn an der WM entscheidet sich, wer im kommenden Sommer an den Olympischen Spielen teilnehmen kann.
Im Teamwettkampf ist dafür ein Top-12-Platz nötig. Und Noe Seifert, Christian Baumann, Luca Giubellini, Taha Serhani und Florian Langenegger sollen für die Schweiz genau das schaffen. «Natürlich ist das ein hohes Ziel», sagt der frühere Spitzenturner und heutige Nationaltrainer Claudio Capelli. «Aber wir haben sehr gute Athleten, macht jeder von ihnen seinen Job, stehen unsere Chancen gut.»
Es wäre die dritte Olympia-Qualifikation in Folge – etwas, das den Schweizer Kunstturnern letztmals vor rund einem halben Jahrhundert gelungen ist (1968 Mexiko-Stadt, 1972 München, 1976 Montreal). Das macht das Vorhaben bereits speziell. Hinzu kommt, dass sie dieses mit einer relativ unerfahrenen Equipe bewerkstelligen wollen.
Ein goldenes Jahrzehnt
2014 hatten sich Oliver Hegi, Pablo Brägger, Benjamin Gischard, Eddy Yusof und Christian Baumann an der Weltmeisterschaft in Nanning (CHN) für den Final der besten acht qualifiziert – es sollte der Auftakt in ein goldenes Jahrzehnt werden. Zwei Jahre später holten sie an der EM 2016 in Bern als Dritte die erste Team-Medaille an einer EM überhaupt für die Schweiz.
Weiter ging es im selben Jahr an die Olympischen Spiele nach Rio – erstmals seit 1992 turnte wieder ein Schweizer Ensemble auf der grössten aller Bühnen, wobei es den Final als Neunte knapp verpasste. Diesen holten die Schweizer 2021 in Tokio mit dem 6. Platz nach. Dazwischen qualifizierten sie sich viermal en suite für einen WM-Final.
Doch mit den Reck-Europameistern Hegi und Brägger sind zwei der besten Schweizer Turner der Geschichte zurückgetreten, Gischard hat sich jüngst schwer am Knie verletzt, Yusof kämpft mit chronischen Rückenproblemen. Vom Erfolgsquintett turnt in Antwerpen nur Baumann, der nach Operationen am linken Ellbogen und an der linken Hand zum ersten Mal seit 2021 wieder einen Grossanlass bestreitet. «Er befindet sich zwar noch nicht ganz in seiner alten, aber in einer guten Form», sagt Capelli.
Der Berner mag nicht zurückschauen, mögen die Erfolge noch so schön gewesen sein. «Für ein so kleines Land wie die Schweiz ist es schwierig, wieder eine solche Generation von Spitzenturnern hinzubekommen», sagt er. «Aber wir haben nun in Antwerpen ein interessantes Team am Start.»
Teamleader mit Potenzial, aber …
Vor einem Jahr erlitten die Schweizer an der WM in Liverpool als 20. und nach einem Sturzfestival einen Absturz. Wobei die Equipe damals aufgrund diverser Absenzen geschwächt antrat. An der EM in Antalya im April zeigte sie dann ein ganz anderes Gesicht, wobei die 20-jährigen Giubellini (6. im Sprung) und Langenegger (7. Mehrkampf) bei ihrer Premiere an einem Grossanlass gleich überzeugten. Als Vierte verpasste das Team eine Medaille nur um sechs Zehntel.
Langenegger habe Qualitäten, die er bei einem Turner in diesem Alter noch selten gesehen habe, rühmt Capelli. «Sein Auftritt in Antalya war unglaublich, je länger der Wettkampf dauerte, desto besser wurde er.» Giubellini derweil ist mit seiner Darbietung am Sprung (Überschlag mit Doppelsalto und halber Drehung) bereits ein sicherer Wert. Obwohl es sich um sein WM-Debüt handelt, gibt er sich erstaunlich gelassen. «Ich vertraue darauf, dass sich das viele Training auszahlt. Und ich weiss, dass ich ein Team habe, das mir den Rücken stärkt», sagt Giubellini.
Der wichtigste Turner im Schweizer Ensemble ist jedoch Noe Seifert. Der 24-jährige Aargauer verfügt über ein immenses Potenzial, das hat er kürzlich an der Schweizer Meisterschaft wieder gezeigt. Trotz zwei Stürzen holte er den Mehrkampf-Titel überlegen. Mit seinem Abgang am Reck – einem Dreifach-Salto – ist er gar in der Lage, eine WM-Medaille zu gewinnen. Aber die ganze Sache hat einen Haken: Seifert unterlaufen im Wettkampf immer wieder Fehler. «Er ist einer der besten Mehrkämpfer der Welt, aber das muss er nun auch einmal zeigen», fordert Capelli.
Seifert weiss das nur zu gut. Diese Stürze würden ihn am meisten nerven, sagt er. «Aber aufregen darf ich mich darüber nicht zu lange.» Er führt die Unsicherheiten auch darauf zurück, dass er wegen Rückenproblemen derzeit am Reck Übungen nicht so oft wiederholen kann. Um das Olympia-Ticket zu holen, sind die Schweizer aber darauf angewiesen, dass ihr bester Turner liefert. Denn: Sollte ein Sturz in die Wertung kommen, dürfte es mit Paris schon knapp werden.
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