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Meinung

Griechenland ist konservativer als seine Regierung

Viele Griechen haben sein Versprechen nicht vergessen: Einst wollte Alexis Tsipras die Sparpakete «zerreißen» – dann setzte er sie doch um. Foto:
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Für den Wahlsonntag in Griechenland gibt es eine Warnung der Meteorologen. Sie rechnen mit grosser Hitze. Parlamentswahlen im Juli, in der Ferienzeit, gab es noch nie seit dem Ende der griechischen Diktatur, also seit 45 Jahren. Die Gluthitze ist ein Politikum, weil sie Menschen dazu bringt, das Haus nicht zu verlassen oder an den Strand zu eilen. Deshalb kommt eine zweite Warnung von Kyriakos Mitsotakis, dem Chef der konservativen Partei Nea Dimokratia (ND), dem alle Meinungsumfragen einen Erdrutschsieg am Sonntag vorhersagen. Sie lautet: Nichts ist sicher.

Die Konservativen fürchten eine niedrige Wahlbeteiligung und ein zersplittertes Parlament mit vielen Kleinparteien; das könnte Mitsotakis, wenn nicht den Sieg, so doch die absolute Mehrheit kosten. Schon seit der Europawahl und den Kommunalwahlen im Mai ist die ND der Favorit, deshalb hat Regierungschef Alexis Tsipras die Reissleine gezogen und Wahlen im heissen Juli angesetzt. Tsipras und seine Linkspartei Syriza sind seit Anfang 2015 an der Macht. Sie haben länger durchgehalten als alle Krisenregierungen davor. Wenn der linke Premier nun tatsächlich Platz machen muss, dann hat dies paradoxerweise auch mit seinen Erfolgen zu tun.

Keine Visionen, wie es nach dem grossen Aufatmen weitergehen soll

Griechenland konnte im August 2018 das internationale Hilfsprogramm verlassen. Das Land ist zwar weiter hoch verschuldet, und die Kontrolleure der EU schauen immer noch häufig in Athen vorbei, aber das Ende der Spardiktate sorgte für ein grosses Aufatmen. Tsipras sprach von «Befreiung», und viele sahen das so. Die Wirtschaft wächst wieder, wenn auch langsam, das Land ist erneut kreditwürdig. Aber viele Griechen haben nicht vergessen, dass Tsipras ihnen einst einen viel weniger beschwerlichen Weg versprach, als er die Sparpakete noch «in der Luft zerreissen» wollte.

Syriza ist es zudem nicht gelungen, eine Vision für Griechenland nach dem Ende der Hilfsprogramme zu entwerfen. Wie kann das Land attraktiver für Investoren werden, und auch für die 430'000 jungen Griechen, die seit 2008 ausgewandert sind? Was soll mit den Universitäten geschehen, die so viele Akademiker ausbilden, für die nur Billigjobs bleiben? Mit der kaputten Infrastruktur? Gerade wird viel über Krankenhäuser geklagt, in denen die Klimaanlagen fehlen.

Mitsotakis hat keine Wunderrezepte, und er wird seine Versprechen – Steuersenkungen zum Beispiel – nur erfüllen können, wenn die EU die Fesseln lockert. Der Haushaltsüberschuss von 3,5 Prozent, den Athen bis 2022 erwirtschaften muss, ist ein allzu enges Korsett, zumal das Wachstum bislang hinter den Erwartungen zurückgeblieben ist.

Tsipras' grösster Erfolg war ein aussenpolitischer: die Beendigung des jahrzehntelangen Streits mit dem Nachbarland Mazedonien um den Staatsnamen. Nordmazedonien wurde so der Weg in die EU eröffnet. Dass die EU nun mit der Umsetzung ihres Versprechens an Skopje zögert, ändert nichts an der Bedeutung des Durchbruchs für Griechenland. Tsipras, erst 44, handelte frei von alten, ideologischen Scheuklappen. Mitsotakis kann es ihm danken, sollte er Premier werden, seine ND hat heftigen Widerstand geleistet. Wählerstimmen hat dies Tsipras aber nicht gebracht. Das Volk ist konservativer als seine gegenwärtige Regierung.