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Politikverbot für Mütter
GLP-Nationalrätin muss Mutter­schafts­geld zurückzahlen

«Eine groteske und diskriminierende Praxis»: Kathrin Bertschy ärgert sich über das Bundesgericht.
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«Ich bin überrascht und enttäuscht.» Kathrin Bertschy ist am Telefon spürbar betroffen. Die Berner GLP-Nationalrätin hält ein Bundesgerichtsurteil in den Händen. Es verfügt letztinstanzlich, dass Bertschy Mutterschaftsgeld zurückzahlen muss.  

Die Begründung des Gerichts: Bertschy habe im März 2019 – wenige Wochen nach Geburt ihrer Tochter – im Nationalrat abgestimmt und damit ihren Mutterschaftsurlaub abgebrochen. Nachher bezogene Taggelder für ihre freiberufliche Arbeit muss sie deswegen zurückerstatten, obwohl sie diese Berufstätigkeit gar nicht aufgenommen hat. 

Politik ist Arbeit

Parlamentstätigkeit sei eine «umfassende Arbeitsleistung», argumentiert das Bundesgericht. Das Erwerbsersatzgesetz schreibt vor, dass der Anspruch auf die 14 Wochen Mutterschaftsentschädigung endet, sobald eine junge Mutter die Arbeit wieder aufnimmt. 

«Parlamentarierinnen im Mutterschaftsurlaub ist es damit faktisch untersagt, ihre demokratischen Rechte wahrzunehmen», sagt Bertschy. «Denn obwohl sie nicht arbeiten, müssen sie auf den Erwerbsersatz verzichten – nur weil sie im Ratssaal auf einen Knopf drücken.»  

Im Fall von Bertschy ist das zwar nur «ein tiefer vierstelliger Betrag», wie sie sagt. Der Grossteil ihres Einkommens stammte damals aus der Parlamentsarbeit. «Mir geht es aber um all die Frauen, die in Kantonsparlamenten politisieren.» Für diese bedeute das Urteil einen massiven Einkommensverlust. «Es ist unhaltbar, wenn Parlamentarierinnen in einer Demokratie gezwungen werden, sich zwischen ihren politischen Rechten und ihrem Einkommen zu entscheiden – einfach, weil sie Mütter geworden sind.»

Auf diese staatsrechtlichen und demokratiepolitischen Argumente ging das Bundesgericht aber gar nicht ein. Es urteilte allein nach dem Buchstaben des Erwerbsersatzgesetzes. Der Frauendachverband Alliance F prüft deshalb, das Urteil an den Menschenrechtsgerichtshof in Strassburg weiterzuziehen. Bertschy ist Co-Präsidentin des Verbands.

Gesetzesänderung angestossen

Schützenhilfe erhalten die Frauen ausgerechnet vom ehemaligen Direktor des Bundesamts für Sozialversicherungen. Der heute als Jurist tätige Jürg Brechbühl hat dazu eine ausführliche Abhandlung verfasst. Er kommt zum Schluss, an einer Parlamentssitzung teilzunehmen, sei keine Erwerbsarbeit. Es gehe dabei einzig «um die Erfüllung eines demokratischen Auftrags, den die Parlamentarierinnen von ihren Wählerinnen und Wählern erhalten haben».

Die Frauen kämpfen noch auf einem anderen Weg. Vier Kantone haben Standesinitiativen eingereicht, um die nötigen Gesetzesänderungen voranzutreiben. Die zuständigen Kommissionen haben diese Initiativen bereits zur Behandlung im Parlament weitergeleitet. Kathrin Bertschy ist überzeugt, dass nach dem Bundesgerichtsurteil nun halt eine politische statt eine rechtliche Klärung erfolgt: «Diese groteske und diskriminierende Praxis muss beendet werden.»