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Das Ende einer Verklärung
Giacomo Casanova, der Mörder und Vergewaltiger

Zu lange habe man sich von Casanovas Selbstinszenierungen blenden lassen, argumentiert der Harvard-Historiker Leo Damrosch.
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Was für ein Mann, was für ein Leben, was für Widersprüche. Giacomo Casanova (1725–1798), der venezianische Lebemann, wollte Priester werden, trat als Offizier auf, Wahrsager, Musiker, Mathematiker, Unternehmer, Spieler, Spion.

Er wurde im Duell verletzt, musste mehrmals ins Gefängnis, entkam. Er reiste durch ganz Europa, von Warschau bis London, von Barcelona bis St. Petersburg. Er war ein Schwindler und Schmeichler, ein Intellektueller und Causeur. Ein Adliger, wenn auch nur in seiner eigenen Wahrnehmung. Ein geistreicher Debattierer, der Katharina die Grosse kannte, Voltaire und Benjamin Franklin.

Und er hinterliess die auf Französisch verfasste, vor Vitalität explodierende «Histoire de ma vie», die bis heute als Dokument der Aufklärung und als Sittengemälde des 18. Jahrhunderts gelesen wird. Und natürlich, ganz in seinem Sinne, als 700-seitige Feier der Sinnlichkeit. Inklusive der 120 Affären, die der Unermüdliche rapportiert. Mit Müttern und Töchtern, Frauen und Mädchen, Adligen und anderen, Nonnen und Nutten, am liebsten mit mehreren Frauen aufs Mal.

Nach Weinstein neu gelesen

Nicht alle Nachgeborenen waren von ihm so beeindruckt wie er von sich selber. «Spiele Casanova so, dass ich dich hassen kann», sagte ein Regisseur zu seinem Schauspieler. Der Regisseur hiess Federico Fellini, dessen Filmporträt nichts von seiner perversen Ambivalenz eingebüsst hat. Sein Hauptdarsteller war der kanadische Schauspieler Donald Sutherland, der die Intelligenz, Lüsternheit und dekadente Gier der Figur meisterhaft zu kombinieren wusste. Als sein Casanova gegen Ende des Filmes mit einer Puppe tanzt, kommt noch die Einsamkeit eines Mannes dazu, der alles totmacht, was er begehrt.

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Fellinis Durchdringung des venezianischen Libertärs erweist sich als hellsichtig. Das zeigt eine neue, von Leo Damrosch verfasste Biographie. Damrosch ist emeritierter Professor für Literatur mit Schwergewicht 18. Jahrhundert. Und er liest Casanova sozusagen post-Weinstein – aber nicht säuerlich oder rechthaberisch, sondern souverän, inspiriert, bewundernd und zugleich kritisch, leidenschaftlich. Und brillant schreiben kann er auch.

Ihm war es egal, warum sich die Frauen und Kinder prostituieren mussten, die er penetrierte.

Zu lange, argumentiert der Amerikaner, habe man sich von den Inszenierungen von «Histoire de ma vie» blenden lassen und den Behauptungen ihres Autors geglaubt, wonach alle Frauen dasselbe freiwillig von ihm wollten wie er von ihnen. Zu schwärmerisch hätten selbst Feministinnen Casanova als Frauenversteher gefeiert, weil er seinen Geliebten dasselbe Recht auf die Lust einräumte, wie er es von ihnen einforderte.

Sex mit elfjährigen Mädchen

Das stimme zwar alles, lasse aber die Frage offen, ob Casanovas Frauen dieselben Freiheiten genossen hätten, die er sich selber zugestand. Der Biograf bezweifelt das entschieden. Und bringt in seiner ausführlichen und aufgrund der neusten Quellenlage recherchierten Biografie die düsteren Seiten des Masslosen zum Leuchten.

Damrosch entlarvt Casanova als rücksichtslosen sexuellen Egoisten, der mit elfjährigen Mädchen Sex hatte und sogar mit einer seiner Töchter; der kein Kondom benützte und dafür seine Geschlechtskrankheiten weitergab; der bei Massenvergewaltigungen mitmachte und behauptete, die Frauen hätten diese genossen; der sich nie um eine Geliebte kümmerte, wenn sie ihn nicht mehr interessierte; der nichts für die vielen Kinder tat, die er gezeugt hatte; dem es egal war, warum sich die Frauen und Kinder prostituieren mussten, die er penetrierte; und der selbst an der indirekten Ermordung einer Nonne durch Unterlassung beteiligt war, auf deren Tod er ohne einen Anflug von Schuld reagierte.

Wie sollte er auch? Er war so verliebt in sich.