Israelische Geheimdienstler redenGezielte Tötungen haben Intifada nicht verhindert
70 Jahre nach der Gründung des israelischen Geheimdienstes Mossad ziehen drei ehemalige Chefs kritisch Bilanz.
Geheimdienstchefs sind normalerweise verschwiegen – auch wenn sie nicht mehr im Amt sind. Aber zum 70. Geburtstag einer Institution wie dem berühmt-berüchtigten israelischen Geheimdienst Mossad kann man schon einmal eine Ausnahme machen. Gleich drei frühere Mossad-Chefs gaben zum Fest Interviews. Und Nahum Admoni, Danny Yatom und Tamir Pardo gaben nicht nur Anekdoten preis, sondern gestanden sogar Fehler ein. Ausserdem äusserten sie sich freimütig über eine umstrittene Praxis, über die Einsatzkräfte und Geheimdienstleute sonst erst recht schweigen: gezielte Tötungen.
Die Ermordung einer Person wird als eine Reaktion auf einen Angriff oder Anschlag gerechtfertigt oder als Vorsichtsmassnahme angeordnet, um geplante Attentate zu verhindern. Dazu gehören Operationen während militärischer Einsätze wie dem Gazakrieg oder solche während des Palästinenseraufstandes, der Intifada.
Der Mossad war aber auch im weiter entfernten Ausland aktiv: Es gibt gezielte Tötungen, die israelischen Agenten im Nahen Osten, in Asien, Afrika und auch in Europa zugeschrieben werden. Laut israelischen Medien sollen es insgesamt 50 bis 60 Tötungen sein. Ins Visier genommen wurden Politiker, Wissenschaftler und Anführer geheimer Organisationen.
Unschuldigen Kellner erschossen
Nur in den seltensten Fällen bekennt sich Israel zu einer solchen Tat, vor allem dann, wenn eine Warnung damit verbunden ist – oder etwas schieflief. So hat Israel sein Bedauern über den Tod von Ahmed Bushiki ausgedrückt und 400’000 Dollar an seine Familie gezahlt. Der aus Marokko stammende Kellner war 1973 auf offener Strasse im norwegischen Lillehammer erschossen worden. Er war mit Ali Hassan Salameh verwechselt worden, der als Drahtzieher des Attentats auf die Olympischen Spiele in München 1972 galt, bei dem elf israelische Geiseln getötet wurden. Beteiligte Akteure haben auch den Anschlag auf den Hizbollah-Führer Abbas Musawi 1992 in Libanon eingestanden.
Zu jenen Fällen, die am meisten Aufsehen erregten, gehörte die Ermordung von Khalil al-Wazir, bekannt unter dem Namen Abu Jihad. Er war der Stellvertreter des damaligen Palästinenserführers Yassir Arafat, mit dem er die PLO gegründet hatte. Abu Jihad wurde 1988 in Tunis getötet. Erst 25 Jahre später gestand Israel die Tat ein – und auch nur deshalb, weil einer der beteiligten Kommandanten die Hintergründe publik gemacht hatte.
Israel warf Abu Jihad eine Serie tödlicher Anschläge vor, darunter den Angriff auf einen Bus 1978, bei dem 38 Israelis getötet wurden. Ende 1987 soll er die erste Intifada in den palästinensischen Gebieten organisiert haben. «Im Rückblick glaube ich nicht, dass die Tötung von Abu Jihad irgendetwas am Kurs der Intifada geändert hat», sagt nun der inzwischen 91-jährige Nahum Admoni, der den Mossad zwischen 1982 und 1989 geleitet hatte. «Es gab Tötungsoperationen, die es wert waren. Einige von denen waren es nicht wert. Andere wiederum haben gar nichts gebracht.»
«Sie haben die Person beseitigt, aber nicht das Problem.»
Auch Tamir Pardo, der den Mossad zwischen 2011 und 2016 leitete, sieht die gezielten Tötungen kritisch. Man komme zum Ergebnis, «wenn man das Thema über viele Jahre beurteilt, dass der strategische Wert dieser Methode begrenzt zu sein scheint».
1997 musste Ministerpräsident Benjamin Netanyahu zugeben, dass Mossad-Agenten versucht haben, den Chef des Politbüros der radikalislamischen Hamas, Khalid Mashal, in Jordanien mit Gift umzubringen. Auch das sei ein Fehler gewesen, gesteht der damalige Mossad-Chef Yatom ein, wenngleich er versichert: «Der Mossad hat den Angriff nicht empfohlen.» Allerdings wolle er sich nicht aus der Verantwortung stehlen. Er hätte versuchen können, Netanyahu von dem Plan abzubringen.
Mindestens 3000 Menschen getötet
Der israelische Journalist Ronen Bergman, der über tausend Interviews für sein 2018 erschienenes Buch «Der Schattenkrieg. Israel und die geheimen Tötungskommandos des Mossad» geführt hat, kennt die drei Ex-Geheimdienstchefs persönlich. Für ihn war daher «nichts wirklich neu» an deren Aussagen – mit einer Ausnahme: dass Admoni die Tötung von Abu Jihad offen als Fehler bezeichne. Er stimmt Admonis Bewertung zu, dass dies nichts an der Intifada geändert habe. «Sie haben die Person beseitigt, aber nicht das Problem. Und das aus falschem Grund.» Denn Abu Jihad soll gar kein führender Organisator der Intifada gewesen sein.
Laut Bergmans Recherchen hat der Mossad bei all seinen Operationen mindestens 3000 Menschen getötet, darunter nicht nur die Zielpersonen, sondern auch Unschuldige, die zur falschen Zeit am falschen Ort gewesen sind. Allein während der zweiten Intifada gab es laut Bergman Tage, an denen vier bis fünf «gezielte Tötungen» angeordnet worden waren, zumeist Mitglieder der Hamas.
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