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Vermisste Kinder in Kolumbien
Geschwächt, dehydriert – aber am Leben

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Am Ende gab es doch noch das Wunder, auf das niemand mehr zu hoffen gewagt hatte: In Kolumbien haben Mitglieder einer Spezialeinheit der Armee und Angehörige indigener Stämme bei einer gemeinsamen Suchaktion im tiefsten Dschungel vier vermisste Kinder gefunden. Die Geschwister, von denen die älteste 13 Jahre alt ist, die Jüngste gerade ein Jahr, waren nach einem Flugzeugabsturz fast eineinhalb Monate lang alleine durch den Dschungel geirrt.

Fieberhaft hatten die Armee und indigene Helfer nach ihnen gesucht. Immer wieder waren sie dabei auch auf Spuren der Kinder gestossen: gebrauchte Windeln, Haargummis, eine Schere, selbstgebaute Hütten aus Zweigen und Blättern. Doch mitten im undurchdringlichen und kaum überschaubaren Urwald gestaltete die Suche sich als äusserst schwierig. Nun hat sie ein Ende.

«Ein Wunder! Ein Wunder! Ein Wunder!», meldete ein Mitglied des Suchtrupps am Freitag. Die Kinder seien gefunden worden, dehydriert, entkräftet, zerstochen von Insekten – aber: am Leben. «Eine grosse Freude für unser ganzes Land!», schrieb der kolumbianische Präsident Gustavo Petro nach Bekanntwerden der Nachricht am Freitagabend auf Twitter. Darunter sah man ein Bild des Suchtrupps zusammen mit einigen der Kinder, gehüllt in wärmende Planen.

Soldaten und indigene Männer kümmern sich im Dschungel von Solano um die vier Geschwister.

Wie die Geschwister es geschafft haben, vollkommen auf sich allein gestellt für 40 Tage in der Wildnis zu überleben, ist noch nicht bekannt. Die Kinder stammen aus einer indigenen Gemeinschaft und zumindest das älteste Mädchen, die 13- jährige Lesly, wusste laut Aussagen ihrer Grossmutter offenbar, welche Pflanzen essbar sind im Dschungel und welche nicht. Auch die zweitälteste Schwester, die neunjährige Solecni, soll nach Informationen kolumbianischer Medien geholfen haben, das Baby und den vierjährigen Bruder zu versorgen.

Die Soldaten und Indigenen fanden auf der Suche nach den Kindern auch Spuren angebissener Früchte, Maracujas etwa, und Reste von Kokosnüssen. Ausserdem hatte die Armee nach eigenen Angaben mehr als hundert Essenspakete über dem Gebiet abgeworfen, einige von ihnen sollen die Kinder gefunden haben.

«Mayday, Mayday! Das Triebwerk hat mich wieder im Stich gelassen!»

Am 1. Mai waren die Geschwister zusammen mit ihrer Mutter und zwei weiteren Personen in einem abgelegenen Dorf im kolumbianischen Amazonasgebiet in ein Kleinflugzeug gestiegen. Auf dem Weg in die nächstgrössere Stadt meldete dies bereits kurz nach dem Start technische Probleme. «Mayday, Mayday! Das Triebwerk hat mich wieder im Stich gelassen», funkte der Pilot. Die Flugsicherung verfolgte noch, wie das Flugzeug eine Rechtskurve flog. Dann verschwand es vom Radar. Der Pilot soll versucht haben, in einem Fluss notzulanden, dabei soll die Maschine jedoch gegen einen Baum geprallt sein.

Es begann eine verzweifelte Suchaktion in einer der abgelegensten Regionen von Südamerika. Fast zwei Wochen dauerte es allein, bis eine Spezialeinheit das Wrack des Flugzeugs aufgespürt hatte. Sie fanden die Leichen der drei Erwachsenen, nicht aber die der vier Kinder. Bald tauchten dazu noch weitere Hinweise auf, dass die vier Geschwister noch am Leben waren und durch den Wald irrten, etwa Fussabdrücke im Schlamm.

Die abgestürzte Cessna 206, Baujahr 1982.

Die Suche nach den Kindern verwandelte sich bald auch zu einem Medienereignis, gebannt verfolgt von Millionen vor dem Fernsehschirm und im Internet. «Operation Hoffnung», wurde die Suche genannt. Nun hat sie ein glückliches Ende gefunden. Die Kinder werden allerdings noch lange brauchen, um die überstandenen Schrecken zu verarbeiten. Sie müssen nicht nur die Zeit im Dschungel, die Entbehrungen und überstandenen Gefahren seelisch bewältigen, sondern auch den Tod der Mutter, die beim Flugzeugabsturz ums Leben gekommen war.

«Ich möchte sie jetzt einfach sehen», sagt der Grossvater

Die Kinder hatten es schon schwer, bevor sie überhaupt ins Flugzeug stiegen. Die Familie war nach Angaben des Vaters in ihrem Heimatdorf von illegalen Banden bedroht worden; in Kolumbien ist das abseits der grossen Städte keine Seltenheit. Der weltweit beachtete Friedensschluss mit den FARC-Rebellen vor nunmehr sieben Jahren hat daran nichts geändert – und das dürfte auch für den neuerlichen Waffenstillstand gelten, den Präsident Gustavo Petro am Freitag mit der zweitgrössten Guerilla, der ELN, vereinbarte. Splittergruppen der Rebellen und rechte Banden drangsalieren nach wie vor die ländliche Bevölkerung, und die Polizei ist in manchen Gegenden praktisch abwesend.

Der Vater der Familie hatte sein Heimatdorf nach eigenen Angaben wegen der Bedrohungen im Frühjahr verlassen, mit dem Kleinflugzeug sollte seine Familie ihm hinterher reisen. Solche Kleinflugzeuge sind in den mit nahezu undurchdringlichen Wäldern überzogenen Regionen Kolumbiens oft die einzige Möglichkeit, um grössere Strecken zurückzulegen. Doch das Unternehmen endete auf halber Strecke in einer Tragödie – wohl auch, weil die Maschine, eine Cessna 206, Baujahr 1982, überaltert war und nicht ordentlich gewartet wurde. Medienberichten zufolge war das Flugzeug vor zwei Jahren schon einmal abgestürzt und danach nur stümperhaft repariert worden.

Inzwischen wurden die Geschwister in ärztliche Betreuung gegeben, erst in der nahe gelegenen Stadt San José del Guaviare. Danach wurden sie in die Hauptstadt Bogotá geflogen; Bilder von dort zeigen, wie die sichtlich geschwächten Kinder auf Tragen über das Rollfeld geschoben werden.

Ankunft in Bogotá: Die Kinder werden auf Tragen über das Rollfeld gefahren.

Präsident Gustavo Petro sagte, die Kinder seien ein «Beispiel für den Willen zu überleben» und dass sie in die Geschichte eingehen würden. «Wir sind unendlich froh», sagte ein Onkel der Kinder der Nachrichtenseite Semana. «Das ist ein Wunder Gottes.» 

Der Grossvater sagte einem Radiosender, Worte reichten nicht aus für den Dank gegenüber denen, die sie bei der Suche nach den Kindern unterstützten. Die Grosseltern hätten am frühen Abend von den Streitkräften die Information erhalten, dass die Enkel gefunden und in Sicherheit gebracht wurden. Dann sagte er noch: «Ich möchte sie jetzt einfach sehen.»