Gastbeitrag zur AgrarpolitikGentech-Forscher verdienen, Bauern verarmen
Unsere Bäuerinnen und Bauern sollten sich auf eine naturnahe Produktion konzentrieren. Denn der Tatbeweis fehlt, dass neue gentechnische Methoden rasch bessere Nutzpflanzenerträge ermöglichen.
Die letzten beiden Jahre haben deutlich gezeigt, was uns die Klimaveränderung in Zukunft bringen wird: in erster Linie Unsicherheit! Nasse Jahre gefolgt von Dürreperioden erschweren die Anbauplanung und die Arbeit im Feld. Wenn Regenzeiten ausfallen, Bäche und Flüsse austrocknen, Grundwasserpegel sinken oder übermässiger Niederschlag in kurzer Zeit zu Erosion oder gar Überschwemmungen führt, dann sind nicht nur Bauern und Bäuerinnen, sondern die Gesellschaft gefordert.
Eine standortgerechte und abwechslungsreiche Fruchtfolge sowie gesunde Böden mit gutem Wasserhaltungsvermögen sind eine Grundvoraussetzung, um widrige Umstände besser zu überstehen. Doch dies wird in den kommenden Jahren nicht genügen. Ein volatiles Klima mit Extremausschlägen bedingt vor allem Vielseitigkeit und Anpassungsfähigkeit. Einseitigkeit hat ausgedient!
Mit dem Einzug neuer gentechnischer Methoden verbreitet sich irrtümlich die Meinung, diese könnten auf der Suche nach robusteren Nutzpflanzen eine rasche Lösung bieten. Robustheit entsteht jedoch durch das Zusammenspiel verschiedenster genetischer Eigenschaften und kann nicht durch die punktuelle Veränderung einzelner weniger Eigenschaften erreicht werden. So stellte Professor Andreas Stahl vom Institut für Resistenzforschung und Stresstoleranz am deutschen Bundesforschungsinstitut für Kulturpflanzen unlängst in der NZZ fest, dass gentechnische Veränderungen hier nicht wirklich weiterhelfen würden. Auch die eidgenössische Ethikkommission für Biotechnologie hält neue gentechnische Verfahren für wenig geeignet, zeitnah für eine Anpassung der Landwirtschaft an den Klimawandel zu sorgen.
Unsere Bauern und Bäuerinnen tun gut daran, sich auf eine naturnahe Produktion als Qualitätsmerkmal der heimischen Landwirtschaft zu konzentrieren.
Heute beherrschen sechs Agrarkonzerne den weltweiten Handel mit landwirtschaftlichen Rohstoffen. Vier Agrarchemiekonzerne dominieren den globalen Markt von Düngemitteln, Pestiziden und Saatgut. Ihre Wachstumsmärkte liegen vor allem in Lateinamerika, Asien und zunehmend auch in Afrika. Ihr Zukunftsgeschäft bleibt die Monopolisierung der Saatgut- und Produktionsmittelmärkte. «Grosszügig» verteilen sie ihr patentiertes Saatgut kostenlos an Kleinbauern in Ländern des Südens, verdrängen so wertvolle, von den Bauern jahrhundertelang gepflegte Landsorten und machen diese abhängig vom kommerziellen Saatgutangebot. Innert kürzester Zeit ist ein nicht wieder rückgängig zu machender Schaden angerichtet.
Bis September 2022 wurden weltweit über 20’000 Patentgesuche zur Genomediting-Methode Crispr-Cas9 gestellt. Patente sind also definitiv die Treiber dieser Monopolisierung des weltweiten Saatgutmarktes.
Wer behauptet, neue gentechnische Methoden würden in Zeiten des Klimawandels rasch bessere Nutzpflanzenerträge ermöglichen und so Hungerkrisen lindern, verschweigt, dass der Tatbeweis dazu bis heute fehlt. Zudem sind Hungerkrisen meist menschengemacht. Kriege, Konflikte und künstliche Verknappung durch Rohstoffhändler am Markt führen zu Hunger wegen steigender Preise und der Zahlungsunfähigkeit der Betroffenen. Nahrungsmittel wären genügend vorhanden.
Unsere Bauern und Bäuerinnen tun gut daran, sich auf eine naturnahe Produktion als Qualitätsmerkmal der heimischen Landwirtschaft zu konzentrieren. Es ist das, was unsere Konsumentinnen und Konsumenten wollen und ihre Solidarität mit der Inlandproduktion stärkt. Ein grenzenloser Glaube an die technische Machbarkeit beschert der Schweizer Landwirtschaft vor allem Abhängigkeit von Machtmonopolen und schwächt ihre Qualitätsstrategie und damit ihre langfristigen Marktchancen. Hoffentlich realisieren dies auch unser Bundesrat und unser Parlament noch rechtzeitig.
Martin Graf ist Zürcher Alt-Regierungsrat der Grünen und Geschäftsführer des Vereins Gen Au Rheinau.
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