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Gemeinsam über Stock und Stein
Diese Bike-Ferien schweissen die Familie zusammen

Keine zu klein, eine Bikerin zu sein: Seit rund zehn Jahren finden Radlerinnen und Radler in Sölden ihr Glück.

Der Schokoladenfuss steht fest auf dem Pedal, ein Gummibärchen liegt mittig auf dem Lenker. Die Kinder beugen sich runter, um es mit dem Mund zu schnappen. Anschliessend noch den Gorilla üben: mit dem Kopf tief abtauchen, ja keine Chickenwings machen, sondern die Ellbogen weit nach aussen abwinkeln. So tierisch und süss geht es beim Downhillen im tirolerischen Sölden zu.

Die Trockenübungen scheinen läppisch, doch gerade im Bikepark sind sie wichtig, schliesslich begeben wir uns danach direkt auf die Trails, um mit vollgefederten Mountainbikes die Berge runterzuflitzen. Kurve links, Kurve rechts, Sprung, Gegenhang, Hindernis, Vollgas, Vollbremsung. Was sich im ersten Moment nach Nervenkitzel für Hardcore-Biker anhört, ist bei der richtigen Herangehensweise Sport und Spass für Familien.

Der Trip ist pädagogisch und psychologisch wertvoll.

Das merken die Töchter (10 und 13 Jahre alt) bereits bei der ersten Abfahrt. Was wir jetzt noch nicht ahnen: Die Bikeferien werden zu einer Art Teambuilding-Kurs für die Familie. Rücksicht, Verantwortung, Vertrauen, Selbstbewusstsein – ganz nebenbei trainieren wir Skills, die uns zusammenschweissen. Der Trip ist pädagogisch und psychologisch wertvoll.

Die blaue Abfahrt ist bald geschafft. Unten steigen wir wieder in die Gondel, in die man sein Bike hochkant einparken muss. Von dort können wir beobachten, wie sich die anderen Bikerinnen den roten Trail mit der Nummer 6003 runterschlängeln, den auch wir in Angriff nehmen. 160 Kurven auf fünf Kilometern. Das Herz pumpt, Kopf und Bremsen glühen, die Finger schmerzen. An den Pausenplätzen müssen wir die Hände ausschütteln und neue Kraft sammeln. Es ist anstrengend, obwohl wir nur bergab düsen. Die Velos folgen dem Trail, der Körper muss da irgendwie mitkommen. Man wirft sich in die Kurven, schiebt den Sattel vor den Popo, taucht mit dem Kopf (darum der Gorilla) zum Lenker – alles im Stehen.

Mit diesen Trails wollen die Verantwortlichen alle erreichen, auch «Frauen und Familien».

Vor knapp zehn Jahren fing mit der 6003 alles an. «Es war zäh», sagt Dominik Linser, der die «Bike Republic Sölden» damals ins Leben rief. Er graste die Landwirte ab, um die Erlaubnis zu bekommen, die Strecken über deren Felder zu bauen. «Ich habe viele Nächte in fremden Wohnzimmern verbracht, teils waren zehn Termine nötig, bis alles klar war.» Sein Plan von Anfang an: breite, flowige Strecken. «Wir wollen alle erreichen, auch Frauen und Familien.» Linser reiste durch halb Europa, um sich Bikeparks anzuschauen. Ihm sei dabei klar geworden, dass die Trails nicht zu steil sein dürften. «Dann werden sie länger, aber dafür kann jeder sie fahren.»

Jeder fünfte Downhiller in Sölden ist weiblich

Die Töchter sind begeistert von der roten 6003. Beim zweiten Mal geht es schon leichter, man hat Zeit, auch mal die anderen zu beobachten. Was sofort auffällt: viele Kinder, auch Mädchen, und eine stattliche Anzahl Frauen. Jeder fünfte Downhiller in Sölden ist weiblich. Keine Überraschung für Carina Cappellari, dreimalige Schweizer Downhill-Meisterin und heutige Gravity-Nationaltrainerin. «Schau dir am Sonntag die Schlange am Bikepark-Lift an: viel mehr Frauen als früher, auch Mütter mit ihren Kindern und Töchtern.» Die Destinationen hätten das Potenzial erkannt und setzten auf niederschwellige Angebote wie Flowtrails: «Die kann jeder Anfänger mit geringer Geschwindigkeit fahren.»

Carina Cappellari, dreimalige Schweizer Downhill-Meisterin und heutige Gravity-Nationaltrainerin: Mit Downhillen lerne man Reaktionsfähigkeit, Koordination und Körperbeherrschung.

Natürlich bestehe ein gewisses Verletzungsrisiko. «Downhillen ist sicher kein ungefährlicher Sport», sagt Cappellari. Beim Skifahren denke man ja auch nicht ständig an mögliche Unfälle. «Das Risiko beim Downhillen ist in den Köpfen anders kategorisiert als bei anderen Sportarten.» Die 31-Jährige verweist lieber auf die positiven Effekte: Man lerne Reaktionsfähigkeit, Koordination und Körperbeherrschung und schule das Gleichgewicht. In ihren Augen ist Downhillen eine gelenkschonende Sportart, bei der man gut Muskeln aufbaut. «Und das alles mitten in der Natur mit viel Abwechslung.»

Von beidem gibt es in Sölden genug. Es handelt sich nicht um einen klassischen Bikepark, bei dem sich alles auf einen Berg konzentriert. Das Trailnetz wurde über grosse Teile des Skigebiets gelegt. Beide Seilbahnen in Sölden hieven die Biker auf der westlichen Talseite nach oben. Gegenüber, auf der «stillen Seite», gibt es keine Bahnen. Deswegen tummeln sich auf den dortigen Trails und Routen vornehmlich Mountainbiker mit Motor. In Summe verfügt Sölden über 30 Lines und Trails mit 70 Kilometern. Hinzu kommen noch einmal so viele E-Bike-Touren und Endurostrecken. Wer es noch weiter fassen will: Das Ötztal kommt auf gut 850 Kilometer genehmigte Radwege.

Wir sehen während vier Tagen keinen Unfall und keine Verletzten.

Wir haben genug und beenden den ersten Tag nach vier Abfahrten. Vom Hotelzimmer aus blicken wir direkt auf den «Zieleinlauf» in Sölden, wo zwei Trails zusammenkommen und sich auch der Übungspark samt Pumptrack befindet. Mutige Bikerinnen können dort zum finalen Jump ansetzen, der 3,5 Meter freien Fall mit dem Velo bedeutet. Der Ausblick beim Sprung geht dabei ironischerweise direkt auf die Medalp-Sportclinic. Es bleibt aber festzuhalten: Wir sehen während vier Tagen keinen Unfall und keine Verletzten.

Für unsere eigene Sicherheit haben wir uns für die ersten beiden Tage einen Guide genommen. Es ist Zufall, dass es sich um eine Frau handelt. Bine gibt uns Sicherheit. Zum einen hat sie mit uns lang und geduldig die tierisch-süssen Basics geübt. Zum anderen erklärt sie uns jeweils, was bei der nächsten Fahrt auf uns zukommt. Wenn es nötig ist, legen wir auch mal die Bikes beiseite und inspizieren die anstehenden Schwierigkeiten, wie Megakurven aus Holz oder S-Kurven im Lehm, bei denen das Gehirn links-rechts-links-rechts mitkommen muss. Bine kostet natürlich extra, ist aber eine sinnvolle Investition für Einsteiger.

Familie Schreiber – so stark wie eine Gruppe Gorillas. 

An Tag drei sind wir dann zum ersten Mal allein unterwegs. Anfangs muss Papa die Bine spielen. Vorausfahren, Kommandos rufen, vor Engstellen, Hindernissen und Schwierigkeiten warnen. «An den Gorilla denken!» Bald trauen sich aber auch die Kinder nach vorne. Sie wollen Verantwortung übernehmen, zeigen, dass auch sie unsere familiäre Vierergruppe sicher den Berg hinunterbringen. Wer dahinter fährt, muss Vertrauen haben. Überzeugt sein, dass eine 13-Jährige an der Spitze alles im Griff hat, die richtigen Entscheidungen trifft, nicht zu schnell durch den Trail kurvt, die Warnungen rechtzeitig zuruft.

In den Pausen spielen die Familienmitglieder abwechselnd Motivator. «Die letzten Abschnitte fahren wir jetzt noch, unten können wir uns länger ausruhen.» Wenn die Kräfte nachlassen, ist Rücksicht gefragt. Wer die Gruppe anführt, muss sich nach dem Langsamsten richten. So viel Rücksicht und Vertrauen haben wir in den Ferien noch nie erlebt. Meist will sonst jeder seinen eigenen Kopf durchsetzen. In Sölden erreichen wir ein Teamwork-Level, das wir als Familie so noch nicht kannten. Nach drei Tagen auf dem Bike fühlen wir uns so stark wie eine Gruppe Gorillas.

Die Reise wurde von Ötztal Tourismus unterstützt.