Spionage in Grossbritannien«Russland-Report»: Britische Regierung hat Einmischung geduldet
Der Bericht des Geheimdienstausschusses wirft der Regierung vor, russische Einflussnahme auf britische Politik stillschweigend geduldet zu haben – vor allem wo es um den Brexit ging.
Mit scharfen Worten ist am Dienstag die britische Regierung beschuldigt worden, sich «blind gestellt» zu haben für die Möglichkeit russischer Manipulation von Wahlen und Volksabstimmungen im Vereinigten Königreich. Speziell dem Verdacht, dass Moskau zum Zeitpunkt des Brexit-Referendums von 2016 mit Geld, Desinformations-Kampagnen und Cyberattacken Einfluss auf die britische Demokratie zu nehmen suchte, habe man in Downing Street schlicht nicht nachgehen wollen, befand gestern Westminsters lang erwarteter «Russland-Report».
Der Report war vom Geheimdienstausschuss des britischen Parlaments, einem parteiübergreifenden Gremium, im vorigen Herbst erarbeitet worden. Er blieb aber, auf Geheiss von Premierminister Boris Johnson, bis gestern unter Verschluss. Auch diese monatelange Verzögerung stiess auf heftige Kritik am Dienstag in London. Es sei «eine rein politische Entscheidung» Johnsons gewesen, der Nation den Bericht so lange vorzuenthalten, meinte Labours Schatten-Aussenministerin Lisa Nandy dazu.
Bedrohung «sträflich unterschätzt»
Kern der Kritik des Reports an der Regierung ist, dass Grossbritannien die Bedrohung durch Russland bis vor kurzem sträflich unterschätzte – und dass die Regierung sich weigerte, entsprechende Befürchtungen vor allem im Zusammenhang mit dem Brexit-Referendum von den Geheimdiensten untersuchen zu lassen. Während der Referendumskampagne und danach hatte es zahlreiche Hinweise darauf gegeben, dass Moskau mit allen Mitteln der Pro-Brexit-Seite zu helfen suchte. Handfeste Beweise dafür gebe es indes nicht, hiess es im «Russland-Report» gestern: schon deshalb, weil die Regierung es «aktiv vermied», den Geheimdiensten eine solche Untersuchung abzuverlangen.
Auch die Geheimdienstler selbst werden vom Ausschuss gerügt. Sie hätten sehr damit gezögert, hiess es im Bericht, den Mitgliedern des Ausschusses dringend nötige Informationen zu verschaffen. Sollte sich herausstellen, dass Moskau verantwortlich war für Hackerangriffe und andere Cyberattacken, müsse man Russland auch öffentlich beim Namen nennen und es «an den Pranger stellen» wegen solcher Eingriffe in die demokratischen Prozesse des Königreichs.
«Enge Beziehungen» zu Wladimir Putin
Der Geheimdienstausschuss verwies zugleich darauf, dass viele einflussreiche Russen, die «bestens integriert» seien in die Geschäftswelt und in die politische und soziale Szene Grossbritanniens, über «sehr enge Verbindungen» zu Wladimir Putin verfügten. Transparenter müssten in Zukunft insbesondere die Beziehungen zwischen solchen Russen und Mitgliedern des Oberhauses sein. In der Vergangenheit hatten britische Medien mehrfach auf grössere Summen hingewiesen, die wohlhabende Russen der Konservativen Partei als Spenden zukommen liessen.
Die Regierung weist Kritik zurück
Von Aussenminister Dominic Raab wurden diese und andere Beschuldigungen strikt zurückgewiesen. Raab lehnte auch die Forderung des Ausschusses, eine nachträgliche Brexit-Untersuchung einzuleiten, rundweg ab. Der Vorsitzende der Brexit-Partei, Nigel Farage, der lange Zeit beim TV-Sender Russia Today feste Auftritte hatte, sprach abfällig von «Jahren der Lügen und der Anschmierversuche» proeuropäischer Politiker und «eines Gutteils unserer Medien».
Dagegen meinte der Brexit-Koordinator des Europaparlaments, Guy Verhofstadt, Brexit sei «immer ein Geschenk für Putin» gewesen, «weil es die EU schwächte und Grossbritannien gespalten und isoliert zurückliess», was Moskau zupasskomme bei der eigenen Politik. Warnend meinte der Labour-Abgeordnete Kevan Jones, eins der Ausschussmitglieder, dass russischer Einfluss auf London mittlerweile einfach als «neue Normalität» hingenommen werde in seinem Land. Es sei «empörend, dass russische Einmischung in britische Wahlen und Volksabstimmungen nie richtig untersucht worden sind», fand der Vorsitzende der Liberaldemokraten, Sir Ed Davey. Wenn die Regierung sich dafür «blind stelle», handle sie verantwortungslos.
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