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Ukraine und Schweiz
Gefeuerte ukrainische Generalstaatsanwältin wird Botschafterin in Bern

Obwohl ihr persönlich nichts vorgeworfen wurde, musste sie als Generalstaatsanwältin gehen. Nun kommt Irina Wenediktowa als Botschafterin nach Bern. 
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Ihre Entlassung akzeptierte sie mit Würde und zumindest nach aussen hin ohne Zorn. Sie wolle den Präsidenten dafür nicht kritisieren, erklärte die geschasste ukrainische Generalstaatsanwältin Irina Wenediktowa vor zwei Wochen in einem CNN-Interview. Und auf Twitter versprach sie: «Ich will meinem Land weiterhin dienen.»

Das wird die 43-jährige Juristin in Zukunft von Bern aus. Wie Tamedia aus zuverlässigen Quellen in Kiew erfuhr, wird Wenediktowa zur neuen Botschafterin der Ukraine in der Schweiz ernannt. Der ukrainische Aussenminister Dmitro Kuleba bestätigte das in einem Interview mit der Agentur Ukrinform: Er habe Präsident Wolodimir Selenski die Entsendung Wenediktowas in die Schweiz vorgeschlagen. Wenediktowa sei kompetent und könne sich auf dem internationalen Parkett bewegen. Dass Selenski einen offenbar abgesprochenen Vorschlag ablehnt, ist unwahrscheinlich.

Politische Karriere an der Seite Selenskis

Wann Wenediktowa den neuen Job antreten wird, ist noch nicht bekannt. Es könnte aber sehr bald sein. In der Ukraine ist sie derzeit arbeitslos, und in Bern wird das Land im Krieg momentan nur von einem ausserordentlichen Botschafter vertreten.

Mit Irina Wenediktowa würde die ukrainische Diplomatie in der Schweiz deutlich mehr Gewicht bekommen. Die aus der ostukrainischen Stadt Charkiw stammende Professorin für Zivilrecht gilt als Vertraute von Präsident Wolodimir Selenski. Sie begann als seine Rechtsberaterin, als Selenski 2018 die Schauspielerei an den Nagel hängte und mit der Partei «Diener des Volkes» in die echte Politik einstieg.

Beim WEF 2022 in Davos war Wenediktowa über Video aus Kiew zugeschaltet und sprach über russische Kriegsverbrechen. 

Selenski wurde Staatspräsident und Wenediktowa Parlamentsabgeordnete. Ab Dezember 2019 führte ihre Karriere steil bergauf: Leiterin des staatlichen Ermittlungsbüros, Mitglied des nationalen Sicherheitsrates und schliesslich Generalstaatsanwältin der Ukraine. Nach dem Angriff der Russen und der Entdeckung der Massengräber in den Kiewer Vororten Irpin und Butscha konzentrierte Wenediktowa jedoch die Arbeit ihres Teams ganz auf die Verfolgung von russischen Kriegsverbrechen.

Anfang Juli sagte die Generalstaatsanwältin der BBC, dass ihr Büro Ermittlungen in 21’000 Fällen mutmasslicher Kriegsverbrechen aufgenommen habe. Täglich würden 200 bis 300 Verdachtsfälle hinzukommen. Dennoch wurde Wenediktowa zwei Wochen später von ihrem Posten entfernt. Auf Empfehlung Selenskis hin stimmte das Parlament mit knapper Mehrheit für ihre Entlassung. Gleichzeitig wurde auch der Chef des ukrainischen Geheimdienstes gefeuert.

Machtkampf im ukrainischen Präsidentenbüro

Der Grund für Wenediktowas Entlassung bleibt nebulös. Angeblich sollen einige ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Ostukraine mit den Russen kollaboriert haben. Wenediktowa selbst wird aber kein Vergehen vorgeworfen. Sie selbst deutete politische Gründe an. Auch in ukrainischen Medien wurde über einen Machtkampf im Präsidentenbüro spekuliert, bei dem die Generalstaatsanwältin zum Bauernopfer wurde. 

Die Beziehungen zwischen der Ukraine und der Schweiz sind seit Beginn der russischen Invasion nicht ganz friktionsfrei. Kiew hat die Schweizer Behörden in Verdacht, internationale Sanktionen gegen russische Oligarchen zu umgehen oder zumindest nicht schnell und gründlich umzusetzen. Für Irritation sorgte auch die Meldung, dass die neutrale Schweiz keine zivilen Kriegsverletzten aus der Ukraine aufnehme. Das Verbot wurde danach vom Aussendepartement EDA schnell aufgehoben.

Mit ihrer Erfahrung bei der Ermittlung von Kriegsverbrechen wird sich Wenediktowa von Bern aus vermutlich auch um noch grösseres Engagement des Internationalen Strafgerichtshofs in der Ukraine bemühen. Dass die Juristin bis jetzt keine diplomatische Erfahrung hat, stört den ukrainischen Aussenminister Kuleba offenbar nicht: Politische Berufungen gebe es in allen Ländern, sagte er der Agentur Ukrinform: «Wir brauchen nun frisches Blut, frische Meinungen und Perspektiven.»