Konflikt in Berg-KarabachGefechte mit Vorgeschichte
Den aktuellen Kämpfen zwischen Armenien und Aserbeidschan gingen Spannungen voraus – ein Krieg könnte folgen.
Im Juli demonstrierten in Baku, der Hauptstadt Aserbeidschans, Zehntausende Menschen für einen Krieg gegen Berg-Karabach. An der Grenze zum Nachbarstaat Armenien hat es kurz zuvor Kämpfe gegeben. Mindestens 17 Menschen starben.
Zum Hass auf die Armenier mischt sich in Baku Wut auf die eigene Regierung, dass diese zu wenig unternimmt in dem jahrzehntealten Konflikt. Der Protest dürfte dem aserbeidschanischen Präsidenten Ilham Alijew eine Warnung gewesen sein. Gut möglich, dass jene Tage die Eskalation im Konflikt um Berg-Karabach beschleunigt haben, die seit Sonntag Dutzende Tote auf beiden Seiten gekostet hat.
Die Republiken im Südkaukasus kämpfen um Gebiete, die völkerrechtlich zu Aserbeidschan gehören, aber seit Anfang der Neunzigerjahre hauptsächlich von Armeniern bewohnt und kontrolliert werden. Baku fordert sie zurück; trotzt eines Waffenstillstandes von 1994 kommt es immer wieder zu Gefechten zwischen den Nachbarn.
Zwar beschuldigen sich auch dieses Mal beide Seiten gegenseitig, zuerst geschossen zu haben. Grundsätzlich hat jedoch Armenien weniger Interesse an einem Konflikt, da es die umstrittene Gebiete bereits kontrolliert. Aserbeidschan dagegen empfindet den Istzustand als Kränkung. Vieles weist darauf hin, dass Baku gerade jetzt an einer Eskalation interessiert war. Bereits Tage vor den Kampfhandlungen gab es Berichte, dass Aserbeidschan Reservisten einberuft, Militärübungen abhält und sogar private Geländewagen beschlagnahmt. Die Konfrontation könnte aus mehrere Gründen heftiger ausfallen als die jüngste grosse Auseinandersetzung 2016. Im sogenannten Vier-Tage-Krieg starben mehr als hundert Menschen.
Die Regierung in Baku dürfte ermutigt haben, dass die Türkei sie aktiver unterstützt als zuvor. Nach den Zusammenstössen im Juli bezeichnete Präsident Recep Tayyip Erdogan Armenien als Eindringling, das Verteidigungsministerium sagte Aserbeidschan militärische Hilfe und Ausrüstung zu. Am Sonntag wiederholte Erdogan sein Versprechen, Baku «mit allen Mitteln und ganzem Herzen» zu unterstützen.
Die Türkei ist die einzige ausländische Macht, die sich in dem Konflikt deutlich auf eine Seite stellt, nicht nur mit Worten. In den vergangenen Wochen haben türkische und aserbeidschanische Soldaten gemeinsam geübt. Offenbar kämpfen auch syrische Söldner auf aserbeidschanischer Seite, organisiert durch Ankara.
Der armenische Premierminister Nikol Paschinjan warf der Türkei vor, Armenien durch ihr «aggressives Verhalten» zu bedrohen. Paschinjan selbst könnte ein weiterer Grund dafür sein, dass Aserbeidschan aggressiver auftritt als zuvor. In den neuen Premier hatte Baku die Hoffnung gesetzt, dass er zu Kompromissen bereit sei.
Doch die Hoffnung wurde schnell zerschlagen. «Arzach ist Armenien, Punkt!», stellte Paschinjan vergangenen Sommer bei einem Besuch in Berg-Karabach klar, das die Armenier Arzach nennen. Er forderte die Vereinigung von Armenien und der Region, nahm eine noch eindeutigere Haltung ein als seine Vorgänger. Aus Sicht Aserbeidschans zerschlug sich die Aussicht auf eine Verhandlungslösung. Stattdessen ärgerte sich Baku über neue «Provokationen». So soll etwa die Nationale Versammlung in Berg-Karabach von Stepanakert ausgerechnet in das nahe gelegene Schuscha verlegt werden – einst ein kulturelles Zentrum für die Aserbeidschaner.
Auch Moskaus Haltung könnte Baku bestärken: Während sich Aserbeidschan türkischer Hilfe sicher sein kann, gilt das für Armenien in Bezug auf seine Schutzmacht Russland nicht. Der Kreml rief beide Seiten gleichermassen auf, ihre Feindseligkeiten zu beenden. Jede Äusserung über militärische Unterstützung giesse nur «Öl ins Feuer», sagte Kreml-Sprecher Dmitri Peskow. Alle Länder, «insbesondere Partnerländer wie die Türkei» sollten alles für eine friedliche Regelung unternehmen. Moskau hatte 1994 den Waffenstillstand vermittelt.
Russland verkauft Waffen an beide Länder, wobei Aserbeidschan kaufkräftiger ist.
Russland hat zwar Truppen in Armenien stationiert. Die kleine Republik mit ihren drei Millionen Einwohnern ist zudem Teil eines von Moskau geführten Sicherheitsbündnisses und nimmt zuweilen an russischen Militärübungen teil. Doch Moskau zeigt wenig Interesse, sich militärisch einzumischen. Es verkauft Waffen an beide Länder, wobei Aserbeidschan kaufkräftiger ist. Ausserdem ist man sich in Moskau nicht sicher, wie loyal der neue armenische Premier Paschinjan ist. Er hatte stets Armeniens Unabhängigkeit betont. Gegen ein Bündnis seiner beiden Nachbarn Aserbeidschan und Türkei könnte Armenien allein allerdings wenig ausrichten.
Am Sonntag rief zunächst Armenien den Kriegszustand aus, dann Aserbeidschan das Kriegsrecht für einige Regionen. Beide Regierungen melden militärische Erfolge, die von der Gegenseite sofort dementiert werden. Beide sprechen von Hunderten Toten unter den gegnerischen Truppen und von wesentlich geringeren Opferzahlen in den eigenen Reihen. Beide Regierungschefs stehen unter Druck, Erfolge vorzuweisen, der neue Premier in Jerewan, vor allem aber der Langzeitmachthaber in Baku. Die Frage wird sein, ob Ilham Alijew kleinere Gebietsverschiebungen wie bei der aserbeidschanischen Offensive 2016 dieses Mal ausreichen.
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