Schwere Kämpfe in Berg-Karabach«Wir sind zu diesem Krieg bereit»
Nach Gefechten mit Aserbeidschan verhängte Armeniens Regierungschef Nikol Paschinjan den Kriegszustand. Seine Biografie ist so kompliziert wie die Geschichte seines Landes.
Für Nikol Paschinjan ist es vorbei mit dem Frieden. Der Mann, der als «samtener» Revolutionär und Hoffnungsträger Armeniens gilt, hat den Kriegszustand ausrufen lassen. Das mag auf den ersten Blick kaum passen zu einem, der Nelson Mandela sein Vorbild nennt und ausgezogen ist, um für mehr Demokratie zu kämpfen. Doch die Geschichte des 45-jährigen armenischen Regierungschefs ist so kompliziert wie die seines Landes.
Für Armenien ist der Krieg in beinahe drei Jahrzehnten nie ganz verschwunden. Immer wieder brechen im Konflikt um die Region Berg-Karabach Kämpfe aus. In der Enklave leben und regieren Armenier, doch sie gehört völkerrechtlich zu Aserbeidschan. Seit Sonntag wird dort wieder geschossen, Dutzende Soldaten und Zivilisten wurden getötet.
«Untrennbarer Teil» Armeniens
«Wir sind zu diesem Krieg bereit», sagte Paschinjan in einer Fernsehansprache, weil der «in Aserbeidschan propagierte Hass» nur zu Krieg führen könne – unversöhnliche Worte von einem, der während seines persönlichen Machtkampfs Gewaltlosigkeit predigte. Doch vermutlich spricht er vielen Armeniern, die Berg-Karabach als Teil ihrer Heimat verstehen, aus der Seele.
Paschinjans Weg ist einerseits der eines geläuterten Politikrebellen. Bereits als Journalistikstudent eckte er an, wurde wegen seiner Kritik an der Universitätsführung vom Studium ausgeschlossen. Die erste Revolution, die er 2008 mit anderen Oppositionellen versuchte, scheiterte. Damals war Sersch Sargsjan zum Präsidenten gewählt worden, die Opposition warf ihm Wahlfälschung vor. Die Proteste wurden niedergeschlagen, und Paschinjan, Vater von vier Kindern, tauchte unter. Als er sich später stellte, musste er für zwei Jahre ins Gefängnis.
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Beim zweiten Versuch ging es wieder gegen Sargsjan, der zehn Jahre später vom Präsidenten zum Ministerpräsidenten werden wollte. Gegen dieses Machtmanöver marschierte Paschinjan 2018 zu Fuss aus der Grossstadt Gjumri in die Hauptstadt Jerewan. Mit Bart und Rucksack kam er dort an und wurde wie ein Rockstar gefeiert, Menschen trugen T-Shirts mit seinem Konterfei. Paschinjan liess Strassen blockieren und Gebäude besetzen, aber vermied Gewalt. Es dauert nicht lange, bis Sargsjan aufgab.
Am 8. Mai 2018 wurde Paschinjan zum Premierminister ernannt, nur einen Tag später flog er nach Berg-Karabach, um dort den Tag des Sowjetischen Sieges zu feiern. Die selbst ernannte Republik erklärte er zu einem «untrennbaren Teil» Armeniens und forderte, dessen Vertreter mit an den Verhandlungstisch zu holen. Bisher wurde der Konflikt zwischen Jerewan und der aserbeidschanischen Regierung in Baku verhandelt.
Mit Paschinjan, so hofften Beobachter, würde ein Kompromiss wahrscheinlicher als mit dessen Vorgängern. Diese hatten anders als Paschinjan im Krieg Anfang der Neunzigerjahre um Berg-Karabach gekämpft. Doch auch der neue Premier signalisierte schnell, dass er Armeniens Interessen in Berg-Karabach verteidigen würde. Im Dezember 2018 wurde er bei einer vorgezogenen Parlamentswahl im Amt bestätigt.
Armenien hängt von Russland ab
In Armenien versucht Paschinjan seither, Korruption zu reduzieren und die Wirtschaft zu liberalisieren, mit ersten Erfolgen. Neben innenpolitischen Problemen hat er eine komplizierte aussenpolitische Lage geerbt. Zwei von vier Nachbarn, die Türkei und Aserbaidschan, sind Armenien feindlich gesinnt, die Grenzen dicht. Paschinjan weiss daher, dass er Moskau nicht gegen sich aufbringen darf, auch wenn er sich weniger Abhängigkeit wünscht. 2016, als Parlamentsabgeordneter, stimmte er gegen ein armenisch-russisches Abkommen für ein gemeinsames Luftabwehrsystem.
Solche Vereinbarung nannte er «Seifenblasen-Sicherheit», man müsse ein eigenes Verteidigungssystem schaffen. Gleichzeitig hat Russland eine Militärbasis in Armenien, die Länder verbindet bereits ein Militärbündnis. Allein könnte sich das Land mit seinen drei Millionen Einwohnern im Kriegsfall kaum verteidigen.
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