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Vom Umgang mit Stress
«Ganz ruhig, eins nach dem anderen»

Längerfristig anhaltender Stress kann zu ernsthaften Krankheiten führen wie Bluthochdruck, Herzinfarkt, Übergewicht, Diabetes oder chronische Rückenschmerzen.
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Stress? Habe ich normalerweise eher wenig – dachte ich. Ich bin gut im Organisieren und kann meine Arbeit frei einteilen. Da mich das Psychologische Institut der Universität Zürich jedoch als Testperson für sein neues Onlineprogramm «MeinStressCoach» angefragt hat, nutze ich diese Chance, mich wieder mal mit diesem Thema auseinanderzusetzen. Schaden kann es ja nicht.

Etwas erstaunt bin ich dann schon, als mir ein Test gleich zu Beginn des Programms auf der physiologischen wie auch der psychologischen und Verhaltensebene einige Stresssymptome bescheinigt. Gefragt wurde, ob man in den letzten Wochen Symptome wie Verspannungen, Kopfschmerzen, Schlafstörungen oder Gereiztheit an sich festgestellt habe. Ehrlich, wie ich bin, habe ich mehrmals «trifft eher zu» angeklickt.

Krankheiten und Paarkonflikte

Stress ist ein allgegenwärtiges Problem. Gemäss der letzten Befragung 2018 der Stiftung Gesundheitsförderung Schweiz fühlt sich mehr als ein Viertel der Erwerbstätigen bei der Arbeit gestresst – Tendenz steigend. Und die Corona-Pandemie hat das Problem nochmals deutlich verschärft.

Längerfristig anhaltender Stress kann zu ernsthaften Krankheiten führen wie Bluthochdruck, Herzinfarkt, Übergewicht, Diabetes oder chronische Rückenschmerzen.

Wenn wir in Gefahr geraten, schüttet unser Körper Stresshormone aus, die den Herzschlag beschleunigen und den Blutdruck ansteigen lassen. Ursprünglich war dies sinnvoll, um uns in bedrohlichen Situationen zu wehren – oder zu fliehen. Heute jedoch nützt uns dieser angeborene Mechanismus bei Belastungen nicht mehr viel.

Im Gegenteil: Längerfristig anhaltender Stress kann zu ernsthaften Krankheiten führen wie Bluthochdruck, Herzinfarkt, Übergewicht, Diabetes oder chronische Rückenschmerzen. Zudem belastet Stress private Beziehungen enorm und ist eine häufige Ursache für Partnerschaftsprobleme und Scheidungen. Stressbedingte Krankheiten und Arbeitsausfälle verursachen Schätzungen zufolge jährlich Kosten von über 4 Milliarden Franken.

«Stress entsteht, wenn die Anforderungen und die persönlichen Ressourcen aus dem Gleichgewicht geraten», erklärt Psychologieprofessor Guy Bodenmann, der den Kurs entwickelt hat. Dabei spielt die subjektive Einschätzung eine Rolle, die wiederum von der Stimmung und der Persönlichkeit abhängt: Läuft es gerade rund im Leben, ist man oft sehr leistungsfähig und kann effizient arbeiten. Ein anderes Mal fühlt man sich bereits mit kleineren Aufgaben belastet oder gar überfordert.

Lernen, Nein zu sagen

Stresssymptome entdeckt: Autorin Andrea Söldi beim Onlinekurs.

Im Onlineprogramm geht es zuerst einmal darum, unnötigen Stress zu vermeiden. Etwa durch eine gute Arbeitsplanung und Organisation sowie die Fähigkeit, Nein zu sagen. Letzteres lässt bei mir die Alarmglocken läuten: Wenn viele Aufträge miteinander eingehen, kann ich schon mal etwas nervös werden. Trotzdem habe ich bisher kaum jemals eine Anfrage abgelehnt, weil ich befürchtete, als freischaffende Autorin künftig nicht mehr berücksichtigt zu werden. In diesem Punkt kann ich wohl noch dazulernen.

Eine weitere Strategie, die der Kurs empfiehlt, sind beruhigende Selbstgespräche. Läuft es hektisch – Mails, Telefone, persönliche Anfragen, Chats –, verliert man gern die Fähigkeit, klar zu denken. Statt dass man Prioritäten setzt und schön eines nach dem anderen erledigt, vertrödelt man wertvolle Zeit mit unkoordiniertem Aktivismus. Besser sollte man sich selber Sätze vorsagen wie: «Ich kann das. Es kommt schon gut. Ganz ruhig, eins nach dem anderen.» Nützlich sind auch Atem- und Entspannungsübungen.

Kleinigkeiten können stark belasten

Allmählich wird klar, dass die Autoren des Onlinekurses unter dem Begriff Stress nicht nur Zeitdruck verstehen. Vielmehr unterscheiden sie zwischen Makro- und Mikrostress. Unter Ersteres fallen Ereignisse, die mit starken Veränderungen im Leben einhergehen – etwa Krankheiten, Todesfälle, Trennung oder Arbeitslosigkeit, aber auch Entwicklungsaufgaben wie die Berufs- oder Partnerwahl. «In solchen Situationen erhalten wir meist viel Verständnis von unserem Umfeld», erklärt Guy Bodenmann.

Im Alltag sei es jedoch der sogenannte Mikrostress, der besonders belaste. Dabei werden, so der Fachmann, persönliche wunde Punkte berührt. Auslöser sind meist Kleinigkeiten wie den Bus zu verpassen, kritisiert oder nicht beachtet zu werden. «Derartige Ereignisse können einen bitteren Nachgeschmack hinterlassen und uns gründlich destabilisieren», weiss Bodenmann. Entspannungstechniken wie Meditation oder Achtsamkeitsübungen seien für die Bewältigung nur bedingt hilfreich. «Man muss sich mit sich selber befassen.»

Okay, solche Dinge kommen mir natürlich bekannt vor. Ein ungünstig verlaufener Kontakt im Job. Eine Nachbarin, die mich auf der Strasse nicht wiedererkennt, obwohl wir kürzlich zusammen geplaudert haben. Eine negative Rückmeldung auf einen meiner Artikel. Bei näherer Betrachtung eigentlich alles normale Begebenheiten, wie sie wohl die meisten regelmässig erleben. Warum beschäftigen sie mich denn dermassen, dass sie mir zuweilen sogar nachts in den Sinn kommen und ich deswegen wach liege?

Ansprüche hinterfragen

Darauf geht das Kapitel über die Erwartungen an sich selbst ein. Es gilt, sogenannte dysfunktionale Überzeugungen zu identifizieren wie etwa: «Ich muss das besser können als andere. Ich bin nur jemand, wenn ich Erfolg habe. Ich will, dass mich alle toll und nett finden.» Diesen wenig hilfreichen, weil Druck erzeugenden Ansprüchen kann man stressreduzierende Gedanken entgegensetzen. Beispiele: «Unterschiedliche Vorstellungen sind in einem Arbeitsteam normal. Jeder und jedem passiert einmal ein Fehler. Die Nachbarin, die mich übersehen hat, war wohl selber gerade im Stress.»

«Ich darf mir ruhig selber einmal ein bisschen auf die Schulter klopfen.»

Andrea Söldi

Solche Sätze sollte man mehrmals wiederholen und am besten laut aussprechen oder sogar notieren und gut sichtbar aufhängen. Als weitere Strategie empfiehlt der Kurs, sich systematisch immer wieder das Gelungene vor Augen zu führen, statt auf Dinge zu fokussieren, die schiefgelaufen sind. Zudem soll man vermeiden, Misserfolge mit der eigenen Person in Verbindung zu bringen. Tabu sind Gedanken wie: «Typisch, dass das wieder mir passiert. Ich bin einfach ungeschickt.»

Gut drei Stunden dauert das Durcharbeiten des neuen Antistress-Programms. Und obwohl mir die meisten Inhalte nicht ganz neu waren, habe ich davon profitiert, wieder einmal über das Thema zu reflektieren. Was hängen geblieben ist: Vor dem Schlafengehen überlege ich mir nun häufig, was ich an diesem Tag alles vollbracht habe und was mir gelungen ist. Dabei darf ich mir ruhig selber einmal ein bisschen auf die Schulter klopfen.