G20-Gipfel in Neu DelhiKompromiss im Russland-Streit und Signal an Afrika
Beim Gipfel der Staats- und Regierungschefs ist trotz des Streits über den Ukraine-Krieg eine Abschlusserklärung zustande gekommen. Gastgeber Indien feiert das als Erfolg.
Der G20-Gipfel hat sich in Indien trotz grosser Meinungsunterschiede zum russischen Krieg in der Ukraine auf eine Abschlusserklärung geeinigt. In der Passage zum Ukraine-Krieg wird sowohl auf Forderungen Russlands als auch des Westens eingegangen.
Diplomaten werteten die Formulierungen als Einigung auf den kleinsten gemeinsamen Nenner. Aber Indiens Premierminister Narendra Modi habe so ein Scheitern des Gipfels der führenden Industrie- und Schwellenländer verhindert.
Da weder Chinas Staatschef Xi Jinping noch Russlands Präsident Wladimir Putin in Neu Delhi vertreten waren, musste Indien befürchten, dass das Treffen ohne greifbare Ergebnisse endet. Für Putin reiste Aussenminister Sergej Lawrow an. Xi liess sich von Ministerpräsident Li Qiang vertreten. Peking gilt als international wichtigster Partner Moskaus und hat den Angriff auf die Ukraine bisher nicht verurteilt.
Russland nicht mehr explizit verurteilt
Russland erreichte mit dem Kompromiss, dass sein Angriffskrieg nicht mehr – wie noch im Vorjahr – ausdrücklich verurteilt wird. Stattdessen wird nur noch auf entsprechende Resolutionen der Vereinten Nationen verwiesen.
Beim G20-Gipfel auf der indonesischen Ferieninsel Bali 2022 hatte sich Moskau offensichtlich auf Druck Chinas einverstanden erklärt, in die Abschlusserklärung den Satz aufzunehmen: «Die meisten Mitglieder verurteilten den Krieg in der Ukraine aufs Schärfste.» Russlands Position wurde mit den Worten abgebildet: «Es gab andere Auffassungen und unterschiedliche Bewertungen der Lage und der Sanktionen.»
Westen pocht auf territoriale Integrität
Der Westen handelte diesmal lediglich eine Formulierung heraus, nach der alle Staaten von Angriffen auf die territoriale Integrität oder politische Unabhängigkeit anderer Staaten Abstand nehmen müssen.
Zudem werden – zumindest indirekt – wieder die Atomwaffendrohungen Russlands kritisiert: «Der Einsatz oder die Androhung des Einsatzes von Kernwaffen ist unzulässig.»
Getreidedeal: Entgegenkommen gegenüber Russland
Besonders wichtig dürfte für Moskau sein, dass auf russische Forderungen nach einer Lockerung der westlichen Sanktionen eingegangen wird. So heisst es, man rufe dazu auf, die «unverzügliche und ungehinderte Lieferung von Getreide, Lebensmitteln und Düngemitteln/Zusätzen von der Russischen Föderation und der Ukraine» zu gewährleisten. Dies sei notwendig, um den Bedarf in Entwicklungsländern besonders in Afrika zu befriedigen. Eine Reaktion der Ukraine auf den Kompromiss gab es zunächst nicht.
Putin hatte unter Verweis auf die westlichen Sanktionen ein Abkommen für den Transport von ukrainischem Getreide über das Schwarze Meer aufgekündigt.
Zeichen an Afrika
Schon zu Beginn des Gipfels verkündete Modi eine Einigung zur Aufnahme der Afrikanischen Union (AU) als Mitglied in die G20. Auch der deutsche Kanzler Olaf Scholz hatte sich dafür starkgemacht. Länder Afrikas leiden stark unter den Folgen der Klimakrise und des Kriegs in der Ukraine. Der indische Regierungschef versucht, sein Land als Anführer des globalen Südens zu profilieren. Die Aufnahme der AU gilt für ihn deshalb als wichtiger Erfolg.
Bisher war die Europäische Union (EU) mit ihren 27 Mitgliedstaaten die einzige Regionalorganisation in der G20-Runde. Der AU gehören alle international anerkannten afrikanischen Länder sowie das völkerrechtlich umstrittene Land Westsahara an. Insgesamt sind es 55 Staaten. Die AU vertritt die Interessen von rund 1,3 Milliarden Menschen. In der EU leben rund 450 Millionen Menschen.
Weitere Themen des bis Sonntag dauernden Gipfels unter dem Motto «One Earth, one Family, one Future» (Deutsch: «Eine Erde, eine Familie, eine Zukunft») sind der Klimaschutz und eine Reform der Weltbank.
Kritik von Klimaschützern
Die Passagen der Abschlusserklärung zum Klimaschutz werden von Experten als wenig ehrgeizig eingestuft. «Gegen die Klimakrise hat der G20-Gipfel zu wenig geliefert», sagte Jörn Kalinski von Oxfam in Deutschland. «Die Regierungen steuern uns weiter auf eine globale Katastrophe zu.» Auch Friederike Röder, Vize-Präsidentin der Nicht-Regierungsorganisation Global Citizen, übte Kritik: «Das ist eine schreckliche Botschaft an die Welt, besonders an die ärmsten und verletzlichsten Länder und deren Menschen, die am meisten unter dem Klimawandel leiden.»
Nicht aufgegriffen wird insbesondere die Forderung von Umweltorganisationen, die G20 sollten sich angesichts der eskalierenden Klimakrise klar zu einem zügigen Ausstieg aus Kohle, Öl und Gas bekennen. Bekräftigt wird im Abschlussdokument zwar der Beschluss der G20 von vor 14 Jahren, mittelfristig «ineffiziente» Subventionen für diese klimaschädlichen fossilen Energieträger abzubauen. Doch steht dies in hartem Widerspruch zur Realität: 2022 haben sich diese Subventionen nach Zahlen der Internationalen Energie-Agentur gegenüber dem Vorjahr weltweit auf den Rekordwert von gut einer Billion Dollar verdoppelt.
Beim Verbrennen von Kohle, Öl und Gas werden klimaschädliche Treibhausgase freigesetzt. Die G20 verantworten etwa 80 Prozent dieser Emissionen; den Löwenanteil haben China, die USA und die EU.
USA setzen sich bei G20-Gipfel 2026 durch
Ein anderer Konfliktpunkt in Neu Delhi war, ob der G20-Gipfel im Jahr 2026 in den USA oder anderswo ausgerichtet werden soll. Die USA setzten sich dabei nach Angaben von Diplomaten gegen China durch. Der Gipfel 2024 ist in Brasilien, der im Jahr 2025 in Südafrika.
Annektierte Gebiete international nicht anerkannt
EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hatte kurz vor dem Beginn des Gipfels Bedingungen für die Zustimmung zu einer Abschlusserklärung gestellt. «Wichtig ist, dass wir die Grundsätze, die Grundprinzipien, aufrechterhalten», sagte sie in Neu Delhi in einem Interview von ARD und ZDF.
Dazu gehöre zum Beispiel, dass es in der Ukraine einen gerechten und dauerhaften Frieden geben müsse, die Unverletzlichkeit von Grenzen, aber auch, dass annektierte Gebiete nicht international anerkannt würden. «Diese Grundprinzipien, die verteidigen wir auch und die müssen in dem Kommuniqué drin sein», sagte sie.
Mitglieder der Gruppe sind neben der EU, Russland, China und Indien die Länder Deutschland, Argentinien, Australien, Brasilien, Frankreich, Grossbritannien, Indonesien, Italien, Japan, Kanada, Mexiko, Saudi-Arabien, Südafrika, Südkorea, Türkei und die USA.
Enttäuscht über Putins und Xi Jinping Absagen
Von der Leyen äusserte sich im Interview enttäuscht darüber, dass der chinesische Staatschef nicht am Gipfel teilnimmt. «Ich bedauere sehr, dass China nicht auf der höchsten Ebene vertreten ist, denn China kann auch viel zum Lösen der Probleme beitragen», sagte die frühere deutsche Verteidigungsministerin.
So sei China zum Beispiel auch für 30 Prozent der weltweiten Treibhausgasemissionen verantwortlich. «Jeder Rückschritt in der Klima-Agenda ist schlecht – und zwar für die ganze Welt», betonte von der Leyen in Anspielung auf die Gefahr, dass in der Vergangenheit gemachte Zusagen im Kampf gegen die Erderwärmung wieder abgeschwächt werden könnten.
Zugleich betonte sie, dass der Westen andere Staaten beim Umstieg auf klimafreundliche Technologien unterstützen müsse. «Die hoch entwickelten Länder haben massiv die Klimakrise ausgelöst durch die Treibhausgasemissionen», sagte sie. Deswegen habe man auch eine «Bringschuld» – gerade was die Finanzierung der Investitionen in Klimaschutz angehe.
SDA/wy
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