Bei einem Nein zum Covid-GesetzFürs Reisen bräuchte es ein Notfall-Zertifikat
Der Bundesrat warnt vor «erheblichen Schwierigkeiten» im Reiseverkehr, falls das Volk das Covid-Gesetz ablehnt. Aber: Er könnte für ein spezielles Reise-Zertifikat sorgen – möglicherweise sogar per Notverordnung.
Die Mienen waren bedrückt bis finster, als Bundespräsident Guy Parmelin und Gesundheitsminister Alain Berset den Abstimmungskampf fürs Covid-Gesetz eröffneten. «Wenn das Gesetz abgelehnt wird», sagte Berset, «treten die neuesten Massnahmen ausser Kraft, und das betrifft insbesondere das Zertifikat.»
Guy Parmelin ergänzte: «Ohne Zertifikat wird das Reisen ins und im Ausland erschwert – darum ist es für unser international vernetztes Land wirtschaftlich und gesellschaftlich sehr wichtig.» Als Wirtschaftsminister habe er darum «keine Angst, aber Respekt» vor dem Abstimmungsausgang.
Die Gegner des Gesetzes reagierten umgehend: «Es ist pure Angstmacherei, mit einer Einschränkung der Reisefreiheit zu drohen», sagte Josef Ender. Er ist Sprecher des Komitees, das gegen das Gesetz erfolgreich das Referendum ergriffen hatte.
«Wo ein Wille ist …»
Ender betont, dass sich das Referendum gegen den Einsatz des Zertifikats im Inland richtet, also in Beizen und bei Veranstaltungen, aber nicht gegen seine Benutzung beim Reisen. «Der Bundesrat könnte bei Bedarf Covid-Zertifikate für Auslandsreisen auf freiwilliger Basis ermöglichen – wo ein Wille ist, ist auch ein Weg.»
Diese Möglichkeit hatte Berset an der Pressekonferenz allerdings ausgeschlossen: «Es kommt nicht infrage, dass wir dies per dringliches Recht schaffen.» Berset bekräftigte: «Wir haben keinen Plan B.»
Was gilt nun?
Zunächst: Mit einem Nein bei der Abstimmung vom 28. November wird das Zertifikat nicht sofort abgeschafft. Das Gesetz bleibt – zum Leidwesen des Referendumskomitees – auch nach einem Volks-Nein noch vier Monate gültig. Die gesetzliche Grundlage für das Zertifikat würde erst am 20. März 2022 erlöschen.
Papierzertifikat bleibt gültig
Aber selbst das heisst nicht automatisch, dass die Zertifikate verfallen. Das Bundesamt für Gesundheit hält gegenüber der «NZZ am Sonntag» fest: «Die bereits ausgestellten Zertifikate blieben als Papierzertifikat weiterhin lesbar und könnten, falls ein anderer Staat dies akzeptiert, als Nachweis der Impfung oder Genesung weiterhin genutzt werden.»
Wenig ändern würde sich auch bei Reisen in die meisten Länder ausserhalb der Europäischen Union. Denn nur mit der EU besteht ein Übereinkommen für die gegenseitige Anerkennung von Covid-Zertifikaten. Völlig unmöglich würde das Reisen aber auch in der EU nicht. Die Union hält fest: «Reisen sind auch ohne das digitale Covid-Zertifikat möglich.» Nicht geimpfte Personen müssten ihr Recht auf Freizügigkeit weiterhin ausüben können, allenfalls eben mit Einschränkungen wie Testpflicht oder Quarantäne.
«Reisen ist ohnehin kompliziert geworden»
«Das Reisen ist in dieser Pandemie ohnehin kompliziert geworden», sagt der Arzt und Unternehmer Stephan Rietiker. «Ich bin in letzter Zeit häufig gereist und auf viele Hürden gestossen, das Zertifikat hilft einem oft nicht weiter. In Dubai zum Beispiel müssen alle Einreisenden einen PCR-Test machen.» Rietiker betreibt den massnahmenkritischen Blog «Inside Corona» und unterstützt das Referendum.
Dass der Bundesrat für den Fall einer Ablehnung keinen Plan B mit einem Reisezertifikat vorsieht, hält der Zürcher Staatsrechtsprofessor Felix Uhlmann «für politisch sehr riskant». Er sagt: «Falls es wirklich zu erheblichen Einschränkungen im Personenverkehr kommen wird, kann ich kaum glauben, dass der Bundesrat dies durchhalten wird.»
Uhlmann ist auch überzeugt, dass es dafür einen gangbaren Weg geben gibt. Es treffe zwar zu, dass ein dringliches Bundesgesetz nicht erneuert werden dürfe. Aber: «Ungeklärt ist, ob der Bundesrat die Notrechtskompetenz anrufen könnte, um gravierende Beschränkungen des freien Personenverkehrs zu korrigieren.»
Notfallszenario «nicht ausgeschlossen»
Zudem kann laut Ulmann auch das Parlament die Sache anpacken – allenfalls als Notfallszenario noch vor der Abstimmung: «Das wäre ungewöhnlich, aus meiner Sicht aber nicht ausgeschlossen.»
Dazu bereit wäre die SVP. Nationalrat Hans-Ueli Vogt sagte gegenüber «20 Minuten»: «Es würde nichts dagegen sprechen, dass das Parlament ein neues Covid-Gesetz mit einer viel eingeschränkteren Zertifikatspflicht erlässt.»
Ob dafür aber eine Mehrheit zustande käme, steht in den Sternen. Denn in der SP regt sich schon jetzt Widerstand: «Wir haben eine globale Pandemie, darum brauchen wir das Covid-Zertifikat», sagt Nationalrätin Tamara Funiciello. «Lehnt das Volk das Gesetz ab, muss es auch die Konsequenzen tragen.»
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