Reaktionen auf StandortentscheidEndlager in Grenznähe schlägt in Deutschland hohe Wellen
Die Zürcher Parteien fordern Transparenz, Mitsprache und Entschädigungen. Deutschland sorgt sich um das Trinkwasser für die grenznahe Bevölkerung.

In Deutschland sorgt der Entscheid der Nagra für Schlagzeilen, da sich der Standort in Grenznähe befindet, wenige Kilometer südlich der Gemeinde Hohentengen. Die deutschen Medien berichten prominent über das Vorhaben in der Schweiz.
Die grenznahen Gemeinden machen sich demnach vor allem Sorgen um die Trinkwasserversorgung für die Bevölkerung. «Wir haben überall Trinkwasserbrunnen, wir haben Aare und Rhein in der Nähe. Die Frage nach dem Trinkwasserschutz ist eine grosse Sorge der Bevölkerung», sagt Martin Steinebrunner von der Deutschen Koordinationsstelle Schweizer Tiefenlager (DKST) beim Regionalverband Hochrhein-Bodensee.
Für das deutsche Umweltministerium stellt die grenznahe Lage «sowohl in der Errichtungsphase als auch beim Betrieb des Endlagers für Hohentengen und umliegende Gemeinden eine grosse Belastung dar», sagte Christian Kühn, Parlamentarischer Staatssekretär und Bundestagsabgeordneter aus Baden-Württemberg, am Samstagabend in Berlin auf Anfrage.
«Ich setze mich bei der Schweiz dafür ein, dass die bisherige gute Einbindung der deutschen Nachbarn fortgesetzt wird.» Gleichzeitig betonte Kühn, dass es «richtig und wichtig» sei, dass die Geologie das entscheidende Kriterium für die Standortwahl eines Endlagers ist. In Deutschland steht die Entscheidung für einen eigenen Endlager-Standort für hoch radioaktiven Atommüll frühestens 2031 an.
Auch in der betroffenen Region kommt der Standortentscheid der Nagra erwartungsgemäss nicht gut an: «Es gibt doch keinen Ort, der ein Tiefenlager auf seinem Gebiet will», sagt Dieter Schaltegger, Gemeindepräsident von Stadel.
Er weist darauf hin, dass die Region, welche die Nagra Nördlich Lägern taufte, schon stark belastet sei, etwa von Fluglärm, so Schaltegger. «Jetzt kommt noch viel mehr auf uns zu.»
Am meisten Sorge, Schaltegger spricht gegenüber der Nachrichtenagentur Keystone-SDA von «Riesenrespekt», bereite der Bau des Tiefenlagers, der etwa für die Zeit von 2045 bis 2060 vorgesehen ist. «Diese lange Bauzeit wird die Gemeinde Stadel und die Region sehen und spüren.» Das sei ein grosser Eingriff mit einer Grossbaustelle, wie es sie weltweit noch nicht gegeben habe.
Verzögern, aber nicht aufhalten
Am Tiefenlager in seiner Region führe aber wohl nichts vorbei, meint der Stadler Gemeindepräsident. Mit einem Referendum liesse sich der Bau vielleicht verzögern, aber nicht aufhalten. «Dass die Nagra die Region Nördlich Lägern als klar sichersten Standort einstuft, lässt sich nicht ändern.» Es müssten schon neue Erkenntnisse technischer Natur auftauchen.
Dass sich die Region wirklich eignet, bezweifelt der Verein Lägern ohne Tiefenlager (Loti). Es sei nicht nachvollziehbar, weshalb sich die Nagra nun gerade für das Gebiet ausspreche, das sie vor wenigen Jahren noch ausrangieren wollte.
Denn 2015 sollte das Gebiet wegen ungünstigem Platzangebot in der bevorzugten Tiefe als Standort gestrichen werden. Auf Druck der Kantone und des Eidgenössischen Nuklearsicherheitsinspektorats blieb Nördlich Lägern dann im Rennen. Weshalb, ist für Loti heute unklar – der Verein warnt vor einem «unsicheren Tiefenlager».
Grüne und SP fordern weitere Untersuchungen
Für die Zürcher Grünen ist klar, dass die Schweiz die Verantwortung für ihre eigenen atomaren Abfälle übernehmen müsse. Dass das Tiefenlager im Raum Weiach-Stadel-Glattfelden überhaupt gebaut werde, sei mit dem am Samstag bekanntgewordenen «Standortvorschlag der Nagra» aber noch lange nicht entschieden, halten die Grünen in einer Mitteilung fest.
«Wir stellen höchste Ansprüche an Sicherheit und technische Machbarkeit des Tiefenlagers sowie an den Schutz der Bevölkerung und Umwelt vor den massiven Emissionen des Oberflächenbetriebs». Als Bedingungen für weitere Planungsschritte fordern die Grünen unter anderem einen verbindlichen Atomausstieg, explizite Abbruchkriterien und externe wissenschaftliche Überprüfung.
Für die Zürcher SP sind derzeit noch zu viele Fragen offen, die unabhängig untersucht und beantwortet werden müssten, wie sie schreibt. Sie verweist etwa auf den Schutz des Tiefengrundwassers oder mögliche Erdgasvorkommen, die den Bau eines Tiefenlagers infrage stellen könnten.

Die betroffene Bevölkerung in der Region Nördlich Lägern würde mit dem Lager für die Schweiz eine sehr grosse Last übernehmen, hält die SP fest. «Sie hat ein Anrecht darauf, dass auch die letzten Zweifel ausgeräumt und Alternativen weiter geprüft werden, bevor es zum Bau eines Tiefenlagers kommt.»
Dass das Gebiet die am besten geeignetste Region sei, müsse zweifelsfrei und unter Einbezug von internationalen Expertinnen und Experten bewiesen werden.
Bürgerliche mit Verfahren zufrieden
Die Zürcher FDP zeigt sich zufrieden, dass das bisherige Verfahren zur Standortsuche wie festgeschrieben fair, transparent und offen geführt wurde, wie Parteipräsident Hans-Jakob Boesch auf Anfrage der Nachrichtenagentur Keystone-SDA sagt.
«Natürlich hat niemand gern eine Deponie welcher Art auch immer vor seiner Haustür.» Aber für die FDP sei unbestritten, dass in der Schweiz entstandener Abfall auch hier entsorgt werden müsse.
Dabei komme selbstverständlich der Sicherheit die höchste Priorität zu. Die Standortsuche dürfe kein politischer Entscheid sein, was das bisherige Verfahren zu gewährleisten scheine. «Hierbei ist auch die Überprüfung von unabhängiger Seite zentral.»
Für die betroffene Region dürfe das Tiefenlager nicht nur eine Last sein, fordert Boesch weiter. «Es muss auch einen positiven Effekt haben.» Der FDP-Präsident verweist etwa auf mögliche Entschädigungen oder den bereits andiskutierten Bau eines Besucherzentrums, das auch Gäste und Arbeitsplätze in die Region bringen könnte. Wichtig sei, dass die Bevölkerung der Region in den Prozess einbezogen werde.
Die SVP des Kantons Zürich begrüsst in ihrer Stellungnahme, dass nach 14 Jahren mit dem Standortentscheid endlich ein wichtiger Schritt für eine sichere Lagerung des in der Schweiz anfallenden radioaktiven Abfalls erfolgt sei.
Die SVP fordert insbesondere, dass die Ergebnisse der Untersuchungen im Bereich Sicherheit transparent, verständlich und vollständig veröffentlicht werden. «Zur Sicherheit gehören nicht nur das eigentliche Lager, sondern auch die Zubringer-Transportrouten.
Beim Bau eines Tiefenlagers seien aber auch die Eigentumsrechte der Bürgerinnen und Bürger sowie die Gemeindeautonomie in raumplanerischen Fragen zu wahren, hält die SVP weiter fest. Zudem seien die unmittelbar betroffenen Standortgemeinden für die ihnen erwachsenden Lasten zu entschädigen.
Greenpeace sieht nur kleinen Fortschritt
Die Organisation Greenpeace nimmt den Standortentscheid zur Kenntnis: Dieser stelle nur einen kleinen Fortschritt dar. «Die Langzeitlagerung von Atommüll wird noch Generationen beschäftigen.»
Weltweit gebe es keine Erfahrungswerte über die Langzeitlagerung von hoch radioaktivem Atomabfall, heisst es in einer Stellungnahme. «Auch weiss niemand, ob und wie der Lagerstandort für künftige Generationen gekennzeichnet werden soll.»
SDA/anf
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