US-PräsidentschaftswahlFür Trump ist es vorbei – jetzt wirklich
Selten war eine Formsache so aufgeladen: Das Electoral College bestätigt Joe Bidens Wahl zum Präsidenten – und erhöht damit den Druck auf die Republikaner, sich von Trump zu distanzieren.
Sie trafen sich in den Landesparlamenten, in Turnhallen und – wegen der Corona-Pandemie – in Videokonferenzen. Die 538 Mitglieder des Electoral College kamen am Montag in den 50 Bundesstaaten sowie der Hauptstadt Washington zusammen, um die Stimmen abzugeben, die das Ergebnis sechs Wochen nach der US-Präsidentschaftswahl offiziell machen.
Es gibt nun keinen Zweifel mehr: Joe Biden ist mit 306 Stimmen zum neuen und 46. Präsidenten der Vereinigten Staaten gewählt worden. Und noch bevor die letzten Wahlleute abgestimmt hatten, sagte Biden: «Im Kampf um die Seele Amerikas hat die Demokratie obsiegt.»
Drohungen gegen Wahlleute
In einem normalen Wahljahr finden die Treffen des Electoral College kaum Beachtung. Sie sind bloss der formale Vollzug der Wahl – ein eher langweiliges Verfahren, bei dem die Wahlleute schriftlich ihr Votum für den Kandidaten abgeben, der die Wahl in ihrem jeweiligen Bundesstaat gewonnen hat.
Diesmal war jedoch vieles anders. Die Kabelsender begleiteten das Prozedere den ganzen Tag über live, mit Bildern aus Parlamentssälen und Sitzungszimmern, mit zugeschaltenen Reportern und Gästen im Studios, die ständig Sätze sagten wie: «Wir erleben hier Demokratie im Einsatz.»
Nicht, dass all dies mit irgendeiner Spannung verbunden gewesen wäre: In den meisten Bundesstaaten sind die Elektoren gesetzlich verpflichtet, sich an die Wahlergebnisse zu halten, und auch dort, wo dies nicht der Fall ist, halten sie sich in aller Regel an das Mandat, das sie von den Wählern erhalten haben.
Es war Donald Trump geschuldet, dass der ganze Tag überhaupt eine so grosse Bedeutung erhielt. Der unterlegene Amtsinhaber hat die Wochen seit der Wahl damit verbracht, gegen seine Niederlage anzukämpfen, rhetorisch und vor Gericht. Mit seinen Klagen ist Trump auf ganzer Linie gescheitert, aber es ist ihm immerhin gelungen, die meisten führenden Republikaner dazu zu bringen, so zu tun, als wäre die Wahl noch nicht entschieden – als gäbe es noch eine realistische Chance, dass Trump doch Präsident bleibt.
Davon kann spätestens jetzt nicht mehr die Rede sein. Biden erhielt 306 Elektorenstimmen, Trump 232 – es ist vorbei. «Das Vertrauen in unsere Institutionen hat gehalten. Die Integrität unserer Wahlen bleibt intakt», sagte der designierte Präsident, als er sich am Abend aus seinem Wohnort in Delaware an die Amerikanerinnen und Amerikaner wandte.
«Es ist Zeit, das nächste Kapitel aufzuschlagen.»
Es war das erste Mal seit längerem, dass sich Biden ausführlich zur Wahl äusserte. Er lobte die lokalen Wahlhelfer und Offiziellen, die in den vergangenen Wochen von Trump beschimpft und von seinen Anhängern mit Gewalt bedroht wurden: «Unsere Demokratie hat dank ihnen überlebt.»
Auch Biden weiss, dass Trumps Gerede von einem angeblichen systematischen Wahlbetrug Teile von dessen Anhängerschaft radikalisiert hat. Das führte dazu, dass sich die Elektoren am Montag in mehreren Bundesstaaten nur mit verschärften Schutzmassnahmen treffen konnten, weil es auch gegen sie Drohungen gegeben hatte. In Michigan, wo rechtsextreme Milizen im Sommer die Entführung der demokratischen Gouverneurin geplant hatten, liess die Regierung nach Warnungen der Polizei gleich das ganze Parlamentsgebäude absperren.
Biden wies in seiner Rede darauf hin, dass Trump jede erdenkliche Möglichkeit genutzt habe, das Wahlresultat gerichtlich anzufechten – und dabei Dutzende Male scheiterte. Das Land müsse nun zusammenkommen und heilen, forderte der Demokrate: «Es ist Zeit, das nächste Kapitel aufzuschlagen.»
Ein Parteiaustritt aus Protest
Es gab am Montag vorsichtige Anzeichen dafür, dass dies tatsächlich geschehen könnte – zumindest, wenn man die ersten Reaktionen von republikanischen Politikern zum Massstab nahm. Senator Mike Braun, ein treuer Unterstützer Trumps, bezeichnete die Abstimmung des Electoral College als «Wendepunkt» und rief dazu auf, nun den Prozess zu respektieren, der über den Ausgang der Präsidentschaftswahl entscheide – was man als Kritik am Präsidenten lesen konnte. Auch Senator Lindsey Graham, einer von Trumps eifrigsten Verteidigern, räumte gegenüber Journalisten erstmals ein, dass Biden der nächste Präsident werde.
Andere Republikaner wurden noch deutlicher. Paul Mitchell, ein Abgeordneter im Repräsentantenhaus, gab am Montag aus Protest seinen Austritt aus der Partei bekannt. Er könne es nicht länger mitverantworten, dass die Republikaner Trump dabei unterstützten, «langfristige Schäden an unserer Demokratie» anzurichten, indem sie dessen unbegründete Vorwürfe tolerierten oder beförderten.
Und beim TV-Sender Fox News rief der Kommentator Geraldo Rivera «meinen Freund, den Präsidenten» dazu auf, seine Niederlage einzugestehen: «Je länger das noch andauert, desto mehr beschädigen wir unsere Demokratie.»
Trumps neuestes Zerwürfnis
Die kommenden Tage werden zeigen, ob sich solche Stimmen bei den Republikanern mehren oder ob sie die Ausnahme bleiben. Für Trump ist die Wahl jedenfalls immer noch nicht vorbei, und es war wohl auch kein Zufall, dass der Präsident ausgerechnet am Montagabend bekannt gab, dass sein Justizminister William Barr in den kommenden Tagen zurücktreten werde – ganz so, als wolle Trump von der Bestätigung von Bidens Sieg durch das Electoral College ablenken.
Über einen vorzeitigen Abgang Barrs war in den US-Medien schon seit einiger Zeit spekuliert worden. Trump ist nach diesen Berichten verärgert darüber, dass der Justizminister in einem Interview erklärt hat, dass er keine Anzeichen für einen Wahlbetrug gesehen habe. Zudem wirft der Präsident Barr vor, ihn ihm Stich gelassen zu haben, weil er schon vor der Wahl über die Ermittlungen des FBI gegen Bidens Sohn Hunter Biden wusste – diese aber geheim hielt. Barr habe Trump verraten, schimpfen konservativen Medien sei Tagen.
Biden wird es egal sein. Er will womöglich noch diese Woche bekannt geben, wen er nach seinem Amtsantritt am 20. Januar zum neuen Justizminister ernennen will. Auch wenn es Trump noch nicht einsieht, auch wenn er und seine Verbündeten am 6. Januar im Kongress noch ein letztes, aussichtsloses Manöver planen, um Trumps Niederlage noch irgendwie abzuwenden: Trumps Zeit im Weissen Haus ist bald zu Ende.
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