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Schweizer Ringer Stefan Reichmuth
Für seinen Olympiatraum verzichtet er auch auf fliessend Wasser

Der bisher grösste Erfolg in der Karriere des Stefan Reichmuth: Mit dem Sieg gegen Carlos Arturo Izquierdo Mendez sichert sich der Luzerner 2019 WM-Bronze in Nur-Sultan – und das Olympiaticket.

Eine gebrochene Hand und eine gebrochene Rippe, dazu eine Mandeloperation: ein reiches medizinisches Bulletin für das Jahr 2020. Aber Stefan Reichmuth winkt ab: «Ringen ist nun mal nicht der harmloseste Sport. Solche Verletzungen sind normal.» Beide Knie musste er operieren lassen, der Meniskus war schon kaputt, ab und zu gibts eine Gehirnerschütterung, Finger und Hände sind generell besonders anfällig.

«Stifi», wie er von allen genannt wird, hat sein Leben dem Freistilringen verschrieben. Das ganz grosse Ziel: Olympische Spiele. Mit Platz 3 an der WM 2019 im Limit bis 86 Kilogramm hatte er sich das Ticket für Tokio gesichert, war mitten in den Vorbereitungen, als die Corona-Pandemie kam. Die Folgen: Ungewissheit, eingeschränkte Trainingsmöglichkeiten, Absage aller Wettkämpfe. Dazu die Frage, ob er je in Japan würde um Medaillen kämpfen können. Heute sagt er: «Mental war es schwierig.»

Nicht alles war aber schlecht. Er, der seit zehn Jahren einen Grossteil seiner Zeit im Ausland verbringt, ist nun viel zu Hause. «Ich konnte viel mehr Zeit als sonst mit der Familie und meinen Freunden verbringen», erzählt er und fügt mit einem Schmunzeln an: «Und eine Freundin habe ich auch gefunden.»

Reichmuth wird im September 27, stammt aus Grosswangen im Luzerner Hinterland. Die Gegend ist eine der Schweizer Ringerhochburgen, Stefan Reichmuth kommt durch seinen Vater und seinen vier Jahre älteren Bruder zum Ringen. Inspiriert wird er auch durch seinen Götti: Rolf Scherrer nahm 2000 und 2004 an den Olympischen Spielen teil.

Stefan Reichmuth ist bereit für seinen grossen Traum: Eine Olympiamedaille.

«Ich wäre fürs Training auch auf eine Alp gegangen»

Man kennt sich, man hilft sich: Als der erste Lockdown plötzlich das ganze Land in Schockstarre versetzt, wird im Luzernischen hart gearbeitet. Innert drei Tagen hat Reichmuth einen Trainingsraum zur Verfügung und auch einen Kraftraum. Und wären die Massnahmen irgendwann noch verschärft worden, hätte Reichmuth mit seinem Umfeld ebenfalls eine Lösung parat gehabt: «Ich wäre auf eine Alp gegangen und hätte in einer Hütte eine Matte ausgelegt.»

Unter normalen Umständen ist er für seinen Sport bis zu 230 Tage pro Jahr im Ausland, seine Trainingsdestinationen heissen unter anderem: Bulgarien, Aserbeidschan, Türkei. Meistens ist er in Blöcken von drei Wochen unterwegs, dann eine Woche zu Hause, um seine Kleider zu waschen und den nächsten Trip vorzubereiten. «Um besser zu werden, muss man mit den Besten trainieren», begründet er diesen Rhythmus, «und diese Länder haben eine grosse Anzahl lizenzierter Ringer. Die Sportart hat dort generell einen ganz anderen Stellenwert als bei uns.»

Der Trainingspartner des 26-jährigen Luzerners hat das Nachsehen.

Es sind nicht gerade Orte, die von Touristen überlaufen werden, und dementsprechend ist das Ambiente. Reichmuth erzählt: «Die Leute leben unter einfachsten Bedingungen, das Ringen ist für viele der einzige Weg, viel Geld zu verdienen. Sobald sie auf der Matte stehen, geht es für sie um Leben und Tod, sie müssen ihre Familie ernähren.» Für Reichmuth ist die Situation gerade umgekehrt – es gibt wohl keinen Weg, mit dem er weniger verdienen könnte. Das stört ihn nicht: «Geld ist mir nicht wichtig. Ich will meine Leidenschaft ausleben, mir meinen Kindheitstraum erfüllen und an der Weltspitze dabei sein.» Er ist überzeugt, dass er dafür in anderen Bereichen reicher ist: «Ich übe Spitzensport in krassen Verhältnissen aus und bin um einiges weiter als Leute, die viel mehr verdienen. Ich habe viel mehr Lebenserfahrung als sie.»

Immer wieder wird er in diesen Ländern auch mit Armut konfrontiert. Und stellt sich natürlich auch grundsätzliche Fragen über die Prioritätensetzung: «Die Leute dort haben oft nicht einmal fliessendes Wasser. Und wir fragen uns, ob wir nun das neuste Modell von Samsung oder des iPhone brauchen.»

«Die Leute dort haben oft nicht einmal fliessendes Wasser. Und wir fragen uns, ob wir nun das neuste Modell von Samsung oder des iPhone brauchen.»

Stefan Reichmuth

Natürlich kosten auch die vielen Reisen. Reichmuth ist sehr froh um seine Anstellung als Zeitmilitär-Spitzensportler bei der Armee. Daneben hat er Unterstützer und Sponsoren und seinen Gönnerverein. Er wurde 2019 gegründet, zählt rund 100 Mitglieder, Präsident ist sein bester Kollege, die Schwester Vizepräsidentin. Auch die Mentaltrainerin und der Physiotherapeut stammen aus seinem Umfeld. Reichmuth ist dankbar: «Ihnen ist kein Traum von mir zu gross.»

Magglingen, Dagestan, Andermatt

Im Mai verbrachte Reichmuth in einem Trainingslager in Magglingen drei Wochen lang 16 Stunden am Tag in einem Höhenzimmer, um seine Sauerstoffaufnahmekapazität und damit die Ausdauer im Hinblick auf Tokio zu erhöhen. Im Juni ging es zwei Wochen nach Machatschkala in der russischen Provinz Dagestan, einem wahren Ringer-Mekka, wo die Anzahl Trainingspartner praktisch unbegrenzt ist. Den Feinschliff wollte er sich in Kasachstan holen, wegen der Corona-Situation wurden die Schweizer aber kurzfristig ausgeladen. Stattdessen wurde unter Nationaltrainer Nicolae Ghita in Willisau und Andermatt geübt, mit je einem Sparringspartner aus Moldau und Frankreich.

In Tokio geht es mit den Achtelfinals los, das Teilnehmerfeld ist um die Hälfte kleiner als an einer WM. Ein Kampf dauert sechs Minuten, wer verliert, scheidet aus. Bei einer Niederlage gegen einen späteren Finalisten ist über die Hoffnungsrunde Bronze aber noch möglich. Reichmuth hat ein Ziel: «Ich will von der Matte laufen und sagen können, dass ich 100 Prozent abgerufen habe. Dann ist auch eine Medaille möglich.»

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