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«Für Roman Bürki ist es brutal»

Die Qual der Wahl: Goalietrainer Patrick Foletti.
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Ist die Schweiz ein Land der Torhüter?

Ja. Und das ist immer so gewesen. Wenn man zurückschaut, auf die letzten 40, 50 Jahre, hat die Schweiz immer herausragende Torhüter gehabt.

Aber nicht in dieser Dichte wie jetzt.

Das hat sich geändert in den letzten zehn Jahren, ja.

Jetzt gibt es Sommer und Bürki, die bei deutschen Spitzenclubs unbestritten sind, es gibt Hitz, der in Dortmund problemlos spielen könnte – Mvogo, Omlin, von Ballmoos, Kobel drängen nach. Ist das ein Zufall?

Es gibt mehrere Gründe, der wichtigste ist Mutter Natur. Um an der Spitze zu bestehen, musst du ein überdurchschnittliches Talent besitzen. Die sieben Spieler, die Sie genannt haben, erfüllen diese Voraussetzung. Aber das Talent heisst noch nicht, dass du automatisch nach oben kommst. Es braucht noch mehr. Der zweite Faktor ist, dass wir in der Schweiz in den letzten elf Jahren ein Ausbildungsmodell auf die Beine gestellt haben, das von allen getragen wird.

Das heisst?

Man darf nicht vergessen, dass die Spieler in den Vereinen trainieren und da die Arbeit gemacht wird. Wir haben ein Dreieck-System aufgestellt: Das sind die Nationalmannschaften, also alle ab der U-15, die Ausbildung der Torwarttrainer und die Betreuung der Partnerschaften. Überall wird das Gleiche weitergegeben. Und weil wir in einem kleinen Land leben, ist es einfacher gewesen, alle auf die gleiche Linie zu bringen. Das hat uns geholfen, unsere Jungen dank klarer Struktur, Vision und Konzept einheitlich auszubilden.

Was macht einen guten Goalie aus?

Einerseits die Verwaltung der Emotionen, andererseits die Spielintelligenz. Technisch und konditionell sind alle auf Topniveau. Ich bringe sogar eine Ameise dazu, ­höher zu springen, wenn ich mit ihr richtig arbeite. Aber entscheidend ist: Wie gehe ich mit meinen Emotionen um? In dieser Beziehung habe ich sehr gute Erfahrungen machen können mit Yann (Sommer) und Roman (Bürki), als sie von der Schweiz in die Bundesliga wechselten. Am Anfang hatten sie Schwierigkeiten, mit dem Rundherum umzugehen, mit dem Druck, der Erwartungshaltung, mit Misserfolg und Erfolg. Wie sie das gelernt haben, das nenne ich Verwaltung der Emotionen.

Also die mentale Stärke.

Ja. Die brauchst du und dazu die Spielintelligenz. Offensiv heisst das: Wen spiele ich an? Wer kann mit dem Ball in einer bestimmten Situation etwas anfangen und wer gerade nicht? Was ist die gute Lösung? Und defensiv: Wo stehe ich, um eine Situation zu antizipieren?

Muss ein Torhüter die Umgebung, zum Beispiel die 80'000 Zuschauer in Dortmund, besser ausblenden können als ein Stürmer?

Definitiv. Aber es geht auch um den psychologischen Zustand eines Torhüters. Ein Stürmer kann 90 Minuten lang nichts treffen, in der 91. macht er das entscheidende Tor. Ein Torhüter dagegen kann 90 Minuten lang super spielen, in der 91. macht er den entscheidenden Fehler. Mit dieser Tatsache muss ein Goalie fertig werden.

Und das macht den Unterschied zwischen dem guten und dem sehr guten Goalie aus?

Genau. Früher nahm ich für meine Jungen immer Oliver Kahn als Beispiel. Extra ihn, weil er als Spielertyp überhaupt nicht meinem Profil entsprach. Aber mit ihm wollte ich zeigen, was mentale Stärke bedeutet. Er wurde im Stadion beschimpft und gehasst, sein Privatleben fand teilweise in der Boulevardpresse statt, und trotzdem: Alle drei Tage seine Leistung zu bringen, das kann nicht jeder. Er konnte das.

Wen nehmen Sie heute als Beispiel? Neuer? Buffon?

Alle, die an der Spitze sind, können mit dem Druck umgehen. Ich sage meinen Spielern gerne: Technisch und konditionell gibt es keinen Riesenunterschied zu ihnen. Aber der Unterschied ist hier. (Er tippt mit dem Zeigfinger an den Kopf, die Red.) Nur hier, um den nächsten Schritt zu machen!

Lässt sich das trainieren?

Ja, und du musst das auch machen. Noch haben das nicht alle erkannt. Das ist eine typische Erscheinung des Mannschaftssportlers. Ein Einzelsportler, ob Federer oder ein Unbekannter, arbeitet in diesem Bereich. Der Mannschaftssportler, besonders der Fussballer, sagt: Ach, das will ich nicht.

Denkt ein Goalie anders? Weil er mehr Einzelsportler ist?

Das ist ein Grund mehr, genau. Bei jüngeren Goalies ist das noch anders. Wenn ich ihnen rate, mit einem Mentalcoach zu reden, ­sehen sie das zum Teil als Niederlage an. Sie sagen: «Wieso ich? Ich brauche das nicht. Mir geht es gut. Ich bin gut. Ich bin selbstbewusst.» Aber vielleicht ist das nur eine Fassade. Und dahinter gibt es ein Problem, das zu lösen ist. Ein Torhütertrainer muss verstehen, dass ein grosser Teil seiner Arbeit in diesem Bereich stattfindet.

«Ich bringe sogar eine Ameise dazu, höher zu springen, wenn ich richtig arbeite»

Patrick Foletti

Roman Bürki hat auf diese Saison hin einen grossen Leistungssprung gemacht. Wie ist das möglich gewesen?

Er kann besser mit seinen Emotionen umgehen. Er hat ein Gleichgewicht gefunden, das letzte Saison aus verschiedensten Gründen gefehlt hatte.

Kann er ausblenden, wenn zum Beispiel im Training nicht alles stimmt oder der Druck von der Tribüne zu gross ist?

Ausblenden kann er die Tribüne vielleicht nicht. Die 80'000 sind noch immer da. Aber er muss mit ihnen umgehen können. Darum rede ich vom Verwalten der Emotionen. Ein Stürmer dreht nach einem Tor eine halbe Ehrenrunde. Ein Goalie dagegen ballt nach einer Superparade vielleicht schnell die Fäuste. Die eigentliche Emotion kann er nicht zum Ausdruck bringen. Zumindest nicht im vergleichbaren Mass. Und wenn er es macht, kann er die Kontrolle über seine Emotionen verlieren. Ein Stürmer kann fünf Minuten lang jubeln, ein Torhüter darf das nicht. Er muss bis in die 95. Minute im Hier und Jetzt sein.

Was ist das Spannende am Torhüterspiel?

Er ist der kompletteste Sportler auf dem Platz im Bereich Technik, Taktik, Kondition, Mentales.

Sagen Sie das einem Stürmer oder Spielmacher.

Das sage ich immer wieder. Im mentalen Bereich geht es für einen Torhüter um Verantwortung, um den schmalen Grat, entscheidend zu sein oder ein Versager zu werden. Diese Verantwortung habe ich schon als Kind geliebt.

Ist es einfacher, einen Torhüter auszubilden als einen Stürmer, dem dauernd die Gegner nach den Beinen treten?

Als Torhüter hast du auch immer drei, vier Spieler, die auf dich losgehen. Wenn wir die Situation in der Nationalmannschaft anschauen, könnte man denken: Ja, es ist einfacher, weil wir in der Dichte mehr gute Goalies haben als Stürmer. Vielleicht ist es wirklich einfacher, weil wir bei den Goalies eine engere Betreuung haben. Der Stürmer ist einer von 20, die Arbeit des Trainers mit ihm ist von der Zeit, von der Intensität, vom ­Volumen her geringer als das, was ich in der gleichen Zeit mit einem Torhüter machen kann.

Wieso ist Sommer die Nummer 1 und nicht Bürki?

Weil Yann in der Gesamtbewertung noch immer besser ist als Roman. Es ist klar, die Unterschiede zwischen Yann, Roman, Yvon Mvogo und den anderen, die in den letzten drei Monaten im Nationalteam geschnuppert haben, von Ballmoos, Omlin, Kobel, sind minim geworden. Bei allem Respekt, es ist nicht mehr wie früher, als es zwischen Benaglio, Wölfli und Leoni klare Unterschiede gab.

Und was genau trennt Sommer vom Rest?

Vor allem in der Verwaltung der Emotionen und der Spielintelligenz ist er weiterhin vor allen anderen. Ende der Durchsage.

Dann muss das für einen Bürki, der beim Leader der Bundesliga unbestritten ist, doch sehr frustrierend sein.

Das ist für ihn beschissen und brutal. Die Goalies, die zum Nationalteam kommen, sind die Nummer 1 im Club, und bei uns müssen sie eine andere Rolle übernehmen. Marwin Hitz war in Augsburg die Nummer 1, aber an der EM in Frankreich war er die Nummer 3 und hatte Riesenmühe, bis zum Ende damit umzugehen. Jetzt traf er zehn Tage vor der WM in Russland den Entscheid, nicht mitzukommen. Er sagte mir, er könne die Erwartungen, die ich an ihn hätte, nicht erfüllen.

Müssen Sie sich mit den Ersatzspielern mehr beschäftigen?

Das ist fast schwieriger, mit der Nummer 2 und 3 umzugehen als mit der Nummer 1. Die weiss: Jetzt ist Brasilien, dann kommt Serbien, Costa Rica, und ich spiele… Der andere denkt: Ja, jetzt kommt Brasilien, aber Mist!, ich spiele nicht. Ich bin in Toljatti, vier Wochen, was mache ich da bloss?

Sommer ist keine 30 und kann noch vier, fünf Jahre spielen.

Ja. Ich habe kürzlich intern eine Präsentation gemacht. 1988: Jahrgang von Sommer. 1998: Jahrgang von Racioppi (Lyon) und Köhn (Salzburg), die nächstes Jahr in der U-21 starten. Dazwischen sind: Bürki, Mvogo, Omlin, von Ballmoos, Kobel.

Und das sind alles…

...mögliche Kandidaten, um der nächste Sommer zu werden, ja! Die Auswahl ist brutal. Rechnen Sie aus: Für die nächsten 15, 20 Jahre sind wir gut aufgestellt.

Gab es noch nie Ärger zwischen der Nummer 1 und dem Rest?

Alle sind gut erzogen. Aber die Spannungen sind da. Die spüre ich auf dem Platz. Es ist immer interessant, zu sehen, wie eine Gruppe funktioniert, wenn einer der drei im Training nicht da ist, sondern bei den Feldspielern gebraucht wird. Die Qualität der Arbeit bleibt genau gleich, aber die Luft ist fünf Grad kälter oder wärmer, je nachdem, wie die Gruppe aussieht.

Haben Sie noch nie den Eindruck gehabt, dass Bürki auf Sommer losgehen könnte?

Vielleicht hat er das unterbewusst in einem schwachen Moment gedacht. Aber als Goalie kennst du das Business. Du weisst: Es ist Teil des Spiels, Ersatz zu sein, vor allem in einem Nationalteam. Unsere Torhüter sind keine Spinner. Sie müssen graue Materie im Kopf ­haben und überlegen können.