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Kündigungswelle rauscht durch Russland
Für ein Leben nach der Propaganda

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Die russische Medienlandschaft wird derzeit von einer Kündigungswelle unzufriedener Journalistinnen überrollt, die nicht länger bereit sind, Putins Kriegspropaganda in die Wohnzimmer zwischen Kaliningrad und Wladiwostok zu tragen.

Die wohl bekannteste Kündigung reichte Marina Owsjannikowa am Mittwoch beim Moskauer Staatsfernsehen ein, nachdem sie während der quotenstarken Abendnachrichten «Wremja» am Montagabend ins Studio gestürmt war und in die Kamera ein Transparent mit folgender Botschaft gehalten hatte: «Stoppt den Krieg. Glaubt der Propaganda nicht. Hier werdet ihr belogen. Russen sind gegen Krieg.» 

Im Vorfeld erklärte die Journalistin in einem privaten Video auf Facebook, dass sie sich während der vergangenen Jahre durchaus bewusst gewesen sei, mit ihrer Arbeit Kremlpropaganda zu verbreiten – und dass sie sich nun dafür schäme. 

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Gegenüber dem «Spiegel» beschreibt Owsjannikowa, wie es zu ihrem Sinneswandel kam: «Als Auslandsredakteurin stand ich mit internationalen Agenturen wie Reuters in Kontakt und bekam eine andere Realität zu sehen als jene, die wir beim Ersten Kanal zeigten.» Die Propaganda habe schon vor dem Krieg in der Ukraine schreckliche Formen angenommen, nach Ausbruch des Kriegs sei es jedoch unmöglich geworden, das Ausmass der Propaganda weiter zu ertragen, so die 43-jährige Mutter zweier Kinder. Offenbar ist Owsjannikowa mit ihrem Unmut nicht allein. 

«Die meisten Menschen, die für das Staatsfernsehen arbeiten, verstehen sehr genau, was vor sich geht. Sie ringen ständig innerlich zwischen der Arbeit und dem eigenen moralischen Kompass. (…) Die Kollegen müssen aber ihre Familien ernähren, wissen, dass sie im derzeitigen politischen Klima keinen anderen Job finden werden», so Owsjannikowa.

Zahlreiche prominente Abgänge

Doch immer mehr Journalistinnen und Journalisten nehmen derzeit dieses Risiko auf sich. Kurz nach der medienwirksamen Protestaktion gaben weitere landesweit bekannte Journalistinnen und Journalisten ihre Stellen auf. So etwa Owsjannikowas Kanal-eins-Kollegin und Europa-Korrespondentin Schanna Agalakowa oder Lilia Gildejewa und Wadim Glusker, die beide jahrzehntelang für die Konkurrenz NTV moderierten.

Auch bei Russia Today, einem vom russischen Staat gegründeten und finanzierten Auslandsprogramm, kam es seit Kriegsausbruch zu prominenten Abgängen: Gekündigt haben seit dem 24. Februar Chefredaktorin Maria Baronowa, London-Korrespondentin Shadia Edwards-Dashti, Journalist Jonny Tickle sowie Moderator Frédéric Taddei. Baronowa begründete ihren Schritt gegenüber der BBC damit, dass Putin die russische Reputation zerstört und die Wirtschaft ohnehin schon an die Wand gefahren habe.

Bei der staatlichen russischen Medienholdinggesellschaft WGTRK habe der Direktor der täglichen Sendung «Gleb» seinen Posten gar während einer laufenden Sendung verlassen, teilte Roman Super, Journalist bei Radio Free Europe, auf Facebook mit. Insgesamt ist es gemäss Super bei WGTRK zu mindestens fünf prominenten Abgängen gekommen. So hätten neben dem «Gleb»-Direktor auch der Produzent und die Leiterin der Sendung «Putins Abteilung», der dienstälteste Produzent der Wochenzeitung «Westi Nedeli» sowie der TV-Moderator Sergei Brilow gekündigt.

Kanal eins, Owsjannikowas früherer Arbeitgeber, hatte zudem drei Tage vor Kriegsbeginn die beliebte Late-Night-Show «Wetscherni Urgant» des Schauspielers und Musikers Iwan Urgant temporär abgesetzt. Der Moderator hatte sich im Vorfeld mehrfach öffentlich gegen einen Krieg ausgesprochen. Am Tag der russischen Invasion, am 24. Februar, postete Urgant ein schwarzes Quadrat auf seinem Instagram-Profil zusammen mit dem in Russland beliebten Anti-Kriegs-Slogan: «Angst und Schmerz. Nein zum Krieg.»

«Ich mache mir Sorgen um meine Kinder»

Für die Medienschaffenden, die seit kurzem wieder auf Stellensuche sind, dürfte es schwierig werden, in Russland einen neuen Job im Journalismus zu finden. Zumal derzeit zahlreiche unabhängige russische Medien von der Bildfläche verschwinden, wie etwa der Fernsehsender TV-Rain oder die Radiostation Echo aus Moskau. Beide hatten den Krieg als Krieg und nicht als militärische Spezialoperation bezeichnet.

Journalistinnen, die ihre Stelle aus Protest gegen den Krieg kündigen, gehen jedoch nicht nur ein grosses berufliches Risiko ein. Putin, der die Ukraine angeblich «entnazifizieren» will, bezeichnete Dissidenten jüngst in einer Rede als Mücken, die es aus dem Volksmund auszuspucken gelte. 

Owsjannikowa sagte gegenüber dem «Spiegel»: «Mein Leben hat sich für immer verändert, das begreife ich erst langsam. Ich kann nicht mehr zurück in mein altes Leben. Ich mache mir jetzt wirklich grosse Sorgen um meine Kinder, meinen Sohn, 17 Jahre, meine Tochter, 11. Ich nehme Beruhigungsmittel.»

Theorien, Owsjannikowas Protest sei vom russischen Geheimdienst inszeniert worden, weist die Journalistin in einem Videointerview mit der «BBC» von sich: «Mein Sohn wirft mir vor, das Leben der gesamten Familie ruiniert zu haben. Hoffentlich wird er eines Tages verstehen, dass dieses Opfer nicht umsonst war.»