Interview mit Airline-Chef «Für Edelweiss ist das furchtbar»
Optimistisch startete Bernd Bauer ins Jahr 2022. Nun verändert der Krieg in der Ukraine auch die Reisewelt. Doch der Chef gibt die Hoffnung nicht auf.

Herr Bauer, wie wirkt sich der Krieg in der Ukraine aktuell auf Edelweiss aus?
Wir haben keine Routen, welche über den russischen oder ukrainischen Luftraum führen. Den Konflikt in der Ukraine spüren wir aber trotzdem deutlich. Einerseits durch den massiv gestiegenen Ölpreis, welcher sich auf unsere Kosten auswirkt, andererseits dämpft ein Konflikt in Europa aber auch die allgemeine Reisefreudigkeit.
Wie schafft man es, sich immer wieder auf neue Situationen einstellen zu müssen?
Für Edelweiss ist das furchtbar. Wir kamen relativ gut durch die zweite Hälfte 2021, bevor Omikron wieder alles auf den Kopf stellte. Als im Februar die Corona-Lockerungen angekündigt wurden, zogen die Buchungen deutlich an. Wir waren glücklich, endlich wieder Planungssicherheit zu haben. Wenn der Krieg lange dauert, wird es schwierig, die Kapazitäten, die wir eben wieder aufgebaut haben, halten zu können.
Haben sich die Leute in zwei Jahren Corona an Unwägbarkeiten gewöhnt?
Der Wunsch nach Ferienreisen bleibt ungebrochen. Ich denke schon, dass viele Leute mit Schwierigkeiten umgehen können. Aber ein Virus und ein Krieg in der Nachbarschaft sind doch zwei ganz unterschiedliche Bedrohungen.
Umweltbedenken, Krisen – trotzdem erhöht Edelweiss die Anzahl der Flüge auch auf der Langstrecke?
Nein, wir fliegen deutlich weniger zu Ferndestinationen als vor der Corona-Krise und mit vier Langstreckenmaschinen statt mit sechs. Edelweiss bietet auf der Langstrecke ein Drittel weniger Kapazitäten an als 2019. Aber natürlich, im Vergleich zum letzten Jahr ist es ein deutliches Wachstum. 2021 waren etwa die USA und Kanada noch keine bereisbaren Ziele. Seit letztem Jahr fliegen wir daher nun auch im Sommer Destinationen im Indischen Ozean an: Malediven, Seychellen und Mauritius, neu auch Sansibar und Kilimandscharo in Ostafrika.
«Wir fliegen deutlich weniger zu Ferndestinationen als vor der Corona-Krise.»
Wie viele Passagiere holen Sie über das Drehkreuz Zürich auf die Edelweiss-Langstreckenmaschinen?
Vor der Krise kam fast die Hälfte unserer Langstreckenpassagiere aus dem Ausland, jetzt sind es noch etwa 20 Prozent.
Wäre es klüger, sich angesichts der Weltlage ganz auf Kurzstreckenflüge zu fokussieren?
In der Tat hat sich die Nachfrage von der Lang- auf die Kurz- und Mittelstrecke verschoben. Wir stocken unsere A320-Flotte von zehn auf zwölf Maschinen auf, um die Hochsaison im Sommer gut bewältigen zu können. Die Erfahrung während der Pandemie zeigte: Ist eine Destination erst mal offen, wird sie auch gebucht.

Pisa, Bergen, Bilbao, Azoren: Warum fliegt Edelweiss Ziele an, die abseits touristischer Hotspots liegen?
Wir galten lange als Warmwasser-Carrier, der Passagiere ans Mittelmeer, auf die Kanaren oder nach Ägypten flog. Doch nun suchen Schweizerinnen und Schweizer vermehrt Individualität und Natur, eine Art schnell erreichbare Pendants zu Langstreckendestinationen.
Beispiele?
Island, das wir letztes Jahr zum ersten Mal anflogen, dann aber auch Cork in Irland, Newquay in Cornwall, die Azoren oder Bergen in Norwegen – alles Ausgangspunkte für Rundreisen oder Erkundungstouren in der Natur.
Wie evaluieren Sie neue Destinationen?
Unsere Planungsabteilung kann auf internationale Flughafen- und Buchungsdaten sowie Einreisestatistiken zurückgreifen. Sie führt eine Longlist von Wunschdestinationen. Wir schauen, was bei Schweizerinnen und Schweizern gefragt ist.
Welche neuen Reiseziele hat Edelweiss im Visier?
Wir prüfen weitere Optionen in Nordamerika und möchten unsere Flüge nach Argentinien und Brasilien wieder aufleben lassen. Kolumbien und Peru, die Philippinen und Bali wären für uns interessante Ferienziele. Im Falle der indonesischen Ferieninsel ist die Reichweite unserer Langstreckenmaschinen aber zu kurz, das würde nicht ohne Zwischenstopp funktionieren.
Schon heute fliegt Edelweiss mit dem gleichen Langstreckenflieger oft zwei Destinationen an – wie erklären Sie das den Passagieren?
Für einige Ziele reichen die Buchungen schlicht noch nicht, um sie exklusiv zu bedienen. Um die Destination trotzdem anbieten zu können, kombinieren wir daher beispielsweise Havanna mit Cancun, die Seychellen mit Mauritius oder Sansibar mit dem Kilimandscharo.

Während der Krise sparte Edelweiss beim Bordservice – kehren Sie nun zur alten Performance zurück?
Wir sind beim Bordprodukt wieder sehr nahe an dem Angebot von 2019. In der Businessclass auf der Langstrecke gibt es Restaurantservice mit gedeckten Tischen und Porzellangeschirr. Ausser auf sehr kurzen Flügen kann sich der Economy-Passagier über die Edelweiss-Box mit den kleinen Schalen freuen. Das Set besteht aus Kunststoff, der abgewaschen und wiederverwendet wird.
Weshalb fuhren Sie den Service so drastisch runter?
Wir verloren während der Corona-Krise in kurzer Zeit viel Geld und mussten sparen. Es ging darum, mit den Flügen, die wir noch durchführen konnten, nicht noch mehr Geld zu verlieren. Es ist sehr beunruhigend, wenn man vor dem geistigen Auge das Geld hinten aus dem Flieger purzeln sieht.
Wie wichtig ist Swissness noch für Edelweiss?
Wir werden immer internationaler, aber unsere DNA bleibt schweizerisch. Das fängt bei den Crewmitgliedern an, die einen starken Bezug zur Schweiz haben müssen, und geht zu den regionalen Produkten, die wir an Bord servieren. Denken Sie nur ans berühmte Appenzeller Biberli.
Weshalb kamen Sie im Gegensatz zur Swiss ohne Entlassungen durch die Krise?
Auch wegen der unbürokratischen Unterstützung durch den Staat. Nicht zu vergessen: Bei unserem im Schnitt sehr jungen Kabinenpersonal ist die Fluktuation immer gross. Während Corona war sie noch grösser; die Fliegerei verlor an Anziehungskraft. Es gab für die Crews ja kaum mehr attraktive Aufenthalte in schönen Hotels. Seit Oktober stocken wir den Bestand jetzt sogar wieder auf und werden bald 200 neue Flight-Attendants und 20 Leute fürs Cockpit eingestellt haben.
«Wir haben Glück mit unserem Heimmarkt. In der Schweiz wird Qualität geschätzt und bezahlt.»
Warum finden Sie trotz der tiefen Löhne Schweizer Flight-Attendants?
Wir bieten sehr attraktive Arbeitsplätze mit einem Mix aus Kurz- und Langstrecke. Die Löhne sind auch im Vergleich zu anderen Branchen wettbewerbsfähig. Wir brauchen uns da nicht zu verstecken.
Welche Marktentwicklungen bereiten Ihnen Sorge?
Airlines, die bisher auf Business-Strecken fokussiert waren, drücken ins Feriengeschäft, die Kernkompetenz von Edelweiss. Der Konkurrenzdruck nimmt stark zu.
Setzt die Konkurrenz die Preise unter Druck?
Gewiss. Wir sind in einem Dilemma: Die Nachfrage lässt noch zu wünschen übrig, bei stark vergrössertem Angebot. Und zusätzlich treibt der steigende Kerosinpreis die Kosten in die Höhe. Aber wir bleiben bei unserer bewährten Preisstruktur mit wenigen Ausschlägen nach oben und unten. Wir bieten das grösste Portfolio an Ferienzielen, die Passagiere müssen nicht bei jeder Aktion die Kreditkarte zücken, können einen Koffer und Sportgeräte ohne Aufpreis aufgeben und werden stets verpflegt. Wir sind keine Lowcost-Airline, sondern ein Premium-Ferien-Carrier. Und natürlich haben wir Glück mit unserem Heimmarkt. In der Schweiz wird Qualität geschätzt und bezahlt.

CO₂-Ausstoss, ökologischer Fussabdruck: Wie lässt sich die Fliegerei angesichts des Klimawandels noch rechtfertigen?
Wir versuchen, unserer Verantwortung gerecht zu werden. Solange aber synthetischer Treibstoff nicht in grosser Menge verfügbar ist, können wir als Airline nicht nachhaltig operieren.
Was können Sie gleichwohl für die Umwelt tun?
Wir unterstützen diverse Forschungsprojekte, vermeiden Abfall und Food-Waste an Bord, reduzieren Plastik und versuchen, so wenig Treibstoff wie möglich zu verbrauchen. Bei uns fliegen zudem 80 Passagiere mehr in einer Langstreckenmaschine als bei einem Netzwerk-Carrier, da wir ja keine First Class und eine kleinere Businessclass anbieten. Das reduziert den ökologischen Fussabdruck pro Passagier erheblich.
Wie viele Kunden kompensieren den CO₂-Ausstoss bei der Buchung über My Climate?
Vor der Krise waren es bei uns etwa 5 Prozent, jetzt ist der Wert klar gesunken.
Sind die Möglichkeiten, den Passagier in die Verantwortung miteinzubeziehen, ausgereizt?
Wir werden eine der ersten Airlines sein mit einem Tool im Buchungsablauf, welches dem Passagier zwei Möglichkeiten zur Kompensation aufzeigt: Man bezahlt entweder für das Pflanzen von Bäumen oder die Beimischung von Sustainable Aviation Fuel. Wobei es aber noch viel an Forschung bedarf, bis nachhaltiger Treibstoff wirklich kostengünstig und ausreichend verfügbar ist. Zugute kommt uns ausserdem, dass unsere Passagiere in der Regel für längere Zeit verreisen und nicht nur für eine Party nach New York oder London jetten.
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