EU-GrenzbehördeFrontex-Chef wirft das Handtuch
Lange haben die EU-Staaten Frontex-Chef Fabrice Leggeri gegen massive Kritik geschützt. Jetzt geht der Chef der Grenzagentur zwei Wochen vor der Abstimmung über das Frontex-Referendum in der Schweiz.
Der 54-jährige Franzose war längst das Gesicht hässlicher Praktiken an Europas Aussengrenzen: Frontex-Chef Fabrice Leggeri hat am Freitag dem Druck nachgegeben und seinen Rücktritt angeboten, der am Nachmittag vom Frontex-Verwaltungsrat angenommen wurde. Der Rücktritt biete die Chance auf einen Neuanfang, hiess es aus der Aufsichtsbehörde, in der die EU-Staaten das Sagen haben und die Schweiz mit eingeschränktem Stimmrecht am Tisch sitzt. Auf weitere Ermittlungen gegen Leggeri soll zwar verzichtet werden, aber zwei enge Mitarbeiter könnten ebenfalls zur Kündigung gedrängt werden.
Fabrice Leggeri war seit 2015 Direktor der recht jungen Grenzbehörde. EU-Kommission und Mitgliedsstaaten haben Frontex im Zuge der Flüchtlingskrise damals massiv ausgebaut. Das Budget ist von 100 Millionen noch vor zehn Jahren auf über 750 Millionen Euro angewachsen. Statt 1500 abrufbereiten nationalen Beamten soll ab 2027 eine Truppe von 10’000 Grenzwächtern bereitstehen, um die Mitgliedsstaaten zu unterstützen. Die Behörde mit Sitz in Warschau sollte die Antwort der EU auf die Flüchtlings- und Migrationskrise sein. Stattdessen liefert sie vor allem negative Schlagzeilen.
Mobbing und Missmanagement
Das deutsche Nachrichtenmagazin «Der Spiegel» berichtete bereits im vergangenen Jahr detailliert über sogenannte Pushbacks in der Ägäis. Griechische Grenzbeamte haben Boote mit Flüchtlingen abgedrängt, auf Rettungsinseln ohne Motor ausgesetzt oder gar zurück in türkische Gewässer geschleppt. Beamte von Frontex sollen die illegalen Rückführungen aus der Luft oder von Schiffen aus beobachtet haben. Die Behörde soll die Vorgänge selber dokumentiert, die Einträge aber in ihrem Computersystem manipuliert haben.
Hinzu kommen Vorwürfe wegen Missmanagement und Mobbing am Sitz der Behörde in Warschau, innert kürzester Zeit zur grössten EU-Agentur gewachsen. Leggeri soll überteuerte Flüge verrechnet haben, um zwischen der polnischen Hauptstadt und Brüssel zu pendeln, wo seine Lebensgefährtin wohnt. Während der Corona-Pandemie soll er überhaupt selten am Sitz von Frontex aufgetaucht sein. Die EU-Betrugsbehörde hat die Büros von Fabrice Leggeri sowie von seinem engsten Mitarbeiter durchsucht und danach einen sehr kritischen Bericht verfasst.
EU-Staaten mauern
Der Rücktritt kommt zum jetzigen Zeitpunkt nicht ganz zufällig. Die Mitgliedsstaaten haben lange gemauert, den angeschlagenen Frontex-Chef bis zuletzt gegen Kritik geschützt oder kritische Berichte unter Verschluss gehalten. Emmanuel Macron hatte ebenfalls an einem Rücktritt des früheren Verwaltungsbeamten aus Mulhouse vor der Stichwahl am Sonntag kein Interesse. Jetzt hat auch Frankreichs Präsident den Landsmann auf dem wichtigen Spitzenposten fallen gelassen.
Druck kam vor allem aus dem EU-Parlament, das im vergangenen Jahr aus Protest 90 Millionen Euro des Frontex-Haushalts zurückbehalten hat. Innerhalb der EU-Kommission waren die Meinungen zum Frontex-Chef geteilt. Die schwedische Sozialdemokratin Ylva Johansson hielt Leggeri vor, die Kritik zu ignorieren. Der griechische Konservative und Vizepräsident Margaritis Schinas hingegen verteidigte den Franzosen und bezeichnete Frontex noch kürzlich als «zentralen Erfolg» für die Migrations- und Flüchtlingspolitik der EU.
Idealer Sündenbock
Fabrice Leggeri ist am Ende über die eigene Arroganz gestürzt und gleichzeitig an den Erwartungen der Mitgliedsstaaten gescheitert. Der Frontex-Chef ist Sündenbock für den Widerspruch zwischen dem humanitären Anspruch der EU und der Realität an Europas Aussengrenze. Die Agentur ist nach der Flüchtlingskrise von 2015 unter dem Eindruck des Kontrollverlusts expandiert. Die europäischen Grenzbeamten sollen überforderte Länder an der Aussengrenze unterstützen.
Zwar verurteilen alle EU-Staaten die widerrechtliche Abschiebungen und verteidigen das Prinzip, dass jeder Ankommende ein Asylgesuch stellen darf. Abschottung ist aber noch immer der grösste Konsens, und die meisten Regierungen drücken angesichts illegaler Praktiken in Griechenland oder Kroatien die Augen zu.
Schweizer Referendum
Wie wird sich der Rücktritt auf die Abstimmung in der Schweiz in zwei Wochen auswirken? Die Schlagzeilen um Fabrice Leggeri bestätigen die Kritik der Gegner der Grenzagentur. Der Abgang von Leggeri könnte aber auch ein Befreiungsschlag und der Beweis sein, dass Frontex vielleicht doch reformfähig ist. Stellvertreterin Aija Kalnaja soll den Job bis zu einer raschen Neubesetzung übernehmen. Die Aufsichtsbehörde betont in ihrer Mitteilung, man sei überzeugt, dass ein effektiver Grenzschutz und der Respekt der Grundrechte zu vereinbaren seien.
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