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Franziskus in Marseille
Der Papst in der Stadt, wo das Stadion der grösste Tempel ist

Papst Franziskus verlässt die Wallfahrtskirche Notre-Dame de la Garde in Marseille
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Und plötzlich steht Marseille, die zweite oder gar nur dritte Stadt Frankreichs nach Grösse und Bedeutung, mitten im Zentrum der Aufmerksamkeit, sogar ein bisschen der globalen. Der Papst ist dort, das hat es erst einmal gegeben, ist lange her: 1533. Vor seiner Reise sagte Franziskus, er komme nicht nach Frankreich, er komme nach Marseille. Die Formulierung klang so politisch, dass er später nachschicken musste: «Ich habe nichts gegen Frankreich.» Das machte es nicht wirklich besser. Aber er hat viel übrig für Marseille.

Franziskus beschliesst die Rencontres Méditerranéennes, eine Tagung von Geistlichen und Jugendlichen aus allen Ländern rund ums Mittelmeer, bei der die grossen Themen behandelt wurden, die sie an den südlichen wie an den nördlichen Gestaden beschäftigen, vorab die Migration. Der Papst hält an diesem Samstag eine Rede im Palais du Pharo am alten Hafen, dem Tagungsort, lässt sich dann im Papamobil über die Avenue du Prado zum Vélodrome fahren, dem grossen Stadion der Stadt, wo er eine Messe feiern wird.

Ein einziges Bad in der Menge. Es wird sehr viel Volk erwartet: Marseille hat einen Hang zum Überschwang, mediterran körperlich und laut. Die Sicherheitsleute sind besorgt, 6000 Beamte wurden aufgeboten. Als kritisch gilt vor allem der Weg zum Stadion.

Marseille ist noch Norden, aber auch schon Süden, für beide Hemisphären ist die Stadt Peripherie.

Doch für den Papst zählt auch in diesem Fall das Symbol: Er reist am liebsten zu den Peripherien, den geografischen und existenziellen. Marseille steht fast idealtypisch für einige grosse Themen seines Pontifikats – die Problematik sozialer Verwerfungen, die Herausforderungen der Migration, der interreligiöse Dialog.

Die Stadt ist noch Norden, aber auch schon Süden. Für beide Hemisphären ist sie Peripherie. Eine Kreuzung von Kulturen und Religionen. Über viele Einwanderungswellen hinweg haben in Marseille sehr unterschiedliche Seelen zu einem Ganzen zusammengefunden. (Lesen Sie auch das Porträt des Erzbischofs von Marseille: «Der Favorit des Papstes kommt aus der Banlieue».)

Ein Viertel von rund einer Million Bewohnern sind Muslime, die meisten von ihnen kommen ursprünglich aus dem Maghreb, eine Überfahrt mit der Fähre entfernt. 80’000 Marseillais sind Juden, 20’000 Buddhisten. Beinahe die gesamte Diaspora aus den Komoren lebt in Marseille, das sind noch einmal 80’000. Und ungefähr 80’000 sind auch die Armenier. Korsen gibt es in Marseille auch viele, die sind zwar amtlich Franzosen, aber in erster Linie sind sie eben: Korsen.

18.06.2016, Fussball EURO 2016, EURO2016, Frankreich, France, Marseille, Game 23, Match 23, Spiel 23, Stade du Velodrome, Group F, 2. Spieltag, MD2, Island - Ungarn, ISL-UNG v.l. 
vl: Blick ins Stade du Velodrome in Marseille
Foto: Gerry Schmit

In Marseille ist man stolz darauf, dass das Zusammenleben fast immer harmonisch funktioniert, ein gesellschaftliches Wunder. Vielleicht liegt es daran, dass die meisten gewissermassen nach Marseille ausgewandert sind, dass sie auf der Flucht da ihren Hafen gefunden haben. Das Vélodrome ist der grösste gemeinsame Tempel – und die Leidenschaft für den gerade mal wieder chaotischen und sportlich unsteten Fussballverein Olympique de Marseille ist so etwas wie die gemeinsame Religion, über alle wahren Religionen hinweg.

Darum ist es schon richtig, dass der Papst seine Messe im Vélodrome feiert. Die Fans werden auch da sein. «Sie werden ein Spektakel veranstalten», sagte Jean-Marc Aveline, der Erzbischof von Marseille, der Zeitung «Le Parisien». «Es wird verrückt sein.» Für den Papst ist das, um es mit einer etwas strapazierten Metapher zu sagen, ein Heimspiel.

Lampedusa ist wieder in den Schlagzeilen. Vor zehn Jahren führte die erste Reise von Franziskus nach Lampedusa.

Franziskus wird wohl viel vom Drama der Migration im Mittelmeer reden und dabei an die europäischen Regierungen appellieren, vor allem auch an die französische, mehr Menschlichkeit zu zeigen im Umgang mit den Migranten statt sich nur abzuschotten. Er nennt das Mittelmeer einen «Friedhof», weil es darauf immer wieder zu Schiffbrüchen kommt. Einige der schlimmsten Flüchtlingstragödien trugen sich vor der italienischen Insel Lampedusa zu.

Und so reiste der frisch gewählte Papst aus Argentinien, selbst Sohn einer Emigrantenfamilie, im Sommer 2013, nur wenige Monate nach seiner Wahl, als Erstes nach Lampedusa und sprach dort von der «Globalisierung der Gleichgültigkeit». «Wir haben uns an das Leiden anderer gewöhnt. Es macht uns nicht betroffen, es interessiert uns nicht, es ist nicht unser Business.»

Zehn Jahre ist das her, und Lampedusa ist wieder in allen Schlagzeilen, seit in den letzten Tagen mehr als zehntausend Migranten auf der kleinen Insel angekommen sind. Viele von ihnen haben keine Aussicht auf Asyl in Europa, weil sie aus Ländern stammen, in denen kein Krieg herrscht. Sie entflohen dem Elend, mit der Hoffnung auf ein besseres Leben. Was wird der Papst dazu sagen?

«Ich komme nicht als Katholik, sondern als Präsident der Republik», sagt Macron. Die Polemik blieb.

Im Stadion wird auch Emmanuel Macron sein. Er hat sich sozusagen selbst eingeladen und damit eine mittlere Kulturdebatte ausgelöst. Die Linke monierte, ein laizistischer Präsident der Republik gehöre nicht in eine Messe, das sei ein Hohn auf die Trennung von Kirche und Staat. Andere fanden, Macron könne ja gern privat ins Vélodrome gehen, aber dann auch selbst für die Reise bezahlen.

Als die Polemik lauter wurde, gab das Élysée die Losung aus, der Präsident assistiere nicht aktiv an der Messe, er nehme nur daran teil. Macron selbst sagte: «Da gehöre ich hin. Ich gehe nicht als Katholik, sondern als Präsident der Republik.»