Fondation BeyelerDer Fortschritt rauscht als elegante Rauchschwade vorbei
Edvard Munch, Akseli Gallen-Kallela, Hilma af Klint: Die Fondation Beyeler zeigt in der Ausstellung «Nordlichter» Landschaftsmalerei aus Skandinavien und Kanada.
- Die Fondation Beyeler zeigt nordische Landschaftsmalerei von 1880 bis 1930.
- Edvard Munch dominiert mit Werken wie «Zugrauch» und «Winternacht».
- Die Werke zeigen impressionistische Naturstudien ohne symbolistische Aufladung.
Eine melancholische Stimmung liegt über der neuen Ausstellung, die in der Fondation Beyeler den Blockbuster «Matisse – eine Einladung zur Reise» ablöst. Das mediterrane Licht, das dessen Gemälde zum Leuchten bringt, weicht in der Ausstellung «Nordlichter» einer Sonne, die normalerweise zu tief steht, als dass sie die Gemälde von Wäldern, Seen und Hügeln im hohen Norden zum Leuchten brächte.
Um gleich ein naheliegendes Missverständnis auszuräumen: Es geht in den «Nordlichtern» nicht um die flüchtigen Polarlichter, die malerisch kaum zu erhaschen sind. Zwei sehr künstlich wirkende Gemälde von der schwedischen Malerin Anna Boberg, in denen die Lichter aus den Wolken fast wie in einer gotischen Kirche herabstürzen, zeugen davon.
Der Titel ist vielmehr als metaphorische Umschreibung der Künstlerinnen und Künstler zu verstehen, die zwischen 1880 und 1930 die Landschaften des Nordens als Motiv ihrer Malerei entdeckten.
Zuvörderst ist da der Norweger Edvard Munch zu nennen, dem Ulf Küster, der Kurator dieser Ausstellung über nordische Landschaftsmalerei, 2007 eine grandiose, 130 Gemälde und 80 Zeichnungen umfassende Ausstellung gewidmet hat. Munch hängt schon im ersten, als programmatischer Auftakt zu verstehenden Raum.
Seine «Kinder im Wald» haben sich hier mit Hüten und Körben bewehrt vor einer dunkeln Waldkulisse aufgereiht, als ob es sich um eine Märchenerzählung handelte. Mit den zu einfachen Blattformen abstrahierten und spiralförmigen Bäumen gibt das Bild einen Vorgeschmack auf das munchsche Formenrepertoire in der Landschaftsmalerei.
Munch bringt mit weiteren elf Werken den grossen Raum in der Mitte des Ausstellungsrundgangs zum Beben. In Gemälden wie «Winternacht», «Zugrauch» oder «Sonnenuntergang, Nordstrand» ragen die Fichten im Hintergrund lanzettförmig in den Himmel, während die Föhren im Vordergrund ihre Äste wie mächtige Finger spreizen.
Andere Bilder wie «Vampir im Wald», «Mondschein» oder «Sternennacht» beschreiben mit dichten Wäldern, sich auf dem Wasser spiegelndem Mondschein oder den ganz weit entfernten Lichtern der Stadt Oslo melancholische Seelenzustände.
Fortschritt und Natur
Das Highlight in diesem Saal ist das im Jahr 1900 entstandene Gemälde «Zugrauch», auf dem vor einem ausgedehnten See ein Zug vorbeifährt, dessen Dampflock in den Wald aus Föhren und Fichten eine fast weisse Rauchwolke hineinlegt. Auf diesem Bild, auf dem Lokomotive und Wagen kaum zu erkennen sind, rauscht der Fortschritt als elegante Rauchschwade vorbei, die sich bestens in die Landschaft einfügt.
Es ist eines der wenigen Bilder in dieser Ausstellung, die Landschaft und Industrialisierung harmonisch zusammenführen. Den meisten Malerinnen und Malern in dieser Ausstellung ging es hingegen darum, die Weitläufigkeit von kulturellen Einflüssen in noch weitgehend unberührten Landschaften des Nordens zu zeigen.
Eine Entsprechung für das Gefühl des Erhabenen, das der Schweizer Landschaftsmaler Caspar Wolf (1735–1783) in den Bergen, Abgründen und Wasserfällen der Schweizer Alpen erlebte, findet man im hohen Norden am ehesten in den unendlichen Weiten und den gefrorenen Seen, die sich wie bei der finnischen Künstlerin Helmi Biese bis an den Horizont ausdehnen.
Grossartig etwa ihr «Blick vom Pyynikki-Grat» auf einen Wald, dessen Föhren beinahe schon surrealistische Schatten in den Schnee zeichnen. Auch der mit dicken Farben gemalte «Gletschersee» von Anna Boberg oder ihre mächtige Bergstudie aus Nordnorwegen gehören zu dieser erhabenen Natur, ebenso wie die schneebedeckten Felsen des finnischen Nationalkünstlers Akseli Gallen-Kallela, die die Kälte und Schroffheit des Winters unmittelbar nachvollziehbar machen.
Erhaben oder idyllisch?
Selten sind bei dieser von Ulf Küster getroffenen Auswahl die Seen Idyllen, wie etwa bei Prinz Eugen, einem Neffen des schwedischen Königs Karl XV., oder auf der «Landschaft bei Ruovesi» von Akseli Gallen-Kallela. Dieser hatte an diesem See in Zentralfinnland 1894/95 ein grosszügiges Atelierhaus im Stile der finnischen Nationalromantik erbaut, in dem er mit seiner Familie bis 1903 lebte. Das Haus, das noch heute zu besichtigen ist, verfügt über eine grosse Orgel, auf der auch der mit dem Maler befreundete Komponist Jean Sibelius gespielt hat.
Erhabene und liebliche Landschaften: Die vier Malerinnen und acht Maler, von denen die Bilder dieser Ausstellung stammen, scheinen jedenfalls kein ängstliches Verhältnis zur Natur zu haben. Sie entdecken sie malerisch, geniessen die Aussicht, finden Metaphern für melancholische Seelenzustände und gewinnen ihr, wie etwa der hierzulande kaum bekannte Kanadier Tom Thomson, malerische Meisterwerke ab: Naturstudien mit dick aufgetragenen, leuchtenden Farbschichten, die nichts beschönigen, im Gegenteil. So wie in «Vom Feuer verheerte Hügel», «Verklausung: Skizze für ‹Das Flössen›» oder «Das Kanu», die unmittelbar zeigen, was dem Abenteurer und Wanderer sich in den unendlichen Wäldern Kanadas als Landschaftsmotiv angeboten hat.
Auch J. E. H. MacDonald oder Lawren S. Harris, ebenfalls Kanadier, brachten fantastische Herbststudien aus den borealen Wäldern nach Hause, farbige Wälder, die sich in Seen spiegeln, Naturimpressionen mit einem Zug ins Abstrakte, die einem das Herz höherschlagen lassen.
Im Unterschied zu manchem der skandinavischen Maler, die mit ihrer Kunst die nördlichen Landschaften symbolistisch aufladen konnten, punkten die Kanadier MacDonald und Harris auf ihren kleinformatigen, auf Holz gemalten Ölbildern mit purer impressionistischer Malerei, ganz unideologisch, ganz ohne Mythos, hinreissend schön.
Bei Emily Carr, die in Victoria, British Columbia, geboren wurde, beginnen die Wälder gar zu tanzen, da wirbelt das Sonnenlicht zwischen den Baumstämmen hindurch, da wölben sich die Bäume und Berge, wie wenn sich Georgia O’Keeffe in den Norden verirrt hätte. Sie, und noch mehr ihr Mentor und Freund Lawren S. Harris, befreien ihre Bilder von allen realistischen Zwängen und machen aus den kanadischen Seen abstrakte Gebilde aus Felsen, Wasser und Wolken.
Die Ausstellung dauert vom 26. Januar bis zum 25. Mai 2025.
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