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Kriminelle Netzwerke in Zürich und im Thurgau
Die fleissigen Treuhänderinnen des Kokainkönigs Flor Bressers

Die Treuhänderin Aida P. vor dem Zürcher Bezirksgericht
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Der Albtraum begann in den Ferien mit einem Anruf ihrer Enkelin im Juli 2022. «Fedpol und Kantonspolizei durchsuchen gerade dein Haus», sagte die junge Frau zu ihrer Grossmutter. «Ich bin komplett durch den Wind gewesen und habe gedacht: Spinnen die?», schildert die 63-Jährige.

Die Frau ist langjährige Beizerin am Bodensee. 2013 hatte sie eine Firma gegründet, um in einer thurgauischen Seegemeinde ein Hotel zu bauen. Doch Investoren blieben aus, im November 2020 wollte die Beizerin die Firma wieder loswerden. «Ich habe meiner Treuhänderin Aida P. (Name geändert) eine Vollmacht gegeben, die Firma zu verkaufen, aber ich wusste nicht, an wen», sagt die Wirtin dieser Redaktion.

Zurück aus den Ferien wurde die Frau zwei Stunden lang einvernommen. Polizisten hätten viele Fragen gestellt und ihr zig Blätter mit Namen darauf gezeigt, von denen sie niemanden gekannt habe. «Ich finde es verrückt, wie leicht man in so was hineingeraten kann», sagt die Beizerin.

Dolder, Baur au Lac und Rüschlikon

Rund fünf Monate vor dem scheinbar unbedeutenden Firmenverkauf waren der damals 33-jährige «Artur Gitta» und die 26-jährige «Simone Jung» als Touristen in die Schweiz eingereist. Für mehr als 75’000 Franken und mit gefälschten Reisepässen checkte das deutsche Paar im Juni 2020 für einen Monat im Zürcher Luxushotel Dolder ein. Es folgten zwei Wochen im Baur au Lac für rund 22’000 Franken, bis das offenbar wohlhabende Paar in einer Villa am See in Rüschlikon für monatlich 18’000 Franken eine feste Bleibe fand.

Bilder des ehemaligen Hauses des belgischen Kokain-Königs Flor Bressers 05.07.23

Damit endete die jahrelange Flucht rund um den Globus von einem der meistgesuchten Kriminellen Europas: Denn hinter dem Namen «Artur Gitta» verbirgt sich der belgische Kokainkönig Flor Bressers, dessen Drogenkartell tonnenweise Rauschgift nach Europa geschmuggelt haben soll. «Simone Jung» wiederum ist die gefälschte Identität seiner holländischen Lebensgefährtin Philomina Veenstra (Name geändert).

Familiengründung in der Schweiz

20 Monate lang, bis zu seiner spektakulären Verhaftung im Februar 2022 in einer Luxuswohnung im Zürcher Renaissance-Tower, sollte Flor Bressers einen sicheren Hafen in der Schweiz haben. Von hier aus konnte der Kokainkönig unbehelligt sein internationales Drogenkartell lenken.

So sicher muss er sich gefühlt haben, dass er in dieser Zeit mit seiner Freundin eine Familie gründete – ein Sohn kam in der Schweiz zur Welt. Das Paar führte ein Leben in Saus und Braus mit Ausgaben in Millionenhöhe, wie diese Redaktion zuerst berichtete.

Flor Bressers findet einen Job

Möglich gemacht haben das Luxusleben, finanziert aus dem internationalen Drogenhandel, am Zürichsee zahlreiche Helfer. Doch nicht alle dürften gewusst haben, wer sich hinter «Gitta» wirklich verbarg, wie Recherchen zeigen.

Blick über den Bodensee, an den Flor Bressers seine geschäftlichen Aktivitäten und seinen offiziellen Wohnsitz verlegte, während er in Wirklichkeit am Zürichsee wohnte.

Eine dieser Helferinnen ist die eingangs erwähnte Treuhänderin Aida P., die sich am Donnerstag wegen schwerer Geldwäscherei, Begünstigung und Täuschung der Behörden vor dem Bezirksgericht Zürich verantworten muss. Die Thurgauerin konnte den sichtlich wohlhabenden «Artur Gitta» spätestens Ende August 2020 – wenige Monate nach dessen Ankunft in der Schweiz – zu ihrem Kundenkreis zählen.

«Anschein eines rechtschaffenen Bürgers»

Die Staatsanwaltschaft wirft Aida P. vor, nicht nur einen Wohnsitz für «Gitta» und dessen Familie an der Zürcher Goldküste für einen maximalen Mietbetrag von monatlich 25’000 Franken gesucht zu haben. Die 36-Jährige soll ihm bereits Ende August zum Schein einen Arbeitsvertrag als Mitarbeiter in ihrem Treuhandbüro ausgestellt haben. «Die Idee war, unseren Kundenstamm über sein Netzwerk zu erweitern. Er wollte Neukunden bringen», sagt Aida P. vor Gericht. Als Wohnort gab sie dessen Adresse in einem Wohnblock im thurgauischen Amriswil an, wo er jedoch laut den Ermittlern nie gewohnt hat.

Sonnenuntergang über Amriswil – Flor Bressers wählte die thurgauische Gemeinde als offiziellen Wohnsitz aus.

Gestützt auf diese Angaben, stellte das Migrationsamt Thurgau dem angeblichen Artur Gitta eine B-Aufenthaltsbewilligung aus. «Mit ihrem Verhalten und ihren Tätigkeiten erweckte die Beschuldigte den Anschein, dass es sich bei Artur Gitta (Flor Bressers) um einen rechtschaffenen Bürger handelte», heisst es in der Anklageschrift.

Auch soll Aida P. «Gitta» dabei unterstützt haben, dass er bei Behörden nie selber oder mit seinen echten Personalien auftreten musste. Damit habe sie ihm «wissentlich oder willentlich geholfen», seine wahre Identität zu verschleiern und ihn dem Zugriff der Strafverfolgungsbehörden zu entziehen.

Der Finanzchef und der Concierge

Als schwerster Vorwurf wiegt jedoch, dass die 36-jährige Treuhänderin Gelder aus dem Kokainhandel gewaschen haben soll, indem sie diese entgegennahm und in der Schweiz investierte. Der direkte Gewinn für die Treuhänderin betrug dabei laut Anklageschrift 51’000 Franken, wobei aus einem Bauprojekt am Bodensee weitere 100’000 Franken erwartet wurden.

Ab September 2020 erhielten Aida P. und ihre 34-jährige Geschäftspartnerin Giulia S. (Name geändert) über Geldkuriere nachweislich insgesamt 320’000 Franken Bargeld von drei Männern: «Gitta», dessen damals ebenso im Kanton Zürich lebenden Finanzchef Bastiaan K. und einem ergebenen privaten Concierge.

Wusste die Treuhänderin, wer Artur Gitta wirklich ist?

190’000 Franken davon seien in zwei Tranchen jeweils in einer Schuhschachtel in Aida P.s Treuhandbüro am Bodensee übergeben worden. Das Geld war vorgesehen, um die unverdächtige Firma der eingangs erwähnten Beizerin zu kaufen.

Die Kauf- und Vertragsverhandlungen dafür führte Aida P. laut Staatsanwaltschaft im Namen von «Gitta». 190’000 Franken Bargeld gingen an die Beizerin. Vor Gericht sagt die Treuhänderin: «Wir haben seinen Ausweis überprüft, aber nicht sein Geld.» Auch für zwei Banken sei Artur Gitta «sauber» gewesen.

Nach der Übernahme wurde die Firma in «Gitta Suisse AG» umbenannt und residierte an der derselben Adresse am Bodensee wie das Treuhandbüro. Dies sollte Flor Bressers den Anschein eines gewöhnlichen Unternehmers verleihen mit offiziellem Wohn- und Arbeitsort im ländlichen Thurgau.

Blick auf den Bodensee im thurgauischen Münsterlingen.

Mit Geld vom Konto seiner unscheinbaren Firma kaufte die Treuhänderin im Februar 2021 zehn Kilo Silberbarren im Schätzwert von 6800 Franken und verwahrte sie im Bankschliessfach ihres Büros.

Die verzweigten Geldflüsse der Treuhänderinnen

Die verbleibenden etwa 130’000 Franken Bargeld zahlten Aida P. und ihre Geschäftspartnerin Giulia S. in vier- bis fünfstelligen Beträgen zunächst auf ihre Privatkonten ein. Von dort überwiesen die beiden Frauen das Geld laut Anklageschrift unter Angabe falscher Gründe, etwa «Rückzahlung Kleinkredit», auf das Firmenkonto ihres Treuhandbüros.

Von diesem und einem weiteren Firmenkonto der Gitta Suisse AG überwies Aida P. zwischen September 2020 und November 2021 elf «fingierte Gehaltszahlungen» an Artur Gitta über jeweils 4500 Franken – insgesamt rund 50’000 Franken. Doch laut Staatsanwaltschaft hat «Gitta» nie für das Treuhandbüro am Bodensee gearbeitet. «Man hätte es vermuten können, wer er in Wahrheit ist, aber ich habe es nicht vermutet. Ich bin zu wenig vorsichtig gewesen», sagt Aida P. vor Gericht.

Falsche Angaben bei Behörden

Im Juni und Juli 2021 soll die beschuldigte Treuhänderin bei den Steuer- und Einwohnerbehörden der Stadt Amriswil unwahre Angaben über den tatsächlichen Wohnort des Kokainkönigs gemacht haben.

Zur selben Zeit überwies Aida P. 70’000 Franken auf ihr Privatkonto, um damit bei einem Luxusgeschäft im Zürcher Kreis 4 eine exklusive Stereoanlage für «Gitta» zu kaufen. Dieser gab mit seiner Lebensgefährtin im selben Laden weitere 64’000 Franken aus. Für Schmuck waren es 667’000 Franken und für Wein 400’000 Franken – über 2,5 Millionen Franken in etwa 20 Monaten.

Finanzchef wird am Basler Flughafen verhaftet

Im Oktober 2021 musste «Gitta» einen schweren Rückschlag verdauen: Sein engster Vertrauter, der erwähnte Finanzchef Bastiaan K., wurde am Flughafen Basel-Mulhouse verhaftet und später nach Belgien ausgeliefert. Dasselbe Schicksal ereilte den als Flor Bressers enttarnten «Gitta» vier Monate später.

Beide mutmasslichen Schwerkriminellen warten seither mit 33 weiteren Beschuldigten auf ihren Prozess in Belgien, wie diese Redaktion aus Justizkreisen erfahren hat. Bei einer Verurteilung drohen beiden lange Gefängnisstrafen.

«Die Alarmglocken müssen schrillen»

Weit glimpflicher kommen die beiden Treuhänderinnen dank Geständnissen und eines Deals mit der Staatsanwaltschaft davon. Giulia S. erhielt einen rechtskräftigen Strafbefehl mit einer bedingten Geldstrafe von 180 Tagessätzen à 90 Franken und einer Geldbusse von 3900 Franken. Zudem muss sie 80’000 Franken als Ersatzforderung an den Staat zahlen.

Themenbiild: Berzirksgericht Zürich an der Badenerstrasse 90. Aussenansicht.
24.11.2016
(Tages-Anzeiger/Urs Jaudas)

Am Ende erkennt Aida P. sämtliche Vorwürfe an. Die Richter verurteilten sie zu einer bedingten Freiheitsstrafe von zwölf Monaten sowie zu eine bedingten Geldstrafe von 90 Tagessätzen à 110 Franken – insgesamt 9900 Franken. Ausserdem muss sie 120’000 Franken mutmassliche Drogengelder an den Staat zahlen.

«Wenn man soviel Bargeld erhält, müssen im Kopf die Alarmglocken schrillen. Das war bei Ihnen nicht der Fall», sagte der Richter zum Schluss. Das Urteil ist nicht rechtskräftig.