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Sturz und Favoritensieg
Flandern in seiner ganzen brutalen Schönheit

Brutales Ende für den Weltmeister: Van Aert und Van der Poel (verdeckt) können dem bremsenden Motorrad ausweichen, Alaphilippe dagegen stürzt aus dem Rennen.
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Irgendwann werden Siege Routine. Bei Mathieu van der Poel zum Beispiel. Wer im Ziel allein aufgrund seines Gesichtsausdrucks herausfinden will, wie sein Rennen verlaufen ist, scheitert. Er macht nach Siegen oft den Eindruck, als wäre er gedanklich schon ganz woanders, daheim in der trauten Stube, im Arm der Freundin. Dabei sagen doch auch Seriensieger gern, das Erfolgsgefühl werde nie langweilig.

Nur: Haben diese Seriensieger so oft gesiegt wie Van der Poel? Seine 27 Siege als Strassenprofi sind eine ordentliche Zahl. Aber nicht ausserhalb jeder Norm. Das ist hingegen seine Quote im Radquer, wo die Datenbank seit 2011 die Rennen des 25-Jährigen ausweist. In seiner Karriere trat Van der Poel zu 193 Querrennen an. 192-mal kam er ins Ziel, 145-mal als Erster. Macht 145 Siegerehrungen, Medaillen, Küsschen, Blumensträusse.

Und doch gibt es sie noch, die Siege, in denen bei einem Siegesmonster wie Van der Poel die Dämme brechen. An diesem Sonntag ist so ein Tag. Van der Poel kommt auf der N453 zum Stillstand, der Zubringerstrasse am Rand von Oudenaarde. Ein Unort eigentlich, und trotzdem schlägt er nun die Hände vors Gesicht, sackt zusammen. An der Schulter seines Teamhelfers, dann an jener der Freundin kommen ihm die Tränen.

Sieg mit der 51 – wie vor 34 Jahren der Papa

«Mein Vater sagte mir, die Nummer 51 sei etwas Spezielles, aber ich wollte es nicht glauben. Vielleicht hat es doch was», sagt Van der Poel und gewährt damit einen Blick in die Familiengeschichte. Vater Adrie gewann die Flandernrundfahrt 1986 – mit der 51 wie nun Mathieu.

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Van Der Poel (l.) gewinnt den Sprint gegen Wout Van Aert ganz knapp.
Van Der Poel ist von seinem Triumph überwältigt.
Jubel mit dem Teambetreuer.

All das zeigt die Bedeutung dieses Rennens, dieses Sieges, selbst für diesen so sieggewohnten Fahrer. 15 Zentimeter sind es, die auf der Ziellinie für ihn sprechen, im Zweimannsprint mit der anderen grossen Figur, dem ewigen Rivalen Wout Van Aert. Dieser hat auf der langen Zielgerade Van der Poel die schlechtere Position 1 aufgezwungen. Aus dieser tritt der Niederländer 200 Meter vor dem Ziel an. Van Aert schliesst zwar rasch zu ihm auf, vermag aber nicht mehr weiter zu beschleunigen – oder zu spät.

Es ist die Rückkehr zum Status quo im Duell der beiden Über-Fahrer, in dem Van der Poel noch einen Hauch stärker wirkt als Van Aert. Ausgerechnet nach dieser Saison, in der der Belgier überragend gewesen war. Beide sind nun Sieger eines Radmonuments, jener fünf grössten Eintagesrennen des Radkalenders. Van Aert siegte im August bei Mailand–Sanremo, Van der Poel nun näher der Heimat, an der Flandernrundfahrt, «Vlaanderens mooiste», also Flanderns Schönste.

Die beiden Topfavoriten überragen die Konkurrenz derart, dass keine Attacken von ihnen nötig sind, um die Differenz zu machen. Es sind feine Tempoverschärfungen, auf die einfach niemand mehr reagieren kann. Mit einer Ausnahme: Julian Alaphilippe. Wobei der Weltmeister bei seinem Ronde-Debüt nicht reagieren muss, weil er der Akteur ist, derjenige, der die Offensive sucht. Er tut dies knapp 50 Kilometer vor dem Ziel erstmals. Da lächeln die Konkurrenten noch über den Übermut des Franzosen.

Küngs Toilettengänge vor dem Start

Stefan Küng nicht. Der Schweizer, der sich viel erhofft hat, schaut von weit hinten zu, wie die Stärksten davonpreschen. Ihnen folgen? Ausgeschlossen. «Das ist frustrierend: Ich bin in Form, ich hätte dort vorn mitspielen können», sagt er später. Küng ist entkräftet, dabei liegen ihm genau diese langen Rennen. Allerdings nicht, wenn er von Magen-Darm-Beschwerden geplagt wird. Drei Tage vor der Ronde kündigten sie sich an, bis zum Sonntag hoffte er, dass die Kräfte doch irgendwie reichen würden. «Aber wenn du am Morgen kaum etwas essen kannst und trotzdem vor dem Start noch fünfmal zur Toilette musst, wird es schwierig», sagt Küng, der das Rennen trotzdem beendet.

Anders Flandern-Debütant Alaphilippe. Er fährt, als wäre es für ihn ein Spiel. Offensiv, unerschrocken, obwohl ihm für diese groben Pavé-Steine doch zehn Kilogramm Muskeln fehlen. Er tritt wieder an, nun folgt ihm Van der Poel, die beiden setzen sich sofort ab. Am Taaienberg, dem viertletzten Helling, schafft einzig Van Aert noch den Anschluss. Alle anderen: chancenlose Zuschauer.

Mittelhandbrüche bei Alaphilippe

Zu dritt rollen sie davon, im Wissen, dass als Sieger nur noch einer von ihnen infrage kommt. Van Aert und Van der Poel, die Favoriten, dazu Alaphilippe, der unberechenbare Irrwisch – ein hochspannender Mix. Leider bleibt er nicht lange bestehen: 35 Kilometer vor dem Ziel verlangsamt ein Begleitmotorrad unvermittelt seine Fahrt. Van Aert weicht aus, Van der Poel an seinem Hinterrad gelingt das im letzten Moment. Nicht aber Alaphilippe, der praktisch ungebremst aufprallt, nach einem Überschlag heftig auf dem Asphalt landet und zwei Brüche in der Mittelhand erleidet – sein Rennen ist zu Ende.

Es ist die Vorentscheidung, definitiv. Die Unbekannte ist aus dem Rennen gewichen. Das Favoritenduo weiss, was zu tun ist, und pedalt in stummer Übereinkunft weiter. Keiner versucht einen Angriff, die beiden kennen sich zu gut, als dass der eine den anderen überrumpeln könnte. Sie fahren und wechseln sich ab, bis zum letzten Kilometer. Es braucht keine Worte vor diesem finalen High Noon.