Missstände beim Westschweizer TVFernsehchef und Personal-Leiter verlassen RTS nach Vorwürfen
Nach der Untersuchung von Belästigungsvorwürfen beim Westschweizer Radio- und Fernsehen verlassen der TV-Chefredaktor und der Leiter der Personalabteilung den Sender. SRG-Generaldirektor Gilles Marchand und RTS-Chef Pascal Crittin dürfen bleiben.
Nach der Untersuchung von Belästigungsvorwürfen beim Westschweizer Radio- und Fernsehen RTS verlassen der TV-Chefredaktor und der Leiter der Personalabteilung den Sender. SRG-Generaldirektor Gilles Marchand und RTS-Chef Pascal Crittin dürfen bleiben.
Der Verwaltungsrat sprach ihnen sein Vertrauen aus. Der damalige RTS-Direktor Marchand habe seine «sekundäre Aufsichtsverantwortung» zwar «zu wenig wahrgenommen», teilte die Schweizerischen Radio- und Fernsehgesellschaft (SRG) am Freitag mit. Das stelle in der Einschätzung der Gutachterinnen und Gutachter aber keinen «gravierenden Fehler» dar.
Der Verwaltungsrat sei deshalb der Ansicht, dass Marchand die richtige Person für die SRG sei, um die geforderten Veränderungen in der Unternehmenskultur durchzusetzen. Dem aktuellen RTS-Direktor Crittin könne kein Fehlverhalten vorgeworfen werden. Es bestehe deshalb kein Handlungsbedarf.
SRG: Keine Verfehlung bei Moderator Rochebin
Am 31. Oktober hatte die Westschweizer Zeitung «Le Temps» unter Berufung auf anonyme Quellen enthüllt, dass es innerhalb von RTS während Jahren zu Mobbing und zu sexueller Belästigung gekommen sei. Die Befragten berichteten in der Recherche von offener Belästigung, ungewollten Küssen, anzüglichen Kommentaren und systematischem Machtmissbrauch.
Angeschuldigt wurden drei Mitarbeiter, darunter Darius Rochebin, langjähriger Moderator der RTS-Tagesschau. Die Direktion und die Personalverantwortlichen von RTS hätten konsequent weg geschaut. Rochebin, der im Herbst zum französischen Nachrichtensender LCI wechselte, reichte unterdessen Verleumdungsklage gegen «Le Temps» ein.
Bundesrätin reagiert empört
Die von der SRG eingesetzten unabhängigen Sachverständigen kamen nun zum Schluss, dass sich Rochebin keiner sexuellen Belästigung oder Mobbing schuldig gemacht habe. In den beiden anderen Fällen hingegen hätten die Expertinnen und Experten Handlungen festgestellt, die als Belästigung qualifiziert worden seien. In beiden Fällen habe RTS Massnahmen ergriffen.
Medienministerin Simonetta Sommaruga reagierte empört auf die Ergebnisse der Untersuchung. Dass Mitarbeitende sexuell belästigt worden seien, sei «inakzeptabel». Sie erwarte von der SRG, dass sie alles unternehme, um weitere Vorfälle zu vermeiden und Sexismus, Belästigung und Diskriminierung zu verhindern. «Den Worten müssen Taten folgen», hiess es in einer Mitteilung.
Kein juristisches Nachspiel für Darius Rochebin
Darius Rochebin begrüsse die Ernsthaftigkeit der in der Schweiz durchgeführten Untersuchungen. Das hat sein Anwalt am Freitag in Paris erklärt. Die Schlussfolgerungen bestätigten, was er vom ersten Tag an gesagt habe. Der frühere RTS-Moderator werde sich nicht juristisch belangen lassen müssen.
Nach einer Wartezeit von sechs Monaten erlaubten die Schlussfolgerungen der Schweizer Untersuchung eine endgültige Klärung der Situation», sagte der Anwalt am Freitag. Darius Rochebin hatte im November eine Strafanzeige wegen Verleumdung gegen die Tageszeitung «Le Temps» eingereicht.
Im September 2020 ging Rochebin zum französischen Nachrichtensender LCI. Nach der Veröffentlichung der Zeitungsrecherchen zog er sich vorübergehend aus seinem neuen Interviewformat zurück.
Führungsriege muss in obligatorische Schulung
Die RTS-Führungsriege muss nach der Belästigungsaffäre künftig ein obligatorisches Schulungsprogramm absolvieren. Bei Nichteinhaltung der neuen Bestimmungen drohen Sanktionen. Dies sagte SRG-Verwaltungsrätin Ursula Gut-Wintersberger am Freitag an einer virtuellen Medienkonferenz zu den Ergebnissen der drei Untersuchungen.
Künftig werde im Unternehmen eine Nulltoleranz gelten. Es sei ein Paradigmenwechsel notwendig. Alle müssten sich für den sensiblen Bereich der Belästigungen und Übergriffe zuständig und verantwortlich fühlen.
Über definitive Massnahmen werde der SRG-Verwaltungsrat entscheiden, wenn der Schlussbericht zur ersten Untersuchung über die Wirksamkeit der internen Instrumente vorliege. Deren Umsetzung liege dann in der Obhut der Geschäftsleitung, werde aber künftig durch einen Ausschuss des Verwaltungsrates kontrolliert.
In jeder Abteilung soll es künftig Vertrauenspersonen geben, die Betroffene im Bedarfsfall angehen können, wie SRG-Generaldirektor Gilles Marchand ergänzte. Dabei sind laut RTS-Direktor Pascal Crittin alle Formen des Machtmissbrauchs im Visier, auch die kleinen Missbräuche.
Er bedauere die Existenz von inakzeptablen Situationen zutiefst, und dass diese in der Vergangenheit auf taube Ohren gestossen seien. Das Vertrauen in die Führung sei so verloren gegangen. Man werde nun alles tun, um dieses wieder herzustellen und habe dafür «noch nie dagewesene Massnahmen ergriffen», so Crittin.
SDA
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