Rundreise durch AndalusienVom Licht umarmte Landschaft
Als junger Mann tourte unser Autor durch Spaniens tiefen Süden – und war tief beeindruckt. Nach zwanzig Jahren bereist er die Region erneut. Fazit: Die Realität schlägt so manche Erinnerung.
Seit meiner letzten Reise durch Andalusien sind lange zwanzig Jahre vergangen. Entsprechend gross ist meine Vorfreude auf die südlichste Region Spaniens – aber auch die Sorge, dass die Erinnerungen an die bezaubernden Städte und die herbe Schönheit der Landschaften nicht mehr der Wirklichkeit entsprechen.
Eine unbegründete Befürchtung, wie sich schon an unserer ersten Station in Granada zeigt. Hier, am Fuss der Sierra Nevada, herrscht noch immer rege Betriebsamkeit, wie man sie in vielen Städten Spaniens findet.
Das Zentrum ist mittlerweile sogar verkehrsberuhigt, die einst übervollen Plätze mit ihren Cafés und Springbrunnen sind beschaulicher, ruhiger geworden. Und die einst vom Verfall bedrohten Renaissance- und Barockbauten glänzen mit ihren renovierten, farbenfrohen, reich geschmückten Fassaden wie neu.
Diese Reise ist ein Angebot der Schweizer Familie, mehr Informationen finden Sie hier.
In den Seitenstrassen flanieren Fotograf Philipp Rohner und ich unbeschwert von einer Bar zur nächsten, um sonnenpralle Weine und köstliche Tapas-Variationen zu kosten – mit Blick auf die bis zu 3500 Meter hohen Sierra-Gipfel, die im Winter weisse Mützen auf ihren kahlen Kuppen tragen.
Nur wenige Schritte von der lebhaften Innenstadt entfernt tauchen wir ein in die Stille des Albaicín: Granadas ältestes, maurisches Stadtviertel, ein Labyrinth aus verwinkelten Gässchen und steilen Treppen, die sich den Hügel hinaufziehen. Die weiss gekalkten Häuser mit ihrem schmiedeeisernen Gitterwerk und dem Geranienschmuck haben sich ebenfalls einer Schönheitskur unterzogen.
Verirren können wir uns im Gassengewirr kaum. Wir müssen nur immer schön in die Höhe steigen, wollen wir oben die Plaza de San Nicolás erreichen. Sie ist unser Ziel, denn nirgendwo anders hat man einen derart schönen Ausblick auf die Alhambra und die ferne Sierra Nevada. Eine malerische Kulisse. Der Zauber der maurischen Palastanlage nimmt mich neuerlich in ihren Bann.
Als der letzte Emir gehen musste
«Die Alhambra ist das wichtigste Mahnmal der islamischen Kultur und ein einmaliges Zeugnis arabischer Baukunst», präzisiert Stadtführer Juan Vera Vico, als er uns durch die weitläufigen Parkanlagen der Kalifenresidenz führt.
«Die maurischen Baumeister liebten die Geometrie, den Rhythmus, das Wasser und das Licht», erklärt er die opulente Architektur. Nichts sei an diesem verspielt wirkenden Wunderwerk zufällig entstanden, weder die Ausrichtung der Gebäude noch der Lichteinfall in die vielen Gemächer. Auch die Wasserkanäle und Springbrunnen sind mit Hintersinn platziert, sie sollten für ein angenehmes Wohnklima sorgen.
Eine Pracht, die Boabdil, den letzten maurischen Emir auf iberischem Boden, zu Tränen gerührt haben soll, als er am 2. Januar 1492 seine Alhambra verlassen musste. An diesem Tag eroberten Truppen des katholischen Königspaars Isabella I. und Ferdinand II. die Stadt Granada. Damit endete die 800-jährige Herrschaft der Mauren.
Zum Glück wussten auch die Christen die Schönheit der Alhambra zu schätzen und liessen den Prachtbau weitgehend in seiner Urform bestehen. Stattdessen errichteten sie – als Zeichen ihres Triumphs über die Söhne Allahs – in der Stadt auf den Grundmauern einer Moschee die breitschulterige Renaissancekirche Santa María de la Encarnación.
Bevor sich Juan Vera Vico verabschiedet, führt er uns in die Taberna La Tana, eine der kleinen Tapas-Bars der Stadt, in denen die Zeit stehen geblieben zu sein scheint. Ein grosser Tresen und Regale voller Weinflaschen lassen die ohnehin kleine Gaststube noch enger erscheinen. Sie ist das Reich von Luisa González, einer echten, unverstellten Granadina, die unliebsame Gäste schon mal vor die Türe stellt,wie uns Juan vorwarnt.
Uns trägt die 49-Jährige jedoch einen kraftvollen Montecillo und warme Blutwurst mit Pinienkernen herbei: eine Spezialität ihrer Mutter. «Wir können auch herzlich sein»,sagt Juan Vera Vico und schmunzelt: «Aber dafür müssen wir jemanden sympathisch finden.»
Wir müssen weiterziehen. Zwei Stunden dauert die Fahrt nach Ronda, das westlich von Granada liegt. «Eine geträumte Stadt», beschrieb der deutsche Dichter Rainer Maria Rilke (1875–1926) diesen Ort, nachdem er ihn im Winter 1912 besucht hatte.
Rilke hatte recht – eine Traumwelt
Menschen der Gegenwart lässt Ronda eher an einen Schauplatz eines Fantasyabenteuers denken. Die Kleinstadt thront auf einem schmalen Felsgrat, den der Fluss Guadalevín in zwei Teile getrennt hatte. Die hochbeinige Brücke Puente Nuevo überspannt die 160 Meter tiefe Klamm, auf beiden Seiten schweben Häuser dramatisch nah am lotrechten Abgrund. Die maurisch geprägte Altstadt wirkt wie eine romantische orientalische Traumwelt – Rilke hatte recht.
Von der Wolkenstadt schauen wir hinaus auf die herrliche Hügellandschaft, über die sich Olivenhaine wie grün gepunktete Teppiche breiten. «Spanien produziert weltweit fast die Hälfte des Olivenöls», erklärt uns Nelly Samper die Omnipräsenz der knorrigen Ölbäume. Die 39-jährige Französin ist Marketingleiterin des Ölproduzenten LA Organic, dessen Plantagen direkt neben Ronda liegen.
Das Familienunternehmen verkaufe einzig Öl der Güteklasse «Virgen Extra», bekräftigt Nelly Samper, während sie uns das flüssige Gold probieren lässt, das aus typisch spanischen Olivensorten gepresst wird – darunter die milde Arbequina, die scharfe Picual und die leicht bittere Hojiblanca.
Grundsätzlich gelängen solch hochwertige Öle nur mit aromatischen und reifen Steinfrüchten, betont die Gastgeberin. Entscheidend sei zudem die Herstellungsweise, weshalb sich auf dem Etikett der prüfende Blick aufs Kleingedruckte lohne: «Wichtig sind kurze Wege vom Baum zur Mühle, um die Fermentation der Früchte zu vermeiden. Und die mechanische Kaltpressung statt Chemie.» Ein Aufwand, der seinen Preis hat, den mein Gaumen jedoch zu schätzen weiss.
Afrika liegt in Sichtweite
Auf der Ruta de los Pueblos Blancos fahren wir weiter Richtung Süden. Die Strasse der weissen Dörfer ist so wildromantisch wie ihr Name. In kurvigem Auf und Ab führt sie durch die Sierra de Grazalema, durch enge Täler und dichte Korkeichenwälder. Hin und wieder erspähen wir hoch über uns eine der pittoresken Siedlungen. Mauren errichteten sie einst an den steilen Berghängen, um Schutz vor Piraten, Banditen und anderen Feinden zu finden. Nun werden die Dörfer von auffällig prächtigen Kirchen markiert, Zeichen grosser Frömmigkeit, aber auch der kirchlichen Macht.
Am Abend erreichen wir Tarifa und den Atlantik, in den Sommermonaten wegen der Wellen und Winde ein beliebter Treffpunkt der Surfergemeinde. Doch diese ist längst weitergezogen. In den Bars finden sich nur noch wenige Reisende, die Gassen sind verlassen.
Vom Hafen hallt lautes Dröhnen herbei, die letzte Fähre verabschiedet sich mit dem Signalton nach dem marokkanischen Tanger. Von dort aus setzten im Jahr 711 die Araber erstmals nach «al-Andalus» über. Am nächsten Tag zeigt sich der nur 14 Kilometer entfernte afrikanische Kontinent auch uns. Im Morgendunst wirkt er wie eine vage Vermutung, dann gerät er zusehends zu einem dunklen Strich.
Gleichzeitig taucht die Sonne den Küstenstreifen auf der europäischen Seite in ein durchdringendes klares Licht – daher der Name Costa de la Luz, Küste des Lichts. Die kilometerlangen Strände glänzen golden und erinnern in der kühlen Meeresluft an glückliche Ferientage. Noch sind sie nahezu leer, die Strandbars sind verrammelt.
Wir peilen die Playa de Bolonia an, wegen ihres feinen Sands und der Riesendüne eines der beliebteten Ferienziele an der Atlantikküste. «Loco», verrückt, gehe es hier im Hochsommer zu, sagt Pedro, der uns im «Brisa del mar» einen Kaffee und Tostadas mit Tomaten und Olivenöl serviert. In der Nebensaison treffen sich in der Hostería die Einheimischen und halten in aller Ruhe einen Schwatz bei einem Glas goldgelbem Sherry.
Die schöne Carmen, der Frauenheld Don Giovanni und der muntere Figaro – die Opernfiguren aus Sevilla haben das Bild von den temperamentvollen Spanierinnen und Spaniern nachhaltig geprägt. Was nach Klischee klingt, ist in der Hauptstadt Andalusiens Realität. Bereits am Morgen erklingen in der Altstadt von Sevilla lautes Lachen und lebhaftes Geplauder – und erst recht am Abend, wenn die Menschen von Bar zu Bar ziehen. Wir lassen uns im Strom des Nachtschwärmervolks mittreiben. Kurz vor Mitternacht geniessen wir in der Bar «El Comercio» süsse Churros mit dicker Schoggisauce.
Ein orientalischer Märchenpalast
Auch die Kulisse wirkt opernhaft. Maurisch verzierte Stadtpalais, farbenfroh dekorierte Kirchenportale, schmucke Verwaltungsgebäude, pittoreske Plätze mit Orangenbäumen. Alles gewaltig, pompös, überbordend – so, wie wir es aus Werken von Georges Bizet und anderen Komponisten kennen. Die Kathedrale Santa María de la Sede aus dem 15. Jahrhundert dominiert alles. Ihre himmelhohen Gebetsräume lassen die Gläubigen klein und verloren wirken.
Gleich nebenan liegt der prunkvolle Festungspalast Alcázar mit prachtvollen Verzierungen, Gärten und Wasserspieln. Ein orientalischer Märchenpalast, den König Peter I. Ende des 14. Jahrhunderts mit grosser Geste für seine Geliebte bauen liess.
Eher in eine Operette würde die riesige halbrunde Plaza de España passen. Der Platz ist mit kunterbunten kacheln und pittoresken Türmchen geschmückt, verspielte Brücken führen über seinen Kanal. In der Loggia im Zentrum dreht sich stampft und klatscht Clarisa Di Salvo zu den rasanten Rhythmen der Gitarre und zu gefühlsschwerem Gesang.
Alles nur Folklore-Show für Touristen? «Nein», widerspricht die 41-jährige Tänzerin in einer kurzen Pause: «Das ist unsere Leidenschaft für diese Musik, die wie die Seele Andalusiens himmelhoch jauchzend und schwermütig klingen kann.»
Flanieren im Säulenwald
Córdoba wirkt vergleichsweise ruhiger, geerdeter. Hauptattraktion der Stadt ist die Mezquita, eine der grössten ehemaligen Moscheen der Welt. Stadtführer Miguel Muñoz lotst uns am Gedränge der Reisegruppen vorbei, die sich vor ihren Mauern versammeln, und schreitet voran ins nahe Altstadtviertel San Basilio.
Hier sind die Häuser schlicht, ihren eigentlichen Zauber verbergen sie in den Innenhöfen. Einen solchen Patio besitzt Araceli López, die neugierigen Passanten gerne das Tor zu ihrem kleinen Paradies öffnet. Zahlreiche Blumentöpfe schmücken die Wände des Gevierts. «Im Ganzen sind es 400 – mit über 40 Blumenarten», erklärt uns die 60-Jährige stolz. Ihre Blumenpracht wird regelmässig beim jährlichen Festival de los Patios ausgezeichnet.
Es ist Mittag, die Restaurants und Bars füllen sich. Damit bricht die beste Zeit für den Besuch der Mezquita an. In deren Säulenwald kehrt nun eine wohltuende Ruhe ein. Im Jahr 1523 wurde mitten in die Moschee eine wuchtige Kirche platziert, was architektonisch ein wahrer Frevel war. Vielleicht war der bauliche Eingriff aber gleichzeitig die Rettung. «Sie wurde nicht zerstört, so wie andere Moscheen», gibt Miguel Muñoz zu bedenken. In der Tat ein Glück: Noch immer ist im Dämmerlicht der zahlreichen Arkaden die mystische Kraft dieses islamischen Sakralbaus zu spüren.
Nach dem Besuch spazieren wir durch die Judería, das ehemals jüdische Viertel. Und wieder liegt Melancholie in der Luft, hallt der Glanz vergangener Epochen nach. Ab dem 8. Jahrhundert, als die Moschee entstand, war Córdoba eine der grössten Städte der Welt und eines ihrer kulturellen Zentren. Im Museo Vivo de al-Andalus lebt diese Blütezeit bis heute fort, in der für einen kurzen Moment ein toleranter Austausch zwischen den Weltreligionen möglich war.
Alles längst vergangen, gewiss. Der sicht- und spürbare Mix aus orientalischer und abendländischer Kultur und Tradition erinnert aber noch immer daran. Er macht eine Reise durch die Region reizvoll ich komme bestimmt wieder. Und dieses mal nicht erst in zwanzig Jahren.
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