Reaktionen auf PositionspapierFDP-Vertreter fordert Tempo 30 – die Parteikollegen schäumen
Weil sich Anders Stokholm für Tempo 30 einsetzt, hagelt es Kritik aus dem eigenen Lager. Nun wehrt sich der Thurgauer deutlich und sagt, seinen Gegnern fehlen die Argumente.
Tempo 30 im ganzen Siedlungsgebiet, auch auf den Hauptstrassen: Das fordert der Städteverband in einem neuen Positionspapier. In Zukunft sollen Gemeinden keine Einzelfallprüfung mehr vornehmen müssen, wenn sie auf einer Hauptverkehrsachse die Höchstgeschwindigkeit von 50 Kilometern pro Stunde senken wollen. Erklärtes Ziel ist, die Lärmbelastung für die Stadtbewohner zu senken. Die «NZZ am Sonntag» hat am Wochenende zuerst darüber berichtet.
Die Forderung weckt bei Wirtschafts- und einem Teil der Verkehrsorganisationen Kritik: «KMU-feindlich» und «pure Ideologie» sei der Plan der Städte. Die Forderung provoziert aber auch eine Spitze aus der SVP gegen die FDP. Der Grund: Mit dem Frauenfelder Stadtpräsidenten Anders Stokholm vertritt im besagten Artikel ein Freisinniger die verschärfte Tempo-30-Position prominent.
Stokholm präsidiert den Städteverband seit diesem Sommer als Nachfolger von Nationalrat Kurt Fluri (FDP). Er spricht von einem Paradigmenwechsel, der nötig sei, weil immer mehr Menschen entlang der Verkehrsachsen wohnen und arbeiten würden. Als Reaktion darauf twitterte SVP-Nationalrat Andreas Glarner: «Ein FDPler fordert flächendeckend Tempo 30 ... dran denken bei den Wahlen 2023!»
«Vollkommen ideologische» Forderung
Wie reagiert Thierry Burkart auf Glarners Manöver? Er nehme es gelassen, sagt der FDP-Präsident. Er stellt klar: «Stokholm vertritt die Meinung des Schweizerischen Städteverbands, nicht jene der FDP.» Die Freisinnigen seien nicht gegen Tempo-30-Zonen in den Wohnvierteln von Städten und Dörfern, so Burkart. Die FDP halte aber deren allgemeine Einführung in städtischen Ortschaften «für nicht zweckmässig». Eine gewisse Hierarchie der Strassennetze, um die Verkehrsströme auf die Hauptachsen zu lenken, sei unerlässlich, um die Wohnviertel zu entlasten.
Auch FDP-Nationalrat Christian Wasserfallen legt Wert auf die Feststellung, Stokholms Aussagen seien keine freisinnige Position. Es sei wie immer beim Städteverband: Dieser versuche, auf nationaler Ebene eine «vollkommen ideologische» Forderung durchzudrücken, die aus dem linken städtischen Milieu stamme und selbst in den Städten bis jetzt nicht mehrheitsfähig gewesen sei. «Schade, dass ein Freisinniger den Kopf hinhalten muss, um als Briefträger zu fungieren.»
«Ich bin in erster Linie der Bevölkerung verpflichtet.»
Als Briefträger der Linken sieht sich Stokholm indes nicht. «Als Exekutivpolitiker bin ich in erster Linie der Bevölkerung und der Sachpolitik verpflichtet.» Der Städteverband habe sich intensiv mit dem Thema Siedlungsentwicklung und Lärm sowie dessen Auswirkungen auf die Bevölkerung auseinandergesetzt, was in ein Positionspapier mit «stringenter, faktenbasierter Argumentation» gemündet habe, sagt Stokholm. Und er stellt klar: «Es ist der Sache nicht dienlich, die Debatte zu personalisieren.»
Auch den Vorwurf, es handle sich um eine ideologische Forderung, weist Stokholm zurück. «Mit solchen Schubladisierungen bin ich persönlich vorsichtig.» Es komme immer wieder vor, dass der anderen gegenüber gemachte Vorwurf auf einen selbst zutreffe. Er selbst habe noch kein Argument von der Gegenseite gehört, wie der vom Verkehr ausgehende Lärm effizient und effektiv bekämpft werden solle. Wasserfallen sagt dazu, es gebe eine bessere Lösung: lärmarme Flüsterbeläge.
Stokholm findet auch nicht, dass er seiner Partei mit seinen Aussagen schade. Im Unterschied zu anderen Parteien, sagt er, trage die FDP mit dem «D» das Bekenntnis zur Demokratie seit je in ihrem Namen. «Wir werden stark an solchen Debatten, statt sie zu meiden.»
Ob dem so ist, muss sich weisen. Vorerst jedenfalls sorgt Stokholm mit seinen Aussagen zu Tempo 30 zumindest in Teilen der FDP für Irritation, so etwa in Basel-Stadt, wo die FDP mit der SVP gegen eine flächendeckende Einführung von Tempo 30 kämpft. «Es ist natürlich ärgerlich, wenn ein prominenter FDP-Exponent solche Positionen einnimmt», sagt Johannes Barth, Präsident der FDP Basel-Stadt. Zwar müsse man berücksichtigen, dass er als Exekutivmitglied die Position der Gesamtregierung vertreten müsse. «Leider aber machen immer mal ein paar Freisinnige einen Sololauf, der ganz und gar nicht zum Parteiprogramm passt.»
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