Interview mit FDP-Präsident «Wir werden uns nicht mehr verbiegen, um Kompromisse zu machen»
Thierry Burkart will, dass sich seine Partei weniger kompromissbereit zeigt. Er sagt, einen bürgerlichen Block gebe es nicht – und äussert sich zum Anspruch seiner Partei im Bundesrat.
Herr Burkart, warum verliert die FDP Wahl um Wahl?
Es gibt einige Gründe, die wir nun in einer Arbeitsgruppe vertieft analysieren. Wir müssen von der abstrakten Kommunikation wegkommen. Weg von «Wir wollen das Beste für das Land», hin zu: «Was bringt es den Wählerinnen und Wählern konkret, wenn sie die FDP wählen?» Das machen andere Parteien besser als wir. Und wir haben heute ein zu grosses Eigenleben der Kantonalparteien. Ich erfahre oft erst im Nachhinein von wichtigen Entscheiden wie etwa dem Rückzug eines Ständeratskandidaten.
Wie verträgt sich die angestrebte Zentralisierung damit, dass die FDP immer auf die Verantwortung des Einzelnen pocht?
Mir geht es nicht darum, dass nur ich bestimme. Aber ich brauche mindestens ein Mitspracherecht in den Kantonen, sonst können wir keine nationalen Strategien verfolgen. Und, das ist mir ganz wichtig: Wer das Gefühl hat, er könne in unserer Partei machen, was er will, der blendet aus, dass wir nicht nur eine Partei der Freiheit sind, sondern auch eine Partei der Verantwortung. Wir tragen alle auch eine Verantwortung der Partei gegenüber.
Was ist mit dem Inhalt? Petra Gössi hat als FDP-Präsidentin mit ihrem Klimakurs verloren. Sie haben der Partei ein rechtsbürgerliches Profil verpasst und auch verloren. Und jetzt?
Wir werden jetzt immer in diese rechtsbürgerliche Ecke gestellt. Doch wir haben ein eigenständiges, liberales Profil, das sich in zentralen Punkten von den linken Parteien wie auch von der SVP unterscheidet. Denken Sie nur an den Ukraine-Krieg, bei dem wir eine grundsätzlich andere Haltung haben als die SVP.
Mitte-Präsident Gerhard Pfister sagt, der bürgerliche Block sei tot. Was bedeutet das für die FDP?
Einen bürgerlichen Block hat es so nie gegeben. Diese Bezeichnung ist reines Politmarketing, um ein Blockdenken zu etablieren. Die bürgerlichen Parteien waren immer unterschiedlich positioniert. Unter bürgerlicher Zusammenarbeit verstehe ich, dass wir bei konkreten Fragestellungen die Lösung nicht im Umverteilungsstaat sehen wie die Linken, sondern auf Eigenverantwortung setzen. Das hat früher gut funktioniert. Ich habe Gerhard Pfister schon länger vorgehalten, dass sich die Mitte von diesen Prinzipien verabschiedet hat und sich immer mehr an der SP orientiert. Dies gilt insbesondere in sozialen und gesundheitspolitischen Fragen, wo sie sehr eng mit der Linken zusammenarbeitet. In diesem Sinn ist Gerhard Pfisters Absage an die bürgerliche Politik bloss seine eigene Bestätigung dieser Tatsache.
«Es gehört zu einer selbstbewussten Politik, dass wir härter werden bei der Kompromissfindung.»
Die Mitte will sich künftig noch stärker als dritte Kraft profilieren. Wenn die FDP Bündnispartner sucht, dann bleibt eigentlich nur noch die SVP. Geben Sie sich mit der Rolle der Juniorpartnerin der SVP zufrieden?
In der Schweiz kommt keine Partei in konkreten Sachfragen ohne Bündnispartner aus, meistens braucht es sogar mehrere. Deshalb werden wir auch in Zukunft mit der Mitte zusammenarbeiten. In der Europapolitik, bei der Neutralität oder der Waffenausfuhr braucht es Kompromisse zwischen unseren Parteien. Ich hoffe, dass die Offenheit dafür noch da ist – trotz dem aktuellen Kurs von Gerhard Pfister. Im Ständerat haben wir in den vergangenen Jahren meistens gut zusammengearbeitet. Bei den Themen Steuern und Abgaben suchen wir hingegen den Kompromiss eher mit der SVP. Aber wir bleiben bei unserem Kurs. Das heisst: Mitte-rechts, eine klare bürgerlich-liberale Linie. Wichtig ist: Wir sind immer kompromissbereit, werden uns aber nicht mehr verbiegen, um Lösungen zu finden.
Das heisst, bisher haben Sie sich verbogen?
Kompromisse bedingen immer, dass man einen Schritt aufeinander zugeht. Wir haben häufig zugunsten einer Lösung den grösseren Schritt gemacht als die anderen Parteien. Es gehört zu einer selbstbewussten Politik, dass wir härter werden bei der Kompromissfindung. Wir müssen auch einmal Nein sagen. Wir müssen für unsere Ideen konsequent kämpfen und in Kauf nehmen, dass wir auch mal verlieren.
Also werden Sie Parteipolitik machen, statt zu Lösungen beizutragen?
Natürlich müssen und wollen wir weiterhin Hand zu Lösungen bieten, aber wir dürfen uns nicht auf jeden Kuhhandel einlassen. Auch die SVP und die SP sind Bundesratsparteien und praktizieren ihre harte Haltung dennoch sehr konsequent und oft ohne Rücksicht auf das Gemeinwohl.
Sie haben im zweiten Ständeratswahlgang in Zürich, Solothurn und Schaffhausen Ihre Kandidaturen zurückgezogen – zugunsten von SVP-Kandidaten sowie Thomas Minder, die alle die Wahl verpasst haben. War das ein Fehler?
Das war der Entscheid der Kantonalparteien, den ich respektiere. Im Nachhinein ist es auch einfach, zu sagen, man hätte es besser gewusst. Aber wir hätten in einigen Kantonen selbstbewusster sein können, um mit unseren Kandidierenden in den zweiten Wahlgang zu gehen.
Das heisst, Sie gehen lieber mit zwei bürgerlichen Kandidaten in Würde unter, als mit der SVP zu kooperieren?
So generell lässt sich das nicht beantworten. Denn es ist immer auch eine Frage der Alternative. Aber dort, wo wir eine Chance auf einen Sitz haben, sollten wir künftig selbstbewusster antreten.
Sie sagen, die FDP müsse selbstbewusster sein, haben aber kurz nach der Wahl ausgerechnet das Thema Migration aufgegriffen, wo Sie der SVP kaum den Rang ablaufen können.
Wir müssen einfach zur Kenntnis nehmen, dass die Migrationspolitik im Moment Wahlen entscheidet, wie wir das aktuell auch in Holland sehen. Ich habe die Migration aus Überzeugung angesprochen. Wir fordern seit Jahren eine konsequente, aber faire Asylpolitik. Wenn wir nicht bereit sind, das Asylrecht konsequent durchzusetzen, nimmt die Akzeptanz der Bevölkerung für die Aufnahme von Asylsuchenden massiv ab. Das schadet jenen, die tatsächlich in Not sind und Schutz brauchen. Wahlen erfordern eine gewisse Demut. Es kann uns nicht einfach egal sein, was die Bevölkerung zur Migration denkt.
Die Schweiz hat im internationalen Vergleich kurze Behandlungsfristen für Asylgesuche und eine höhere Rückführungsquote als beispielsweise Deutschland. Welches sind die FDP-Rezepte in der Asylpolitik?
Die innenpolitischen Probleme in Deutschland zeigen ja gerade den Handlungsbedarf. Ich sehe im Vollzug der Verfahren auch in der Schweiz nach wie vor grosses Potenzial. Dringend nötig wäre eine aktive Rückführungspolitik für all jene, deren Asylgesuch abgelehnt wurde. Hier steht für mich Bundesrätin Elisabeth Baume-Schneider in der Pflicht. Fragwürdig finde ich den Entscheid, dass allein Nationalität und Geschlecht zu einem positiven Asylentscheid führen, unabhängig von der tatsächlichen Gefährdung der Asylsuchenden.
Sie sprechen von Gesuchen von Afghaninnen.
Genau. Es ist klar, dass Frauen aus Afghanistan Anspruch auf Asyl haben, wenn sie an Leib und Leben gefährdet sind. Aber es geht hier auch um Personen, die sich bereits in einem sicheren Drittstaat aufhalten und neu bei uns auch Anrecht auf Asyl haben. Oder um jene, die bei uns vorläufig aufgenommen wurden und neu Anrecht auf den Asylstatus haben. Sie erhalten damit eine höhere Unterstützung aus der Sozialhilfe und das Recht auf Familiennachzug. Wenn es nicht nötig ist, die Türen aufzumachen, wenn keine Menschenleben bedroht sind, müssen wir in der Asylpolitik konsequent sein.
«Wir müssen uns fragen, ob Unternehmen, die ausländische Arbeitskräfte anstellen, einen Beitrag an die allgemeinen Kosten bezahlen sollen.»
Müsste die Schweiz auch die Zuwanderung aus der EU oder aus Drittstaaten stärker einschränken?
Ich merke, dass die starke Zuwanderung die Menschen in diesem Land beschäftigt. Sie spüren es auf den Strassen, im ÖV, bei der Wohnungssuche. Da müssen wir Lösungen anbieten. Aber die Personenfreizügigkeit brauchen wir weiterhin. Anstatt die wirtschaftlichen Beziehungen zu unseren Nachbarn zu gefährden, wie es die SVP will, müssen wir im Inland ansetzen. Wir müssen Massnahmen ergreifen, damit unsere Wirtschaft nicht mehr so stark auf ausländische Arbeitskräfte angewiesen ist. Die Lebenserwartung wird immer höher, wir müssen also auch länger arbeiten. Gleichzeitig müssen wir Frauen noch besser in den Arbeitsmarkt einbinden. Wir müssen uns zudem die Frage stellen, ob Unternehmen, die ausländische Arbeitskräfte anstellen, einen Beitrag an die allgemeinen Kosten bezahlen sollen. Das ist aber meine persönliche Meinung.
Das klingt aber nicht sehr liberal.
Das Verursacherprinzip ist liberal. Sollten die Kosten den Nutzen der Zuwanderung übersteigen, zum Beispiel aufgrund des nötigen Ausbaus der Infrastruktur, kann dies nicht ausschliesslich der Allgemeinheit überwälzt werden.
Oft sind Kinder der Grund dafür, dass Frauen – oder auch Männer – Teilzeit arbeiten. Aber Sie sind dagegen, die externe Kinderbetreuung stärker zu fördern.
Nein. Aber die Kinderbetreuung ist eine Aufgabe der Kantone. Man muss in denjenigen Kantonen ansetzen, die ihren Job nicht genügend gut machen. Aber sobald man hier für den Föderalismus argumentiert, heisst es, man sei gegen Kitas. Dieses Schwarzweissdenken stört mich. Man kann dem Bund nicht immer noch mehr Ausgaben aufladen. Wenn Sie all die Beträge addieren, welche die SP in den letzten vier Jahren zusätzlich ausgeben wollte, kommen Sie auf einen sehr hohen zweistelligen Milliardenbetrag. Kosten, die jährlich wiederkehrend sind und nicht finanziert werden können. Da wäre auch die von der SP zur Gegenfinanzierung ins Feld geführte Abschaffung der Armee nur ein Tropfen auf den heissen Stein.
«Wenn wir in vier Jahren nicht zulegen können und die Mitte gleich stark bleibt, dann wird es schwierig werden, zu argumentieren, warum die FDP zwei Sitze hat.»
Zurück zu den verlorenen Wahlen: Bleiben Sie Präsident der FDP?
Zur Analyse des Wahlresultats gehört auch, dass man sich völlig unvoreingenommen die Fragen zur besten personellen Besetzung der Partei stellt. Da darf selbstverständlich auch das Amt des Präsidenten nicht ganz ausgeklammert werden. Aber vorderhand habe ich kein Bedürfnis, das Präsidium abzugeben.
Das heisst, Sie würden gerne weitermachen, wenn man Sie lässt?
Am Schluss ist es eine Entscheidung zugunsten der Partei und nicht nur eine individuelle Frage.
Und wann wird diese Entscheidung fallen?
Die Analyse wird im Verlauf des nächsten Jahres abgeschlossen werden. Der genaue Zeitpunkt ist noch offen.
Sprechen wir über den Bundesrat. Sie sagten – Zitat: «Die harte Währung sind die Anzahl Sitze im Ständerat und im Nationalrat.» In dieser harten Währung liegen Sie hinter der Mitte. Gibt die FDP einen Bundesratssitz ab?
Dass wir bei den Sitzen hinter der Mitte liegen, ist eine Tatsache, auch wenn wir bei den Wähleranteilen noch etwas stärker sind. Wenn wir in vier Jahren nicht zulegen können und die Mitte gleich stark bleibt, dann wird es schwierig werden, zu argumentieren, warum die FDP zwei Sitze hat. Für uns ist der Auftrag klar: Wir müssen die nächste Wahl gewinnen, wenn wir beide Sitze behalten wollen. Sowieso braucht es aber für einen Wechsel eine Vakanz im Bundesrat.
Muss in vier Jahren also ein FDP-Bundesrat zurücktreten, falls Sie nicht wieder klar zulegen?
Nein, deshalb sagte ich: bei einer Vakanz. Und ein Parteipräsident kann darüber nicht bestimmen.
Aber Sie würden es von einem Ihrer Bundesräte erwarten?
Ich kann mich nur wiederholen: Wenn wir in vier Jahren nicht zulegen können und die Mitte gleich stark bleibt, dann wird es schwierig werden, zu argumentieren, warum die FDP zwei Sitze hat. Deshalb müssen wir gewinnen.
Herr Pfister hat daran erinnert, dass die FDP damals geholfen hat, Frau Metzler abzuwählen – zusammen mit der SVP …
Ich war 2003 im Gegensatz zu Herrn Pfister noch nicht im Parlament. Er setzte sich damals lautstark für einen Schulterschluss mit der SVP ein. Insofern hat er auch da einen ziemlichen Wandel vollzogen.
Sie haben sofort entschieden, den grünen Kandidaten Gerhard Andrey nicht anzuhören. Wäre es nicht besser, seinen Angreifer zu kennen?
Unsere beiden Bundesräte treten wieder an. Da ist es obsolet, jemanden anzuhören, der unsere Kandidaturen angreift. So haben wir es auch 2019 gehandhabt, als Regula Rytz gegen uns antrat. Es wäre ja verlogen, wenn man von vornherein weiss, dass man die Person nicht wählen will.
Was sollte der künftige SP-Bundesrat oder die SP-Bundesrätin zwingend mitbringen?
Er oder sie sollte das politische Handwerk beherrschen und sowohl gewisse politische Erfahrung als auch Führungserfahrung mitbringen. Das gilt für alle Bundesratskandidatinnen und -kandidaten.
Wäre es ein Problem, wenn weiterhin vier Lateiner und Lateinerinnen im Bundesrat wären?
Die Bundesverfassung besagt, dass es eine angemessene Vertretung der Regionen braucht. Das muss aber nicht jedes Jahr mathematisch erfüllt sein. Am Schluss steht die Qualität der Kandidatin oder des Kandidaten selbstverständlich im Vordergrund.
Wenn Ihnen der Westschweizer Kandidat besser passt, wählen Sie also auch ihn?
Ich würde sagen, bei gleicher Qualifikation hat der Deutschschweizer oder die Deutschschweizerin einen Vorteil.
Welche der für die kommende Bundesratswahl antretenden SP-Kandidierenden sind politisch am nächsten bei der FDP?
Es sind alles Sozialdemokraten. Entscheidend ist, wer fähig ist, über die Parteigrenzen hinaus mit anderen zusammenzuarbeiten. Da haben wir mit den Kandidierenden unterschiedliche Erfahrungen gemacht. Aber Namen nenne ich hier sicher keine.
Würden Sie vom Ticket abweichen?
Die Regel war in den letzten Jahren immer, dass mindestens zwei fähige Kandidaturen zur Auswahl stehen müssen. Wenn das gilt, weichen wir nicht vom Ticket ab.
Erfüllen alle sechs SP-Kandidierenden in Ihren Augen diese Auflage?
Das werden wir sehen. Die Hearings kommen erst.
Sie lassen es sich also offen, abseits vom Ticket zu wählen?
Das finde ich eine sehr sportliche Interpretation. Wenn zwei fähige Kandidaten auf dem Ticket sind, dann werden wir eine oder einen der beiden wählen. Stand heute sehe ich niemanden, der absolut unwählbar ist. Aber es gab schon Kandidaten, bei denen plötzlich rauskam, dass sie in Strafverfahren involviert sind – beispielsweise bei der SVP. Ich unterstelle das natürlich niemandem. Aber ich kann nicht jetzt schon sakrosankt sagen, alle seien wählbar, wenn noch ein Prozess vor uns liegt.
Zur Wahl des Bundeskanzlers: Werden Sie eine SVP-Kandidatur unterstützen?
Die Parteizugehörigkeit ist bei der Wahl des Bundeskanzlers zweitrangig. Wir werden alle Kandidatinnen und Kandidaten zuerst anhören und dann als Fraktion entscheiden, wer sich aus unserer Sicht am besten eignet.
Der Kanzler wird oft als achter Bundesrat bezeichnet. Die Frage, welche Partei welche Machtansprüche hat, muss doch mitspielen?
Diese Überlegungen können spielen, aber die Qualität der Kandidierenden muss der wichtigste Faktor sein.
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