Grossbritanniens PremierRückzug – das gute alte BoJo-Chaos
Der britische Ex-Premierminister nimmt sich aus dem Rennen um die Nachfolge von Liz Truss. Damit ist Finanzminister Rishi Sunak der aussichtsreichste Kandidat. War alles nur ein Bluff?
Es ist ein strahlend schöner Samstagmorgen, als die Boeing mit der Flugnummer BA2156 um 10.18 Uhr in Gatwick landet. Die Fernsehkameras von Sky News sind schon da, aber es dauert noch ein wenig, bis der Fluggast, gebucht auf den Sitzplatz 34K, aus der Maschine steigt. Erster Eindruck: Er scheint sich in der Karibik ganz gut erholt zu haben.
Sein Gesicht jedenfalls hat etwas Sonne abbekommen. Ansonsten erscheint alles wie immer. Das weisse Hemd, das nicht so richtig in der Hose bleiben mag. Das etwas zu weite Sakko. Und natürlich die Haare, der blonde Schopf, der unkontrolliert im Wind weht, als er britischen Boden betritt.
Seit Samstagvormittag ist Boris Johnson in London. Seine Rückkehr war nicht unbedingt geplant, zumindest nicht zu diesem Zeitpunkt. Doch als Liz Truss am Donnerstag ihr Amt als Tory-Chefin aufgab, war schnell klar: Johnson bricht seinen Familienurlaub in der Dominikanischen Republik ab. Er muss heim nach London. Und zwar schnell.
Schon bevor Johnson am Samstag in Gatwick landet, verkünden seine Verbündeten, was für viele in Grossbritannien wie ein ziemlich schlechter Scherz klingt. Boris is back, er will wieder das werden, was er im Sommer noch war: Tory-Parteichef und Premierminister. Zumindest sieht es ein paar Tage lang so aus. Es wäre ein Comeback, so aussergewöhnlich, so verrückt, dass man es kaum glauben mag. Am Ende wird es die Sorte Polit-Chaos, die man von ihm gewohnt ist.
Keine Einigung mit Sunak
Chaos? «Boris is a winner», schreibt am Sonntag noch der Johnson-Vertraute Jacob Rees-Mogg auf Twitter. Für Johnsons Anhänger ist seine Ankunft in Gatwick nicht weniger als die Rückkehr des verlorenen Sohnes. Und keine Frage, so heisst es schon vor seiner Landung, Johnson habe die nötigen 100 Unterstützer aus der Tory-Fraktion im Unterhaus locker in der Tasche. So viele bräuchte er bis spätestens Montag, 14 Uhr, um überhaupt ins Rennen um den Parteivorsitz gehen zu können. Aber wie gesagt: Alles kein Problem, heisst es aus dem Johnson-Lager.
Allzu sicher kann sich Boris Johnson aber schon am Wochenende nicht sein. Im Live-Ticker des Daily Telegraph sieht es jedenfalls am Sonntagmittag nicht so gut aus. Hinter dem Namen Boris Johnson stehen zu der Zeit gerade mal 57 Unterstützer. Das ist besser als die 24 bei Penny Mordaunt, der Aussenseiterin. Aber sehr viel schlechter als die 128 bei Rishi Sunak, dem Favoriten. Immerhin: 150 Tories haben ihre Wahl noch nicht erklärt.
Als Sunak, der frühere Finanzminister, dann am Sonntagmittag seine Kandidatur bekanntgibt, herrscht im Johnson-Lager: Stille. Offiziell hat Boris Johnson sich bis dahin noch nicht dazu geäussert, ob er antritt. Und es gibt durchaus gewichtige Stimmen, die ihm davon abraten. Charles Moore zum Beispiel, Mitglied im Oberhaus und ein Freund aus Johnsons Zeit beim Telegraph. Am Wochenende schreibt er in eben dieser Zeitung, er könne sich durchaus vorstellen, dass Johnson unter anderen Umständen zurückstürmen würde, aber: «Ich glaube nicht, dass es im Moment funktioniert. Wahre Boris-Fans werden den Mut haben, ihm zu sagen, dass er die Sache aussitzen soll.»
Aussitzen? Am Sonntagnachmittag sieht es noch nicht so aus, als ob Boris Johnson das vorhätte, zumindest behaupten das seine Fürsprecher. Dabei haben sich mit Kemi Badenoch, David Frost und Suella Braverman zu dem Zeitpunkt schon drei seiner Anhänger für Rishi Sunak ausgesprochen. Badenoch und Frost zählen zum rechten Flügel der Tories, Braverman zum ultrarechten. Aber Johnson wäre nicht Johnson, wenn er deshalb aufgeben würde. Er soll, so berichten es britische Medien, gar nicht daran denken, das Telefon aus der Hand zu legen, um für sich zu werben. Er soll, auch das berichten sie, seine gute alte BoJo-Taktik fahren: Allen einfach das versprechen, was sie hören wollen.
Ob er damit durchkommt? Da ist schliesslich noch Partygate, jene Affäre, über die er gestürzt ist. Noch immer läuft im Unterhaus eine Untersuchung, ob er das Parlament als Premierminister belogen hat. Seine Verbündeten blenden das in ihren Statements aber aus, für sie zählt nur eines: Boris Johnson war es, der die Wahl 2019 gewonnen hat. Und deshalb habe er nun mal das Mandat der Wählerschaft, und sonst niemand.
Eine Lesart, die Johnson auch seinem Gegner Rishi Sunak am Samstagabend noch mal vor Augen geführt haben dürfte. Es wird schon dunkel, als die beiden sich in London treffen. Was genau die beiden besprechen, bleibt natürlich ihr Geheimnis. Nach dem Treffen beteuert allerdings Johnsons Lager, dass er weitermache, denn eines sei ja mal klar: Sollten am Ende die Parteimitglieder über die Nachfolge von Liz Truss entscheiden, dann stehe der Sieger schon jetzt fest – Boris Johnson.
Verteidigungsminister bringt anderen Vorschlag
Das Problem ist nur: Er bräuchte 100 Unterstützer. «Wir haben die Anzahl. Das ist kein Problem», sagt Nordirland-Minister Chris Heaton-Harris am Sonntagmittag bei Sky News. Und auf die Frage, ob Johnson antreten werde, sagt er: «Ja, ich denke schon.»
Am Sonntagabend zitieren britische Medien dann aus einer Whatsapp-Nachricht, die Heaton-Harris an Johnsons Unterstützer geschickt haben soll. Sie beginnt mit den Worten «OK everyone! Some very good news!» Und weiter: «Dank eurer harten Arbeit kann ich bestätigen, dass wir den gesamten Papierkram erledigt haben (Überprüfung aller Nominierungen mit Antragsteller und Unterstützer), um morgen auf dem Stimmzettel zu stehen.»
Nun, Ben Wallace, der Verteidigungsminister, hätte nichts dagegen. Am liebsten wäre ihm allerdings ein «Triumvirat» aus Johnson, Sunak und Mordaunt, wie er der Sunday Times sagte. Wenn man so will, ist Wallace eine der letzten vernünftigen Stimmen, die es in der Konservativen Partei noch gibt. Die Frage ist allerdings, wer ihm noch zuhört.
Wallace also sagt: «Um des Landes willen müssen alle drei zusammenkommen, ihre Egos beiseite legen und erkennen, dass wir ohne Einigkeit eine Verfassungskrise haben werden.» Warum? Weil der neue Parteichef ansonsten nicht in der Lage sein werde, eine Mehrheit im Parlament zu vereinen. Und dann sagt Wallace noch einen Satz, der fast schon verzweifelt wirkt: «Sie müssen alle Opfer bringen.»
Was Boris Johnson dazu wohl sagen würde? Am Sonntagabend kommt die Nachricht, dass er doch nicht kandidiert. «Ich hätte gute Chancen auf Erfolg in der Parteibasis und könnte womöglich am Freitag zurück in der Downing Street sein», schrieb Johnson. In den vergangenen Tagen sei er aber zu dem Schluss gekommen, dass dies nicht der richtige Weg sei: «Man kann nicht effektiv regieren, wenn man keine geeinte Partei im Parlament hat.» Leider sei keine Einigung mit seinen Rivalen Sunak oder Mordaunt zustande gekommen. «Ich glaube, dass ich viel zu bieten habe, aber leider ist dies wohl nicht die richtige Zeit», so der 58-Jährige.
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