Fangewalt im Schweizer FussballLiga gegen personalisierte Tickets: «Es sind Fanproteste zu erwarten»
Die Swiss Football League positionierte sich am Mittwoch noch einmal ganz klar gegen die Massnahmen der KKJPD. Die wichtigsten Fragen und Antworten.
Er wirkt beinahe etwas frustriert. Als Claudius Schäfer sein Plädoyer gegen personalisierte Tickets hält, sind ihm seine Emotionen anzusehen. Der Geschäftsführer der Swiss Football League (SFL) stellt sich beim Mediengespräch über die «Sicherheit im Schweizer Profifussball» in Bern klar gegen die KKJPD, die Konferenz der kantonalen Justiz- und Polizeidirektorinnen und -direktoren.
Schäfer wünscht sich im Thema Fangewalt mehr Dialog und weniger Populismus. Und sagt: «Die Hand der Liga zu den Behörden ist ausgestreckt.» Ob dieser Gestus zur Versöhnung der zerstrittenen Parteien führt, ist fraglich. Die Meinungen gehen gerade weit auseinander. Doch wo befindet sich der Schweizer Fussball in der Gewaltprävention? Die wichtigsten Antworten.
Kaskadenmodell und personalisierte Tickets – wie ist der aktuelle Stand?
Im vergangenen Jahr stellte die KKJPD das Kaskadenmodell vor, das ab dieser Saison offiziell gilt. Die SFL lehnt das Modell, das nach Fanausschreitungen Kurvenschliessungen oder gar Geisterspiele vorsieht, ab. Im April dieses Jahres entschied die Konferenz dazu, sich für personalisierte Tickets starkzumachen. Verständnis von der Liga dafür gibt es keines, denn sie setzt auf das Konzept von «Good Hosting», Rayonverbote, Einzeltäterverfolgung, Fanarbeit – und damit auf den Dialog.
Warum will die Liga keine personalisierten Tickets?
Sie verspricht sich davon nichts. Und sie hat ihre Zweifel daran, dass die Gewalt in den Stadien eingedämmt wird. Schäfer findet die Lösung «vermeintlich populär», aber «effektiv populistisch und inhaltlich falsch».
Klar, Menschen, die zum Beispiel eine Saisonkarte kaufen, registrieren sich und sind den Clubs bekannt. Eine Einführung der personalisierten Tickets hätte aber eine ID-Kontrolle beim Einlass zur Folge. Logistisch sei das kaum zu stemmen, sagt Schäfer. «In grossen Stadien drohen stundenlange Wartezeiten.» Die Betriebskosten und der Personalaufwand an Spieltagen würden steigen, ohne dass die Gewalt abnehme, die sich nach ausserhalb der Stadien verlagert.
Schäfers Fazit: «Es sind Fanproteste zu erwarten. Personalisierte Tickets führen ohne grosse Not zu Risiken.»
Wie steht es um die Sicherheit im Schweizer Profifussball?
Schäfer spricht in Bern gerne von der gestiegenen Anzahl Fans. Etwas mehr als drei Millionen tummelten sich in der letzten Saison in den Schweizer Stadien – Rekord. Gleichzeitig nahmen die Spiele mit gewalttätigen Ereignissen seit der Saison 2021/22 von 27 auf 17 Prozent ab.
In die sogenannte rote Kategorie fallen im GSLS-Reporting (Gesamtschweizerisches Lagebild Sport) neben besonders schweren Vorfällen auch Spiele wie jenes des FC Wil gegen Sion am 26. Januar 2024. Nach der Partie kam es zu Konfrontationen der Fanlager, jedoch ohne Tätlichkeiten. Während des Spiels wurden Pyros gezündet. Aus dem Bericht geht auch hervor, dass die schweren Zwischenfälle meistens ausserhalb der Stadien stattfinden.
Wie wird das Kaskadenmodell umgesetzt?
Das zweite grosse Thema neben den Tickets ist das Kaskadenmodell. Die Liga macht dabei nicht mit, entsprechend wenig Einfluss hat sie. Zur Anwendung kam das Modell, das für ein bestimmtes Vergehen eine bestimmte Strafe vorsieht, im August nach einem Vorfall vor einer Partie zwischen Sion und Basel. Fans prügelten sich fernab des Stadions.
Ursprünglich war vorgesehen, dass die Basler Fankurve im folgenden Spiel gesperrt wird. Dazu kam es zwar nicht, doch beim nächsten Basler Gastspiel in Sitten sind keine FCB-Fans zugelassen. Dazu wird es frühestens im Frühling 2025 kommen. «Ist das präventiv wirkend?», fragt Schäfer. Und antwortet: «Ich mache ein grosses Fragezeichen. Wir und die Clubs wehren uns gegen Massnahmen, die kontraproduktiv und rechtsstaatlich fragwürdig sind.»
Wie ist die Situation im Ausland?
Alain Brechbühl, Leiter der Forschungsstelle Gewalt bei Sportveranstaltungen der Universität Bern, sagte dieser Redaktion einmal: «Vielleicht gibt es irgendwo ein Zauberrezept. Aber ich bezweifle es stark.»
In Italien sind personalisierte Tickets etwa schon der Status quo – auch wenn beim Einlass nicht immer kontrolliert wird. In den Stadien kommt es immer wieder zu rassistischen Vorfällen, körperliche Übergriffe hingegen sind selten. Ausserhalb der Arenen, in Innenstädten oder gar auf Autobahnraststätten treffen sich Fans oft zu Prügeleien.
Auch in der Türkei sind personalisierte Tickets die Norm, hier ist die Gewalt aber sogar in den Stadien weiterhin sichtbar, wie etwa im März, als Fans beim Spiel von Trabzonspor gegen Fenerbahce Istanbul die Spieler auf dem Rasen attackierten. Ungarn setzt ebenfalls auf die Identitätskontrolle beim Einlass, sei aber mit der Schweiz nicht zu vergleichen, sagt Schäfer. Der Zuschauerschnitt der OTP Bank Liga beträgt ungefähr 4800 – der Wert der Super League ist fast dreimal so hoch.
Was ist mit der Gewalt in den Städten?
Beim Anlass der SFL geht es vor allem um die Gewalt in den Stadien. Sie mag zurückgegangen sein, doch vor allem in Zürich häufen sich besorgniserregende Vorfälle. Vergangenes Wochenende stürmten Gewaltbereite aus dem FCZ-Umfeld die Chilbi in Wiesendangen, weil sie dort GC-Fans vermuteten. «Wenn wir hören, dass Kinder ihre Trikots nicht mehr anziehen können, beschäftigt uns das massiv», sagt Schäfer. Das Problem sei aber lokal und müsse lokal angegangen werden, Schäfer appelliert an die Zusammenarbeit der Clubs mit den Behörden.
Was heisst eigentlich «Good Hosting»?
Auf dem Boden des Presseraums im Wankdorf-Stadion liegt an diesem Morgen ein grosses Banner: FCZ-Farben, FCZ-Logo, FCZ-Slogan. Dazu die Aufschrift: «Willkommen in Yverdon». Solche speziellen Massnahmen hat der Waadtländer Club zuletzt eingeführt, ganz im Sinne von «Good Hosting», also guter Gastgeberschaft. Yverdon möchte Fans anderer Vereine willkommen heissen, um Gewalt im und um das Stade Municipal zu verhindern.
Andere Aktionen: Die frühe Kontaktaufnahme mit den Kurven, Informationsbroschüren und sogar Mitarbeiter, die an Getränkeständen auch mal ein FCZ-Trikot tragen. Kaum vorstellbar, wenn der FCZ im Letzigrund den FC Basel empfängt, aber in Yverdon sind die Erfahrungen positiv. Billy Waperlin und Barbara Augsburger, die Sicherheitsverantwortlichen des Clubs, berichten, dass es bei 21 Heimspielen bloss zu 3 kleineren Vorfällen kam.
Fehler gefunden?Jetzt melden.