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Brief zum Familiennachzug
«Verfassungswidrig, völkerrechtswidrig, kinderrechtswidrig» – Ständeräte bekommen eindringliche Warnung

Anerkannte Fluechtlinge und vorlaeufig aufgenommene Personen lernen in der integrationsvorlehre SEM am BBZ Olten am 21. Mai 2019 in Olten. (KEYSTONE/Gaetan Bally)
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In Kürze:
  • In einem gemeinsamen Brief kritisieren fünf eidgenössische Kommissionen die Pläne, den Familiennachzug für vorläufig aufgenommene Personen zu verbieten.
  • Das ist ein ungewöhnliches Vorgehen.
  • Der Nationalrat hat einem Vorstoss der SVP, der ein solches Verbot verlangt, bereits zugestimmt. Nun diskutieren Staatspolitiker des Ständerats darüber.
  • Im Brief wird betont, dass die Schweiz beim Familiennachzug bereits heute restriktiv sei.

Der Briefkopf erinnert an ein Telefonbuch: Fünf Namen von eidgenössischen Kommissionen stehen da säuberlich übereinander aufgelistet. Der Brief beginnt mit eindringlichen Worten: «Verfassungswidrig», «völkerrechtswidrig» und «kinderrechtswidrig» sei der Plan, vorläufig aufgenommenen Personen den Familiennachzug grundsätzlich zu verbieten. 

Wer aus einem Kriegsgebiet in die Schweiz flüchtet, dort aber nicht individuell verfolgt wurde, wird in der Schweiz vorläufig aufgenommen. Ist der Krieg vorbei und die Lage wieder sicherer, kann diese Person nicht in der Schweiz bleiben, sondern muss nach Hause zurückkehren. Aber weil Konflikte oft Jahre bis Jahrzehnte dauern, leben viele Personen mit dem sogenannten Status F lange in der Schweiz. Sie können – sofern sie gewisse Kriterien erfüllen – beantragen, dass ihre Familienmitglieder ihnen in die Schweiz folgen dürfen. Die SVP will dies allerdings mit einem Vorstoss verbieten. Der Nationalrat hat ihn bereits angenommen.

«Habe ich noch nie erlebt»

Der Brief, der dieser Redaktion vorliegt, wurde an alle Ständerätinnen und Ständeräte verschickt, die am Dienstag über den Vorstoss entscheiden werden. Die eidgenössischen Kommissionen für Familienfragen, Kinder- und Jugendfragen, Migration, Rassismus und Frauenfragen geben darin eine gemeinsame Einschätzung ab. Ein ungewöhnliches Vorgehen. 

Daniel Fässler (Mitte) ist Präsident der Staatspolitischen Kommission des Ständerats. Er verweist auf Anfrage darauf, dass es nicht der Auftrag von ausserparlamentarischen Kommissionen sei, zu Parlamentsgeschäften Stellung zu nehmen. Sie müssten die Verwaltung beraten. Fässler sagt: «Dass sich fünf Kommissionen gemeinsam in einem Brief an eine parlamentarische Kommission äussern, habe ich noch nie erlebt.»

Bettina Looser, Geschäftsführerin der eidgenössischen Migrationskommission, sagt: «Die Kommissionen haben sich zu diesem Schritt entschieden, weil es um eine Grundsatzfrage geht. Und zwar darum, wie die Rechte von Kindern und Familien gegenüber migrationspolitischen Zielen gewichtet werden.»

Die Kritik im Brief zieht sich über drei Seiten. «Nicht rechtsstaatlich» sei der Entscheid des Nationalrats. Er verstosse gegen die Menschenrechtskonvention, die  Kinderrechtskonvention und den UNO-Pakt für bürgerliche und politische Rechte. Ähnliche Vorbehalte hatte bereits der Bundesrat vorgebracht, der dem Parlament ebenfalls empfohlen hat, das Verbot abzulehnen. 

126 Fälle im letzten Jahr

Die SVP begründet ihren Vorstoss damit, dass der Status der vorläufigen Aufnahme heute missbraucht werde. Ein Familiennachzug widerspreche der Idee, dass diese Personen eben nicht permanent in der Schweiz bleiben dürften. Und die Familienzugehörigkeit werde «praktisch nie kontrolliert». Im Brief heisst es hingegen, ein Familiennachzug bei Status F werde in durchschnittlich 126 Fällen pro Jahr bewilligt. Die Praxis sei also bereits sehr restriktiv. Um Familienmitglieder in die Schweiz holen zu können, müssten die Personen gut integriert sein und für das Familieneinkommen sorgen können. Insbesondere weil oft Kinder die Leidtragenden eines solchen Verbots wären, sei ein Verbot auch «aus ethischer Perspektive» infrage zu stellen, heisst es im Brief weiter. 

Die Präsidentinnen und Präsidenten der ausserparlamentarischen Kommissionen, die den Brief unterzeichnet haben, stehen alle der SP nah. Sie haben den Brief allerdings im Namen der ganzen Gremien unterzeichnet. Das sind etwa im Fall der Kommission für Migrationsfragen 30 Personen, darunter Fachexpertinnen, frühere Parlamentarier und Vertreter von Arbeitgeber- und Arbeitnehmerverband. 

Im Nationalrat stimmte die SVP sowie eine Mehrheit der FDP- und Mitte-Parlamentarier für das Verbot. Im Ständerat stellen diese drei Parteien ebenfalls klare Mehrheiten. Aber bei Ständeräten kommt es häufiger vor, dass sie von der Parteilinie abweichen. Deshalb könnte das Resultat knapper ausfallen – jedenfalls in der Kommission, die nun als Erstes entscheidet.