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Interview mit China-Experte
«Die Zeit der Schweizer Naivität ist vorbei»

In Unterbach bei Mieringen startet ein Militärflieger. Von diesem lärmigen Ereignis sind Anwohner betroffen.
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Herr Weber, wir berichten über eine mutmassliche chinesische Spionageaktion über den Gasthof Rössli direkt am Militärflugplatz Meiringen. Überrascht Sie solch ein Fall?

Überhaupt nicht. Die Volksrepublik China betreibt je mehrere zivile und militärische Nachrichtendienste, die rund um die Welt äusserst aktiv sind. Im Vordergrund der militärischen Dienste steht, was mit den USA, die als Hauptgegner betrachtet werden, und mit Technologie zu tun hat. In einzelnen Bereichen ist China zwar mittlerweile führend – zum Beispiel bei Drohnen oder Hyperschallraketen. Doch das chinesische Militär ist nach wie vor an Know-how aus dem Westen interessiert.

Dafür wendet es viel Geld und Zeit auf. Die nun aufgeflogene mutmassliche Operation im Berner Oberland kostete eine siebenstellige Frankensumme. Die Chinesen investierten 2018 allein rund 800’000 Franken in einen Gasthof, den sie dann rund fünf Jahre lang nicht mehr voll betrieben.

Für den Parteistaat und die chinesischen Dienste ist das nicht viel Geld. Solche Gastronomiebetriebe sind zudem unauffällig. Restaurants spielen auch in anderen Kontexten, etwa für die Einheitsfront, eine besondere Rolle – als Ort, den man für Treffen benutzen kann.

Wie stark sind Chinas Geheimdienste in der Schweiz aktiv?

Schwierig einzuschätzen, weil die Aktivitäten naturgemäss klandestin erfolgen. Agenten treten undercover auf, als Diplomaten, Journalisten, Wissenschaftler oder als Vertreter einer zivilgesellschaftlich erscheinenden Vereinigung. Der Schweizer Nachrichtendienst des Bundes wies in den vergangenen Jahren immer auf chinesische Nachrichtendienste als echte Gefahr hin. Da muss einiges an Volumen vorhanden sein. Sonst würde sich kein solcher jährlicher Eintrag rechtfertigen.

Die meisten Fälle, die publik wurden, betrafen Studierende an Hochschulen oder die Observierung und Unterdrückung von Tibetern oder Uigurinnen auch in der Schweiz.

Solche Aktivitäten deuten eher auf die zivilen Nachrichtendienste hin: das Ministerium für öffentliche Sicherheit und das Ministerium für Staatssicherheit. Die militärischen Dienste operieren häufig aus China heraus – Stichwort Cyber und Hacking. Direkte Operationen gibt es aber auch, denn teilweise muss man sich direkt vor Ort Zugang zu Hightech beschaffen. Der aktuelle Fall ist aber schon aussergewöhnlich.

Inwiefern?

Solche mutmasslichen Operationen werden eher selten bekannt. Das chinesische Interesse an der F-35 ist gross: Mutmassliche chinesische Hacker sollen gemäss amerikanischen Medienberichten wiederholt Zuliefererpläne zu Komponenten des Kampfjets beschafft haben. Und erst kürzlich wurde eine chinesische Staatsbürgerin dabei erwischt, wie sie verbotenerweise beim Anflug auf einen norwegischen Flugplatz dort stationierte F-35 filmte.

Testflüge des Eurofighters auf dem Militärflugplatz Unterbach Meiringen
Bild: Eurofighter bei der Landung mit Hotel
© Markus Hubacher

Was gilt es zu tun?

Wir in der Schweiz müssen nicht Alarmismus betreiben, aber genau hinschauen. Die Zeit der Schweizer Naivität ist vorbei. An den Unis gibt es Fortschritte. Es wird genauer geschaut, wer zum Forschen kommt und welche Kooperationen bestehen. Die ETH hat eine Exportkontrollstelle.

China bespitzelt die Schweiz wohl nicht, weil es angreifen will oder weil es sich von unserem Land bedroht fühlt.

(lacht) Nicht ernsthaft. Es geht um Technologietransfer. Im Visier können neben Militäranlagen auch Einrichtungen stehen, die militärisch interessante, eigentlich zivile Technik produzieren, etwa die ETH in Zürich und jene in Lausanne oder das Paul-Scherrer-Institut. Aber Vorsicht: Nun alle chinesischen Studenten und Forscher oder Betreiber eines chinesischen Restaurants als Spione zu verdächtigen, ist nicht hilfreich und in der Sache schlicht falsch.

«Genf ist weniger für die militärische Spionage wichtig, sondern mehr wegen der UNO.»

Einer der Männer, die das Hotel Rössli direkt beim Militärflugplatz Meiringen kauften, hat an einer Hotelfachschule am Genfersee studiert. Wie nutzen chinesische Nachrichtendienste das Schweizer Bildungssystem?

Die Volksbefreiungsarmee ist an der Kommunistischen Partei angedockt. Das ist ein Gesamtsystem, das auch im Ausland operiert. Teilweise geht es um Beeinflussung, teilweise um Propaganda, teilweise um Wissenstransfer. Die Übergänge sind oft fliessend. Auch hier gilt allgemein: Nicht jeder Kontakt zwischen der Eidgenossenschaft und der Volksrepublik soll zu einem Agentenfall emporstilisiert werden.

Werden ethnische Chinesen, die bereits hier studieren oder forschen, gezielt angeworben, oder werden eher Agenten aus China an die Unis eingeschleust?

Beides. Das chinesische Nachrichtendienstgesetz lässt Staatsangehörigen eigentlich keine Wahl: Man darf sich den Diensten nicht verwehren. Sie können aber so oder so enorm starken Druck aufbauen. Versucht der Schweizer Dienst, mich anzuwerben, kann ich sagen: Lasst mich in Ruhe.

Das geht in China natürlich nicht. Also spielt Druck eine grosse Rolle?

Nicht nur. Es gibt die ganze Palette von Anwerbungsmethoden im In- und Ausland, von legal bis illegal. Vor einigen Jahren organisierte die chinesische Einheitsfront – über die chinesische Studierendenvereinigung an der ETH – einen Talentrekrutierungsanlass in einem Zürcher Restaurant. Dabei warb eine sehr militärnahe Universität. Es ging darum, Leute zurückzubringen nach China, besonders auch Leute mit Militärerfahrung. Interessante Personen, ganz unabhängig von Ethnie und Staatsbürgerschaft, lockt man mit einem lukrativen Vertrag oder Aussicht auf ein eigenes Labor. Es gibt viele legale, unproblematische Fälle. Fliegt ein illegaler, problematischer Fall auf, kann man auf die harmlose Praxis verweisen. In der Schweiz ist dieser Graubereich noch wenig aufgearbeitet.

Genf scheint nicht nur, aber auch für China als Spionagezentrum wichtig zu sein.

Das hat Tradition. Die Historikerin Ariane Knüsel hat aufgezeigt, wie die Schweiz für China das Hauptquartier für ganz Westeuropa war, auch mit Blick auf Spionagetätigkeiten. Die Schweiz hatte die Volksrepublik ja als eines der ersten westeuropäischen Länder anerkannt. Genf ist weniger für die militärische Spionage wichtig, sondern mehr wegen der UNO. Dort finden sich Dissidenten ein, Taiwan ist präsent, etc. – das ist die Kehrseite des internationalen Genf.

Im aktuellen Rössli-Fall haben die involvierten Chinesen die Schweiz nach einer Polizeiaktion im Spätsommer verlassen. Der Bund hat die Sache nicht öffentlich gemacht. Ist das angemessen und clever?

Wir wissen noch relativ wenig. Im nachrichtendienstlichen Bereich ist ein solches Vorgehen auch in anderen Staaten nicht ungewöhnlich. Bei Russland ist die Schweiz ja ebenfalls zurückhaltend. Der Bundesrat hat sicher derzeit wenig Interesse, China zu verärgern. Im Juli wurde der Menschenrechtsdialog wieder auf die Reihe gebracht. Das wollte die Schweizer Regierung seit längerem. Wirtschaftliche Interessen stehen im Vordergrund.