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Iran-Experte im Interview
«Die Islamische Republik ist auch eine Gefahr für die Schweiz»

Protestierende blockieren eine Strasse und machen Feuer während einer Protestaktion in der Innenstadt von Teheran, Iran, am 21. September 2022. Hintergrund ist der Tod einer Frau in Polizeigewahrsam.
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Der Politikwissenschafter Ali Fathollah-Nejad analysiert in seinem neuen Buch «Iran. Wie der Westen seine Werte und Interessen verrät» die tiefgreifenden Umbrüche in der Islamischen Republik und fordert eine Neuausrichtung der westlichen Iran-Politik. Die Protestbewegung «Frau, Leben, Freiheit» habe das Regime schwer erschüttert, doch der Westen konzentriere sich weiterhin primär auf das Atomprogramm, sagt Fathollah-Nejad. Er warnt vor der Illusion eines stabilen Regimes und sieht den Zerfall der Islamischen Republik als unausweichlich.

Herr Fathollah-Nejad, viele Iranerinnen und Iraner haben bei den US-Wahlen auf Donald Trump gehofft. Warum?

Das mag aus europäischer Perspektive seltsam klingen, aber viele Iranerinnen und Iraner nehmen die Politik des «maximalen Drucks» von Trump gegenüber der Islamischen Republik als effektiver wahr als die diplomatische Zurückhaltung Joe Bidens oder auch Europas. Es ist eine Haltung, die aus einer gewissen Verzweiflung entsteht. Weil innenpolitische Veränderungen im Iran schwierig durchzusetzen sind, schaut man mit positiven Gefühlen auf ausländische Akteure, die Druck ausüben gegen das Regime.

Welche Anzeichen gibt es, dass Trump diesen Erwartungen gerecht werden könnte?

Trump sendet widersprüchliche Signale. Einerseits setzt der neue US-Präsident auf Sanktionen, um die iranischen Ölexporte zu drosseln, andererseits hat er angedeutet, dass er einen Deal mit dem Iran anstreben könnte. Gleichzeitig fordert Trump, so Teherans Befürchtung, die militärische Macht der Islamischen Republik genauso zurückzufahren wie das Atomprogramm. In den Augen der Machthaber im Iran käme dies einer Kapitulation gleich.

Sieht das Ende der Islamischen Republik nahen: Iran-Kenner Ali Fathollah-Nejad.

Wie realistisch ist ein Deal zwischen Trump und den Mullahs?

Der iranische Parlamentspräsident spricht über eine Botschaft Trumps an das iranische Regime, in dem angeblich eine «Entwaffnung» gefordert wird. Falls dies stimmen sollte, setzt Trump wohl darauf, die Schwäche Teherans auszunutzen. Die Implikationen eines solchen Deals mit Trump führen auch innerhalb des Regimes zu Streitigkeiten hinsichtlich der Frage, ob man mit den USA verhandeln soll oder nicht.

Die Proteste im Iran haben weltweit Aufsehen erregt. Gibt es Anzeichen für neue Unruhen?

Die Protestbewegung «Frau, Leben, Freiheit» vom Herbst 2022 hat tiefe Spuren hinterlassen. Sie war der erste Höhepunkt des langfristigen revolutionären Prozesses im Iran, der schon seit einigen Jahren läuft. Besonders die Kleidervorschriften bleiben ein hochexplosives Thema. Frauen wehren sich zunehmend offen gegen die Zwangsverschleierung. Gleichzeitig könnten wirtschaftliche Schocks – etwa durch steigende Energiepreise – neue Unruhen auslösen. Es ist klar, dass es unter der Oberfläche stark brodelt und wir es in der Islamischen Republik mit einer Scheinstabilität zu tun haben.

Fünf Frauen in blauen Gewändern stehen in einem Raum und zeigen auf ein an der Wand hängendes Bild, das hoch oben angebracht ist.

Sie plädieren in Ihrem Buch für eine neue Iran-Politik im Westen, was müsste sich konkret ändern?

Mir geht es darum, den immensen sicherheitspolitischen Herausforderungen durch die Politik Teherans Herr zu werden und den revolutionären Prozess positiv zu begleiten – und nicht weiterhin auf die angebliche Stabilität oder Mässigung des dortigen Regimes zu setzen. Dies würde unseren Werten und Interessen gleichermassen gerecht werden. Besonders die Europäer verfolgen weiterhin eine Politik, die sich stark auf die Atomfrage konzentriert, anstatt eine Strategie zu entwickeln, die auch Menschenrechte und Regionalpolitik miteinbezieht.

«Der verengte Blick auf das Atomprogramm hat Vorteile für die iranische Seite.»

Der Fokus auf das Atomprogramm dient letztlich dem Mullah-Regime?

Dieser verengte Blick auf das Atomprogramm hat immense Vorteile für die iranische Seite. Bisher konnten die Teheraner Machthaber immer wieder mit dem Ausbau des Atomprogramms einen Alarmismus in den hiesigen Hauptstädten generieren. So eilten die Europäer zum Verhandlungstisch, um dort so viele Konzessionen wie möglich der Islamischen Republik darzubieten.

Was empfehlen Sie den europäischen Entscheidungsträgern?

Der Westen muss seine Iran-Politik breiter aufstellen. Die «Geiseldiplomatie» des Iran, die aggressive Regionalpolitik, das Raketenprogramm und die Menschenrechtslage dürfen nicht ausgeblendet werden. Denn all dies hat Auswirkungen auf Stabilität und Frieden in der Region bis nach Europa.

Ist das den Entscheidungsträgern in Europa zu wenig bewusst?

Europa sucht immer wieder den Dialog und macht Konzessionen. Dabei wird verkannt, wie immens und irreversibel die Kluft zwischen Staat und Gesellschaft im Iran geworden ist. Die historische Schwäche des Iran in der Region sollte die westliche Diplomatie bei ihren Verhandlungen verstehen und berücksichtigen. So kann sie der iranischen Seite mehr Konzessionen abringen.

Inwiefern ist das iranische Regime nicht mehr stabil?

Die Islamische Republik stirbt von innen, sie hat ihre Unterstützerbasis in weiten Teilen verloren. Ihre ideologischen Pfeiler werden von der Bevölkerung grossmehrheitlich abgelehnt. Wir befinden uns in einer Zwischenphase, in der das Alte stirbt, aber das Neue noch nicht entstanden ist. Es ist eine Frage der Zeit, bis das Regime zerfällt.

Erstmals seit langem fällt die innenpolitische Krise mit einer aussenpolitischen Schwächung zusammen.

Nicht nur Trump macht Druck. Das befreundete Assad-Regime in Syrien ist in wenigen Tagen gefallen, was zeigt, dass es sich auch dort um eine Scheinstabilität handelte. Auch die verbündeten Milizen, die Hizbollah im Libanon und die Hamas in Gaza, sind geschwächt. Die sogenannte «Achse des Widerstands», die vom Iran geführt wurde, ist kollabiert.

Was kommt nach dem Fall der Islamischen Republik? Verschiedene Gruppierungen stehen schon bereit, um ins Feld zu drängen, wie zum Beispiel die Monarchisten.

Die iranische Gesellschaft ist pluralistisch, es gibt linke und rechte Kräfte. Die einzige politische Kraft, die an Ansehen verloren hat, ist der Islamismus. Darüber hinaus gibt es aus verschiedenen Gründen eine Nostalgie gegenüber dem vorrevolutionären Iran, weil die Menschen natürlich sehen, dass es mit der Islamischen Republik zu einer immensen Degradierung gekommen ist. Natürlich gibt es zuweilen eine Glorifizierung der vorrevolutionären Verhältnisse, aber die monarchistischen Strömungen gehören auch zum politischen Spektrum eines zukünftigen Iran.

«Die Islamische Republik ist eine sicherheitspolitische Gefahr für ganz Europa, auch für die Schweiz.»

Auf der Münchner Sicherheitskonferenz sorgte die Ausladung von Reza Pahlewi, dem Sohn des geschassten Schahs im Iran, für Aufsehen. Können Sie die Aufregung einordnen?

Es scheint so, dass er zweimal ein- und dann ausgeladen wurde – auf Bestreben des Auswärtigen Amts und womöglich durch Druck aus Teheran. Die iranischen Staatsmedien haben Pahlewis Ausladung gefeiert, denn die Islamische Republik fürchtet ihn durchaus. Nicht nur geniesst er Sympathien innerhalb der iranischen Gesellschaft, sondern auch in manch regimenahen Milieus, die vom gegenwärtigen Regime stark desillusioniert sind.

Wie sähe ein neuer Iran nach der Islamischen Republik aus?

Entscheidend wird sein, dass es freie und faire Wahlen gibt. Es bedarf einer neuen Verfassung. Dafür muss nach einem Kollaps der Islamischen Republik der Weg bereitet werden, am besten in einer Übergangsphase unter internationaler Aufsicht. Wichtig wäre es auch, dass eine neue, demokratische Bewegung rechtzeitig Strukturen aufbauen kann, um ein politisches Chaos oder aber eine Konterrevolution zu verhindern.

Welchen Beitrag könnte die Schweiz leisten?

Die Schweiz hat historisch gesehen eine besondere Rolle wegen ihrer Briefträgerfunktion zwischen dem Iran und den USA. Sie sollte – wie auch das restliche Europa – nicht nach einem «Business as usual» mit der Islamischen Republik streben. Denn die Islamische Republik ist auch eine sicherheitspolitische Gefahr für ganz Europa, das gilt auch für die Schweiz. So sollte man sich vor bequemen Einschätzungen von vermeintlichen «Iran-Verstehern» hüten, die genauso wie die «Russland-Versteher» oft von irregeleiteten Prämissen ausgehen, die uns sicherheitspolitisch teuer zu stehen kommen könnten.