Samstagsgespräch mit Ex-Nasa-Chef«Das hätte katastrophale Auswirkungen auf unser aller Leben»
Hackerangriffe, Abschüsse, Manipulation: Satelliten sind schlecht geschützt, warnt Thomas Zurbuchen. Der oberste Weltraumforscher der ETH erklärt, was dagegen zu tun ist.

Herr Zurbuchen, stellen wir uns vor, unsere Navigations- und Kommunikationssatelliten fielen plötzlich aus: Wie würde unsere Welt aussehen?
Der Tag, an dem das passiert, wäre der Beginn einer Krise, die katastrophale Auswirkungen auf unser aller Leben hätte – vielleicht mit Ausnahme derer, die irgendwo in der Natur am Campieren sind.
Können Sie das näher ausführen?
Elektronische Verkäufe beispielsweise würden nicht mehr funktionieren. Wir könnten nicht einmal mehr tanken, weil jede Tankstelle für die Verifizierung des Tankvorgangs ein GPS-Signal braucht. Navigationstechnologien in Schiffen, Flugzeugen oder Autos würden ausfallen. Noch gibt es oft einen Back-up-Plan. Piloten etwa können eingreifen und ein Flugzeug auch ohne GPS landen. Aber Tatsache ist: Die Navigation, auf die wir in zunehmendem Masse so angewiesen sind, wäre auf einen Schlag ungemein schwieriger.
Von welcher Seite droht Satelliten Gefahr?
Erstens von einzelnen Ländern. Als China 2007 als erstes Land überhaupt bei einem Test einen Satelliten auf hoher Flugbahn abschoss, markierte das eine Zeitenwende, den Beginn der Militarisierung des Weltraums. Und uns wurde klar, dass die Satellitensysteme, die wir verwenden, um die Welt sicherer und besser zu machen, selbst nicht sicher sind.
Und zweitens?
Angriffe drohen Satelliten auch aus dem anderen Raum – dem Cyberspace.
Die Gefahr durch Hackerangriffe auf unsere Systeme hat also nicht nur auf der Erde, sondern auch im Weltraum zugenommen?
Absolut. Das hat unter anderem mit den sogenannten Supply Chain Risks zu tun. Denn eine Art, einen Satelliten anzugreifen, ist, ihn von innen zu manipulieren und dadurch beispielsweise abhörbar oder beeinflussbar zu machen. Mit den richtigen Chips ist das möglich. Deshalb müssen wir uns verstärkt fragen: Welche Chips stecken in unseren wichtigen Technologien wie etwa 5G – und wer hat sie hergestellt? Darüber macht sich noch nicht jedes Land gleich viele Gedanken.
Im vergangenen Jahr gelang es deutschen Informatikern, sich in drei europäische Satelliten zu hacken. Sie warnen, die Bordsoftware der meisten Satelliten im Erdorbit sei veraltet und kaum gegen Hackerangriffe geschützt.
Es stimmt: Im Vergleich zu modernen Computern am Boden sind die Systeme in Satelliten veraltet und viel anfälliger gegenüber Cyber-Risiken. Aber nicht, weil jemand etwas falsch gemacht hat. Über Jahrzehnte galt in der Weltraumfahrt das Credo, lieber auf alte, aber bewährte und bewiesene Systeme zu setzen. Hinzu kommt, dass die meisten unserer Satelliten aus einer Zeit stammen, in der die Bedrohungslage eine völlig andere war als heute.
Dennoch: Wieso setzen wir auf veraltete Systeme – ausgerechnet bei für uns so zentralen Technologien?
Das ist schlicht eine Folge der Entwicklungszeit. Ein Computer wird alle zwei Jahre ausgewechselt. Um aber einen europäischen Satelliten zu entwickeln und in den Weltraum zu schiessen, benötigt man fünf bis sieben Jahre. Das heisst, die darin verbaute Technologie hinkt derjenigen auf der Erde stets um etwa zehn Jahre hinterher.
Was ist zu tun, um unsere Satelliten besser zu schützen?
Erstens braucht es zwischen den an Weltraumtechnologie beteiligten Ländern eine Grundsatzdebatte darüber, wie wir künftig mit dem Weltraum umgehen. So wie wir sie von den Weltmeeren her kennen, braucht es auch Regeln für das Verhalten im Weltraum. Zweitens müssen wir unsere Satelliten der veränderten Sicherheitslage anpassen. Einerseits müssen wir potenzielle Einfallstüren schliessen, indem wir veraltete Software auf den heutigen Stand der Technik bringen. Zum anderen müssen wir die Satellitensysteme so umbauen, dass sie grundsätzlich sicherer werden.
Wie geht das?
Etwa, indem man die Kommunikation zwischen Erde und Satellit in beide Richtungen verschlüsselt. Das ist heute Standard, war früher aber nicht der Fall. Oder durch die Menge. Heute gibt es viel mehr Satelliten, das erhöht die Sicherheit. Um wie China 2007 einen geostationären Satelliten abzuschiessen, braucht es nur einen einzigen Schuss. Um aber eine grosse Satellitenkonstellation wie beispielsweise Starlink ausser Gefecht zu setzen, braucht es 4000 Schüsse – und jeder einzelne muss treffen. Deshalb geht heute der Trend dahin, dass Unternehmen und Regierungen wichtige Systeme in mehrere Satelliten aufspalten. Das macht sie weniger angreifbar. Und nicht zuletzt müssen wir Entwicklerinnen und Entwickler sowie Mitarbeitende für Cyber-Risiken sensibilisieren und entsprechend ausbilden. Das ist mit der schwierigste Punkt.
Wieso?
Weil wir es uns trotz der Sicherheitsbedenken nicht leisten können, unseren kreativen Innovatoren Fesseln anzulegen. Sich hinter einer Mauer zu verschanzen, ist selten die richtige Lösung. Ein Beispiel: Bei der Nasa rieten mir einst unsere Expertinnen und Experten für Cybersicherheit, komplett auf Kleinsatelliten zu verzichten. Sie plädierten für die «Mauer-Lösung». Dagegen habe ich mich vehement gewehrt. Heute sind solche innovativen Satelliten State of the Art und werden sogar vom Militär eingesetzt. Ohne Risiko gibt es keinen Fortschritt. Die Schwierigkeit von Cybersicherheit besteht darin, in einer schnelllebigen, bewegten Welt Risiken zu minimieren, ohne den Fortschritt zu verhindern.

Als Nasa-Direktor waren Sie für 100 Missionen verantwortlich, haben mit dem James-Webb-Teleskop und den Mars-Missionen die Grenzen menschlichen Wissens verschoben. Was ist schwieriger – etwas zum ersten Mal zu erreichen oder bereits Erreichtes sicher zu machen?
(überlegt) Früher hätte ich gesagt, etwas Neues zu erreichen ist schwieriger. Aber heute bin ich mir da nicht mehr so sicher. Etwas, das man einmal geschafft hat, so sicher und nachhaltig zu bauen, dass es zu einer besseren Zukunft beiträgt, ist unglaublich schwierig. Innovation und Nachhaltigkeit sind beide unglaublich wichtig. Mit dem Space-Master, dem neuen Studiengang an der ETH Zürich, wollen wir deshalb auch beides: Wir wollen einerseits dabei helfen, Leben auf anderen Planeten zu finden. Aber wir wollen auch Leute ausbilden, die Kommunikationstechnologien entwickeln, die unsere eigene Welt besser, nachhaltiger und sicherer machen.
Für solche Innovationen braucht es neben Ideen vor allem eines: Geld. Können Sie in der kleinen Schweiz genügend Mittel aufzutreiben?
Eine solide Finanzierung ist tatsächlich enorm wichtig – nicht nur für den neuen Space-Master, sondern generell für Lehre und Forschung. Aber vor der Finanzierung kommen die innovativen Arbeiten der Forschenden und der Start-ups. Obwohl Geld wirklich ein limitierender Faktor sein kann, konzentriere ich mich viel mehr auf die Dinge, die wir heute ändern können und die nicht direkt von Geld abhängen.
Vor Ihrem Start an der ETH im letzten August lebten Sie 24 Jahre in den USA. Sind Sie mittlerweile in der Schweiz angekommen?
Meine Frau, unser Hund Luna und ich haben uns gut eingelebt. Beide Kinder studieren in den USA, haben uns aber schon zweimal besucht. Meine Frau und ich fühlen uns aber immer noch als Immigranten, was ja nicht überraschend ist. Zwar kann ich die Sprache noch, abgesehen von meinem Akzent. Aber das Land ist ein anderes. Das ist nicht immer einfach.

Wo erleben Sie die grössten Unterschiede in Ihrem Alltag?
Die Art und Weise, wie man hier zu Entscheiden gelangt, ist ganz anders als in Amerika. Man diskutiert länger und mit mehr Leuten. Der ÖV und viele andere Dinge funktionieren dafür hier viel besser. Und obwohl Zürich eine Grossstadt ist, ist die Kriminalität weit unter den üblichen Werten in den USA. Ausserdem lerne ich jeden Tag Neues dazu – und das war ja einer der Hauptgründe, warum ich in die Schweiz zurückgekehrt bin. Ich hatte das Gefühl, die ETH Zürich ist der richtige Ort, um die Weltraumforschung in der Schweiz und in Europa auf ein neues Level zu heben. Und ich wollte Neues lernen und mich weiterentwickeln.
Nächstes Jahr könnten wieder Nasa-Astronautinnen oder -Astronauten zum Mond fliegen – über 50 Jahre nach Apollo. Schmerzt es Sie ein wenig, dass Sie in so einem historischen Moment nur von aussen zusehen können?
Ich hoffe sehr, dass das passieren wird, und ich freue mich darauf, diesen Moment gemeinsam mit meinen ehemaligen Kolleginnen und Kollegen bei der Nasa und auch ihren Partnern bei der ESA zu feiern. Es wäre ein wichtiger Meilenstein für die Weltraumforschung und die Menschheit – ein Meilenstein, der lange auf sich warten liess. Hoffentlich lernen wir in der nächsten Zeit auch, als Welt miteinander an solch grossen Zielen zu arbeiten, insbesondere wenn es um Menschen auf dem Mars geht.
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