Ewige Sommerzeit hat arg Verspätung
Jean-Claude Juncker wollte die Zeitumstellung abschaffen. Doch sein Vorschlag erweist sich als Rohrkrepierer.
Es gibt Dinge, die klingen einfach. Die Zeitumstellung abschaffen zum Beispiel. «Die Europäer wollen das, wir machen das», sagte Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker vor Jahresfrist und versprach die «ewige Sommerzeit». Das sollte wohl Assoziationen von permanentem Sonnenschein, Ferien und Strand wecken.
Doch ein Jahr später macht sich Ernüchterung breit. Die Europäer werden wohl auch weiterhin wie morgen Sonntag Ende Oktober die Uhr eine Stunde zurück und dann jeweils Ende März wieder eine Stunde vorstellen müssen. Junckers gut gemeinte Initiative steckt in der EU-Entscheidungsmaschinerie fest.
Der Luxemburger wollte mit dem Vorstoss die Bilanz am Ende seiner Amtszeit aufhübschen. Eigentlich sollte die letzte Zeitumstellung im vergangenen März erfolgen, kurz vor den Europawahlen im Mai. Als Beweis, dass die EU die Anliegen der Bürgerinnen und Bürger ernst nimmt. Das EU-Parlament machte noch euphorisch mit und stimmte mit grosser Mehrheit für Junckers Projekt.
Ball bei den Mitgliedsstaaten
Dann allerdings begannen die Schwierigkeiten. Der Abschaffung müssen auch die Mitgliedsstaaten zustimmen, doch die verlangten mehr Zeit für Beratungen. Auch, weil Fluggesellschaften und Eisenbahnen ihre Pläne anpassen müssten. Als neues Zieldatum für die Abschaffung wurde noch im Frühling dieses Jahres 2021 festgelegt. Seither ist Funkstille. Die Kommission habe ihren Vorschlag gemacht, der Ball sei jetzt bei den Mitgliedsstaaten, sagt ein Sprecher.
«Es ist wirklich sehr ärgerlich, dass sich die Sache so lange hinzieht», macht der deutsche Christdemokrat und EU-Abgeordnete Peter Liese aus seiner Frustration kein Geheimnis: «Wenn die Mitgliedsstaaten eine so relativ kleine Sache nicht hinkriegen, wie wollen wir dann die grossen Fragen wie Migration und Klimawandel richtig lösen?»
Aber vielleicht ist es ja schwieriger, die Zeitumstellung abzuschaffen, als es im ersten Moment klingt. So haben einige überrascht festgestellt, dass die Normalzeit in Europa nicht die Sommer-, sondern die Winterzeit ist. Junckers ewige Sommerzeit würde dazu führen, dass sich halb Europa im Winterhalbjahr an morgendliche Verhältnisse gewöhnen müsste, wie sie heute in Skandinavien herrschen. Und das ganze Jahr Winterzeit wäre unter anderem für die Südeuropäer und die Tourismusindustrie dort ein Problem.
Eng begrenzte Mehrheit
Die Brüsseler Kommission habe einen unausgegorenen Vorschlag präsentiert, kritisiert ein EU-Diplomat. So sei unklar, wie sich die Abschaffung der Zeitumstellung auswirke. Einige stellten jetzt überrascht fest, wie gross Europa mit seinen schon heute drei Zeitzonen sei. Es könnte noch komplizierter werden, wenn Nachbarländer sich unterschiedlich für dauerhafte Sommer- oder Winterzeit entscheiden: «Die Mitgliedsstaaten befürchten, dass ein Flickenteppich entstehen könnte», so die Sprecherin der derzeitigen finnischen Ratspräsidentschaft.
Eigentlich sollten die Mitgliedsstaaten den Finnen ihre Präferenzen melden und sich koordinieren. Vielen nationalen Regierungen sei das Thema egal, oder es sei zu Hause umstritten, so ein EU-Diplomat. Dabei hatte Jean-Claude Juncker seinen Vorschlag mit einer Onlinekonsultation begründet, in der eine überwältigende Mehrheit für ein Ende der Zeitumstellung gestimmt hatte. Allerdings beteiligten sich fast nur Deutsche und Österreicher, während das Thema den Rest der Europäer kaltliess. Die Zeitumstellung, so ein EU-Diplomat, beschäftige wohl nur die Menschen im deutschsprachigen Raum. Nun wackelt selbst der Termin von 2021, und Junckers Abschiedsgeschenk erweist sich als Rohrkrepierer.
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