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EU-Sanktionskoordinator in der Schweiz
«Die Qualität der russischen Waffen nimmt ab»

WASHINGTON, DC - MAY 30: EU Ambassador to the United States David O'Sullivan speaks during a forum to discuss the U.S. decision to withdraw from the Iran nuclear deal and its affects to relationship between the United States and the European Union, at the Woodrow Wilson Center, on May 30, 2018 in Washington, DC. (Photo by Mark Wilson/Getty Images)
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Sie sind heute und morgen erstmals in Ihrer neuen Rolle als Sanktionskoordinator der EU in die Schweiz. Was erwarten Sie vom Bundesrat?

Wir sind sehr dankbar, dass sich die Schweiz 2022 so schnell den EU-Sanktionen angeschlossen hat. Ich weiss, dass dies keine leichte Entscheidung war, wenn man die Geschichte der Schweiz kennt mit der traditionellen Politik der Neutralität. Die Schweiz nahm an all unseren Treffen der internationalen Koordinatoren teil, die vor einigen Wochen hier in Brüssel stattfanden. Sie ist also eine Partnerin in diesem Prozess.

Die sieben grössten Industriestaaten haben deutliche Kritik daran geübt, wie die Schweiz die Sanktionen in der Praxis umsetzt …

Natürlich diskutieren wir intensiv mit all unseren Partnern, wie man es besser machen kann. Das Schreiben der G-7-Staaten und die Kritik, dass bisher nur wenig Vermögenswerte in der Schweiz eingefroren wurden, werden bei meinem Besuch ein Thema sein. Wir führen die Diskussion mit der Schweiz über mangelnde Transparenz im Finanzsystem nicht zum ersten Mal.

Bern hat 7,5 Milliarden Dollar an russischen Vermögenswerten blockiert, wobei russische Staatsbürger auf Schweizer Konten rund 150 Milliarden Franken geparkt haben sollen …

Ich glaube, es gibt ein gewisses Problem mit dem Grad an Transparenz darüber, wie viele Vermögenswerte von wem gehalten werden. Das werden wir sicherlich diskutieren. Ich bin gespannt, wie die Schweizer auf den Brief der G-7-Staaten reagieren. Der Versuch, herauszufinden, wer diese Vermögenswerte hält und wo sie sich befinden, war für uns alle ein Kampf. Da gab es auch Gesprächsbedarf mit unseren Mitgliedstaaten.

Aber wo könnte die Schweiz denn mehr tun?

Ich denke, der Brief der G-7-Staaten hat mehrere der Themen aufgezeigt. Einiges davon ist auf die Entwicklung des Banken- und Finanzsystems der Schweiz zurückzuführen. Es hat sich von einem System, das auf Geheimhaltung setzt, zu einem transparenteren System entwickelt. Und zwar im Zusammenhang mit der Bekämpfung der Geldwäsche, aber auch in Bezug auf Finanzsanktionen. Aber ich gehe nicht mit einer Einkaufsliste von Forderungen zur Schweiz. Diese Sanktionen sollen eine möglichst deutliche Botschaft an Russland senden, dass seine unprovozierte Aggression in der Ukraine inakzeptabel ist.

Villa Via Puzzainas 5, Suvretta, St. Moritz
copyright: fotoswiss.com/giancarlo cattaneo

Die Schweiz war ja lange wichtiger Handelsplatz von russischen Rohstoffen …

Wie diverse europäische Länder hat auch die Schweiz viel Handel mit Russland betrieben. Ich bin interessiert zu hören, welche Erfahrungen die Schweiz mit der Umsetzung der Sanktionen gemacht hat und wie sie dabei vorgegangen ist. Wir haben auch Technologieprodukte aus Schweizer Herstellung auf dem Schlachtfeld in der Ukraine gefunden …

Was meinen Sie konkret?

Es soll um Mikrochips und Ähnliches gehen. Aber das ist kein Vorwurf an die Schweiz. Diese Produkte wurden hergestellt, fanden den Weg nach Russland und wurden dann von der Ukraine in Raketen entdeckt. Mich würde interessieren, wie die Schweiz die Herkunft dieser Produkte zurückverfolgt. Wann wurden sie hergestellt, wann wurden sie verschifft? Wir alle arbeiten jeden Tag daran, den Zugang Russlands zu dieser Technologie weiter einzuschränken.

Kritik gibt es auch, dass die Schweiz nicht an der Taskforce der G-7-Staaten teilnehmen will, die Schlupflöcher aufspüren soll.

Wie ich höre, ist dies in der Schweiz Gegenstand einer politischen Diskussion. Ausserdem stehen in der Schweiz Wahlen an, und niemand weiss besser als ich, wie komplex das politische System der Schweiz ist und welche Zwänge sich daraus manchmal für den Bundesrat ergeben.

«Die Qualität der russischen Waffen nimmt ab.»

Immerhin, die Schweiz ist nicht Ihr grösstes Problem. Neuste Zahlen deuten darauf hin, dass das Sanktionsregime der EU nicht funktioniert und Wladimir Putin alles bekommt, was er für seine Waffenproduktion braucht …

Nein, diese Ansicht teile ich nicht. Ich denke, die Sanktionen funktionieren. Die drei Hauptziele waren: erstens die Schwächung der technologischen Fähigkeiten des russischen Militärs. Zweitens der russischen Regierung die Einnahmen zu entziehen, um den Krieg fortzusetzen. Und drittens Russland Sanktionen für die unprovozierte Aggression für seine Wirtschaft aufzuerlegen. Ich denke, in allen drei Bereichen können wir deutliche Auswirkungen feststellen.

Die Ukraine meldete, dass selbst in neuen Waffen, Raketen und Drohnen aus Russland alle Arten von westlichen Produkten gefunden wurden …

Es stimmt zwar, dass immer noch einige halb militärische Komponenten ihren Weg nach Russland finden, aber die Qualität der russischen Waffen nimmt ab. Das sieht man auch an Russlands Raketen, die von den Ukrainern abgefangen wurden. Russland wendet sich jetzt für Komponenten an Nordkorea. Das zeigt, wie sehr Putin Probleme hat, weiterhin technologisch anspruchsvolle Waffen zu produzieren. Wir wissen mit Sicherheit – und die Ukrainer haben uns das bestätigt, als sie hier waren –, dass die Versorgung Russlands mit dieser Art von Produkten schrumpft, und sie kämpfen darum, die technologische Qualität ihrer Waffen aufrechtzuerhalten.

Die Zahlen sprechen aber eine andere Sprache. Russlands Importe aus Kasachstan, Georgien, Armenien oder der Türkei sind im ersten Halbjahr um 37% gestiegen, und gleichzeitig haben die Ausfuhren aus der EU nach Zentralasien und in die Türkei in ähnlichem Umfang zugenommen.

Inzwischen sehen wir eine deutliche Verlangsamung. Es zahlt sich aus, dass wir eine Vereinbarung mit Kasachstan, Usbekistan, Armenien und Serbien treffen konnten, um die Wiederausfuhr von Produkten zu verhindern, die für Rüstungsgüter verwendet werden können. Alle diese Länder und auch die Vereinigten Arabischen Emirate haben zugestimmt, die Wiederausfuhr von einer ganzen Liste von Produkten nach Russland zu verbieten. Ich denke also, dass es uns gelungen ist, dieses Schlupfloch zu schliessen. Wir hoffen, dass die Türkei in den nächsten Tagen folgen wird.

Die Zahlen zu den Umgehungsgeschäften sind also veraltet?

Ich denke, ein Teil des Materials stammt aus Lagerbeständen, die jetzt aufgebraucht werden, und wir schränken den Nachschub an neuen Beständen zunehmend ein. Man wird dieses Zeug also nie ganz eliminieren können, weil es eine Menge dieser Technologien gibt. Das sind ganz alltägliche Dinge: Chips, integrierte Schaltkreise, Flash-Speicherkarten, optische Lesegeräte. Vieles davon zirkuliert in der Weltwirtschaft und einiges davon findet seinen Weg nach Russland. Aber ich glaube, dass wir die Quelle dieser Technologie aus Europa oder den USA zunehmend beschneiden und es für Russland immer schwieriger machen, sie zu erwerben.

Sie haben eine Reise durch Drittländer unternommen, um zu prüfen, wie die Bereitschaft ist, sich den EU-Sanktionen gegen Russland anzuschliessen. Wie ist das Feedback?

Wir haben zwei Länder, von denen wir erwartet hätten, dass sie sich unseren Sanktionen anschliessen. Das sind Serbien und die Türkei. Wir sind natürlich enttäuscht, dass die beiden Beitrittskandidaten das nicht getan haben. Beide Länder haben ihre eigenen Gründe. Serbien hat seine schmerzvolle Geschichte in den 90er-Jahren. In der Türkei versucht Herr Erdogan eine Art Mittelweg zu finden und möchte nicht Partei ergreifen. Aber alle anerkennen, dass sie nicht zu einer Plattform für die Umgehung von Sanktionen werden wollen, insbesondere wenn es um militärische Güter geht.

Ihr Titel ist Sanktionskoordinator, das klingt nach wenig Macht …

Meine Aufgabe ist es, auf die Länder zuzugehen. Aber natürlich kann die EU in Zukunft ihre neuen Instrumente gegen Länder nutzen, die bei Umgehungsgeschäften mitmachen. Jeder weiss, dass es diese Drohkulisse gibt.