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Streit um Weizen aus Ukraine
Es droht eine erneute Getreideblockade

Warten auf die Inspektion durch die türkischen Behörden: Ukrainische Frachtschiffe ankern vor Istanbul, wo sie unter anderem auf Waffen untersucht werden.
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Das Frachtschiff Super Henry wurde wohl sehnsüchtig erwartet, als es am letzten Sonntag im Hafen von Mombasa in Kenia anlegte. 35 Tage brauchte das Schiff, um nach seiner Abfahrt aus dem ukrainischen Schwarzmeerhafen Odessa den Weg über eine rund um die Uhr überwachte Route durchs Schwarze Meer zu fahren, vor Istanbul kontrolliert zu werden und schliesslich seine kostbare Fracht abzuladen: 51’400 Tonnen ukrainischen Weizens.

Vor Kriegsbeginn exportierte die Ukraine 45 Millionen Tonnen Getreide oder Sonnenblumenöl, was sie – wie auch Russland – zu einem der wichtigsten Getreideexporteure der Welt machte. Mit Kriegsbeginn am 24. Februar war damit erst einmal Schluss. Statt wie bis anhin oft sechs Millionen Tonnen monatlich führte die Ukraine im März kümmerliche 330’000 Tonnen aus. Dutzende Millionen Tonnen warteten in Lagerhäusern auf die Ausfuhr, und das, noch bevor in der fruchtbaren Ukraine die neue Ernte eingebracht wurde. Getreidepreise explodierten, die UNO sagte Hungersnöte in armen Ländern Afrikas, des Nahen Osten oder Asiens voraus.

Getreidekorridor ist dringend nötig

Knapp drei Monate ist es her, dass die Vereinten Nationen (UNO) in Istanbul eine Übereinkunft vermittelten. Am 22. Juli einigten sich Russen, Ukrainer und Türken unter UNO-Vermittlung auf einen Getreidekorridor. Dabei wurde vereinbart, dass Frachtschiffe leer in ukrainische Häfen fahren dürfen und zuvor bei Istanbul kontrolliert werden, ob sie nicht etwa Waffen für die Ukrainer an Bord haben.

Nach ihrer Ladung von Weizen oder Mais, Sojabohnen oder Sonnenblumenöl in Odessa oder in den ukrainischen Nachbarhäfen Tschornomorsk und Juschni werden die beladenen Schiffe bei der Rückkehr bei Istanbul abermals kontrolliert. Russland, mit zahlreichen internationalen Sanktionen belegt, sollte im Gegenzug hoch profitable Dünge- und Pflanzenschutzmittel ausführen dürfen. Am 1. August liefen die ersten Getreideschiffe aus. Und nun konnte etwa Kenia, das jährlich gut zwei Millionen Tonnen Weizen einführen muss und fast ein Fünftel davon aus der Ukraine bekommt, die mit Weizen beladene Super Henry begrüssen.

Die ukrainischen Häfen offen für den Getreideexport zu halten, «ist das Wichtigste, um den Hungrigen der Welt zu helfen».

UNO-Welternährungsprogramm

Nicht nur Kenia, auch andere Länder profitieren von der Aufhebung der Blockade. Laut dem Infrastrukturministerium in Kiew sind seitdem 331 Schiffe mit 7,4 Millionen Tonnen ukrainischem Getreide ausgelaufen: nach China, Rumänien und in die Türkei, nach Ägypten, Indien und in den Iran, aber auch in viele europäische Länder wie Spanien oder Polen. Die UNO selbst charterte bisher fünf Schiffe und liess Getreide in von Hungersnot bedrohte Länder wie Äthiopien und Somalia, in den Jemen oder nach Afghanistan bringen.

UNO will Abkommen verlängern und ausweiten

Die ukrainischen Schwarzmeerhäfen offen für den Getreideexport zu halten, «ist das Wichtigste, was wir tun können, um den Hungrigen der Welt zu helfen», stellte der Direktor des UNO-Welternährungsprogramms (WFP) fest. Nach Angaben der Vereinten Nationen sind die Lebensmittelpreise im September erstmals seit Kriegsbeginn wieder gesunken, liegen aber immer noch um ein Drittel über dem Stand von 2020. Seit Kriegsbeginn sind die Lebensmittelpreise weltweit hochgeschnellt.

Für die Ukraine brachten die Getreideexporte in diesem Jahr immerhin fünf Milliarden Dollar ein. Das Land überlebt nur dank westlicher Kredite und Zuschüsse, das Getreide bleibt jedoch eine wichtige Einnahmequelle. Das wird auch so bleiben.

Die laufende Ernte verlief besser als noch im Sommer befürchtet, zudem lagern noch Millionen Tonnen Getreide in ukrainischen Silos. Im Rekordjahr 2021 ernteten die Bauern 32,2 Millionen Tonnen. Dieses Jahr konnten trotz des Krieges bisher 19,2 Tonnen auf von Kiew kontrollierten Feldern geerntet werden. Die weltweite Getreideversorgung könnte sich also entspannen, wenn der Getreidekorridor weiter funktioniert.

Die Russen klagen, dass ihr eigener Export von Getreide sowie von Dünge- und Pflanzenschutzmitteln behindert werde.

Das aber ist alles andere als sicher. Das am 22. Juli geschlossene Abkommen von Istanbul läuft Ende November aus. Rebeca Grynspan von der UNO-Handelsbehörde Unctad und Martin Griffiths, Chef der UNO-Hilfe, wollen nun in Moskau versuchen, den Getreidekorridor-Deal um ein Jahr zu verlängern und noch auszuweiten. Doch es ist ungewiss, ob Russlands Präsident Wladimir Putin einer Verlängerung zustimmt.

Putin hat wegen der Explosion auf der Krim-Brücke mit einem Aus für das Getreideabkommen mit der Ukraine gedroht. Der russische Geheimdienst FSB habe die Information, dass der Sprengsatz für die Brücke auf dem Seeweg aus Odessa gekommen sei, sagte Putin bei einem Gipfel in Astana. «Wenn sich herausstellt, dass dafür die humanitären Korridore für die Ausfuhr von Getreide genutzt wurden, dann schliessen wir sie.»

Im Weiteren klagen die Russen bei den Vereinten Nationen darüber, dass ihr eigener Export von Getreide sowie von Dünge- und Pflanzenschutzmitteln nach wie vor behindert werde. Die UNO will nun die Ukrainer dazu bringen, dass etwa die US-Firma Trammo die russischen Landwirtschaftschemieprodukte der Firma Ukralchem kaufen und über den ukrainischen Hafen Juschni ausführen kann.

Wichtige Einnahmequelle der Ukraine: Getreideernte in der Nähe von Kiew im vergangenen Juli. 

Möglich ist auch, dass Putin die wieder sprudelnden Milliardeneinnahmen der Ukraine ein Dorn im Auge sind und er selbst im Fall von Angeboten seitens der Ukraine für die erleichterte Ausfuhr der eigenen Agrarchemieprodukte die Zustimmung für eine Verlängerung des Getreidekorridors verweigert.

Ukrainische Fachleute äussern sich eher pessimistisch betreffend der Verlängerung des Abkommens mit Russland. Auch der ukrainische Agrarminister Mikola Solski zeigte sich bei einem Treffen mit EU-Ministerkollegen skeptisch und sagte, Europa müsse mit Schwierigkeiten auf der Seeroute rechnen.

Der Getreideexport per Lastwagen oder Bahn kann indes den Export per Schiff nicht ersetzen: wegen des Mangels an geeigneten Lastwagen und Eisenbahnwagen sowie wegen fehlender Kapazitäten an den Grenzübergängen zur EU. Der Agrarminister der Ukraine schätzt, dass auf der Schiene und Strasse höchstens zehn Millionen Tonnen jährlich ausgeführt werden könnten. Das wäre nur rund ein Viertel des letztjährigen Getreideexports des Landes.