Teurer SchulstartErstklässler wollen den «Rolls-Royce unter den Theks»
Eltern zahlen Hunderte Franken für mehrteilige Sets mit passenden Etuis und Turnbeutel. Oft wird das kostspielige Material aber schon nach drei Jahren wieder ausgemustert.
«Cool muss er sein», sagt Laurin. Schon zum zweiten Mal steht der 6-Jährige vor dem Gestell und schaut sich die Schultaschen an. Eigentlich weiss er schon lange, welche er will. Doch seine Mutter besteht darauf, noch andere Modelle anzuschauen.
So läuft es häufig hier in der Papeterie Schiff in St. Gallen, der ältesten Papeterie der Schweiz. «Kinder wissen meistens sehr genau, was sie wollen», sagt Inhaberin Regula Weigelt. Der Thekkauf sei heutzutage «eine Riesensache». Nicht selten komme die Mutter mit der Gotte oder den Grosseltern ins Geschäft.
War die Schultasche früher ein einfacher Behälter mit zwei Abteilen, ist sie heute eine Art Statussymbol mit diversen Extras wie magnetischem Verschluss und gepolstertem Rückenteil. Das Verkaufsargument Nummer eins allerdings, zumindest bei den Eltern: der Tragekomfort.
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Besonders beliebt ist deshalb der sogenannte Ergobag, bei dem die Technik laut Hersteller aus dem Bergsport kommt. Wie ein Wanderrucksack sitzt er gut auf der Hüfte. «Die Kinder fallen durch das Gewicht nicht mehr nach hinten, sondern laufen aufrechter», sagt Weigelt. Die Marke Ergobag sei «der Rolls-Royce unter den Theks».
300 Franken und mehr sind durchaus normal
Allerdings auch beim Preis: In der Papeterie Schiff ist der günstigste Ergobag, ein älteres Modell, für 199 Franken zu haben. Der teuerste aus der Kollektion «WaldBärwohner» kostet 349 Franken. Tatsächlich budgetieren viele Eltern für den Schuleintritt ihres Kindes einen beachtlichen Betrag. «Mit mindestens 300 Franken muss man rechnen», sagt Weigelt. Auch Karin Niklaus von der Papeterie Zumstein in Bern nennt Summen von 260 bis 330 Franken, die Eltern zum Schulstart ausgeben.
Laurins Mutter findet, für einen Erstklässler mit einem Schulweg von gerade mal fünf Minuten und vermutlich kaum schweren Büchern sei ein so grosser Thek nicht nötig. Trotzdem kauft sie ihrem Sohn am Ende einen Ergobag. Zum Set für 299 Franken gehören neben dem Thek ein Sportbeutel, zwei Etuis, eines davon mit Stiften, sowie sogenannte Kletties – kreisrunde Bilder, die auf der Schultasche befestigt werden können.
Magnete und Kletties als lukratives Zusatzgeschäft
Viele Kinder wollen, was die anderen haben. Nachdem der Ergobag jahrelang den Spitzenplatz belegte, holt dieses Jahr Konkurrent Step-by-Step auf. Dessen Modelle wurden in den Zumstein-Papeterien und bei Digitec Galaxus sogar etwas mehr gekauft. Doch auch Step-by-Step verlangt stolze Preise: Das sechsteilige Set «Ninja Yuma» kostet bei Manor 343 Franken.
Günstiger sind Schultaschen der Marke Herlitz. Das vierteilige Set «Loop Plus» mit Fussball-Motiven, das im Onlineshop von Digitec Galaxus diesen Sommer am häufigsten gekauft wurde, kostet 126 Franken. Ein anderes Herlitz-Set mit Schmetterlingen nur 73 Franken.
Doch viele Eltern geben gerne mehr aus, wenn sie den Kindern eine Freude machen können. Und dafür bieten die Hersteller unzählige Extras wie Magnete, Kletties, Zippies (bunte Überzüge), personalisierte Namensschilder und seit neustem: Hangies – also Anhänger. Weltall-Fans kommen genauso auf ihre Kosten wie jene von Einhörnern, Elfen und Flamingos. «Kinder finden es cool, wenn etwas an ihrem Thek hängt. Sonst macht doch Schulanfang keinen Spass», sagt Karin Niklaus von der Papeterie Zumstein.
Auch wer einen Regenschutz für den Thek möchte, eine passende Znünibox, eine Trinkflasche oder extrastarke Reflektoren für den Winter, kann alles separat kaufen. Für die Hersteller und Händler ein lohnendes Zusatzgeschäft. Früher, als Regula Weigelt von der Papeterie Schiff in die Schule kam, war die Wahl einfacher. «Es gab rote oder blaue Leder-Theks für die Mädchen, für die Buben solche mit Kuhfell», erinnert sich die 68-Jährige.
Nach drei Jahren solls dann plötzlich ein Rucksack sein
Zwar wächst der Ergobag dank seinem verstellbaren Rückenteil «über die ganze Grundschulzeit mit dem Kind mit», lautet zumindest das Werbeversprechen. Doch so lange, wie Laurins Mutter hofft, dürfte ihr Junge den Thek nicht tragen. Denn etwa im Alter von 10 Jahren finden viele Kinder, sie benötigten nun einen Rucksack. «Sie gehören zu den Grösseren und wollen keinen Thek mehr – sie finden ihn zu bubig», sagt Papeterie-Inhaberin Weigelt. Nach nur drei Jahren wird die teure Schultasche also oft wieder ausgemustert.
Und was geschieht mit den Tausenden Hightech-Geräten, wenn sie plötzlich nicht mehr gefallen? Einige davon landen im Wiederverkauf. Der Onlinemarktplatz Ricardo hat dieses Jahr bereits 2170 gebrauchte Schultaschen verkauft. Letztes Jahr waren es übers ganze Jahr gerechnet 3090. Dabei war der «Rolls-Royce» besonders begehrt, zusammen mit den Theks der Marke Satch, wie eine Sprecherin sagt.
Genau wie Ergobag gehört Satch der deutschen Firma Fond Of. Auch die Satch-Theks sind mit Preisen bis 189 Franken nicht gerade günstig. Und auch zu ihnen sind Etuis im gleichen Design sowie passende Sportbeutel erhältlich. Zu einem Aufpreis, selbstverständlich.
Dieser Artikel ist erstmals am 12.08.2023 erschienen. Anlässlich des Starts ins neue Schuljahr publizieren wir ihn erneut.
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