Erling Haaland zu Gast in BernEin Fussball-Koloss schaut schnell vorbei
Der grossartige Stürmer stellt sich in der Champions League bei den Young Boys vor – er besitzt Muskeln, Willen, Torinstinkt und einen speziellen Radar.
Doch, doch, es kommt vor. Auch Manchester City verliert, und zwar sogar öfters wie vor der Länderspielpause, als sich das gleich in drei von vier Spielen ereignete. Es kann sich zudem zutragen, dass Erling Haaland kein Tor gelingt.
Am vergangenen Samstag herrscht wieder Normalität. Rodri stabilisiert das Mittelfeld wieder, nachdem er bei den verlorenen Spielen aufgrund einer Rot-Sperre gefehlt hat. Haaland trifft wieder, nachdem er dreimal in Folge erfolglos gewesen ist. Und City gewinnt gegen Brighton 2:1.
Gut gelaunt kommt die englische Übermannschaft fürs Champions-League-Spiel am Mittwoch nach Bern. Was mit ihr im Wankdorf schnell vorbeischaut, ist ein Koloss des europäischen Fussballs. Umsatz Saison 2021/22: 653 Millionen Franken (ohne Transfers). Personalkosten: 383 Millionen. Marktwert der Spieler: 1,2 Milliarden. Bei den Young Boys lesen sich die Zahlen der Reihe nach so: 73,8 Millionen (inklusive Transfers), 31,6 Millionen, 55 Millionen. Bei City haben elf Spieler allein einen höheren Marktwert als bei YB die gesamte Mannschaft, angeführt werden sie von Haaland mit 170 Millionen.
Erling Braut Haaland, noch immer erst 23, 1,94 m gross, 88 Kilo schwer: Er ist für sich schon ein Koloss. Seine Zahlen sind ähnlich beeindruckend wie die seines Clubs und machen ihn zu einem Phänomen auf den Fussballplätzen dieser Welt. Dafür reicht nur schon ein Blick auf die letzte Saison, seine erste in England. In 53 Spielen brachte er es auf 52 Tore, 36 allein in der Premier League.
Guardiolas Schachzug
Als Pep Guardiola auf die Idee kam, Haaland im Sommer 2022 zu verpflichten, machte sich leise Verblüffung breit. Nicht dass einer glaubhaft an Haalands grundsätzlicher Befähigung zweifeln konnte, schliesslich brachte er die Referenz von 86 Toren in 89 Einsätzen für Borussia Dortmund mit. Aber wie sollte ausgerechnet dieser Hüne zu einem Trainer passen, der ein Flair für feingliedrige, wendige Techniker ebenso kultiviert hat wie das Spiel ohne klassischen Mittelstürmer?
Die Zweifel waren schnell zerstreut, spätestens nach den ersten elf Spielen, in denen Haaland auf 19 Treffer kam. Er war angekommen und bestätigte, was der Trainer mit ihm vorhatte. Er brachte die Physis ein, die City zuvor immer gefehlt hatte, um den letzten Schritt in den Olymp zu gehen. Worum es bei seiner Verpflichtung ging, wusste er selbst genau. «Ich bin aus einem bestimmten Grund hier», sagte er, «um die Champions League zu gewinnen.» Am 10. Juni im Final gegen Inter Mailand war diese Mission erfüllt.
Haaland ist in Leeds geboren, als Sohn des früheren Profifussballers Alf-Inge und der ehemaligen Siebenkämpferin Gry Marita Braut. Offensichtlich hat er von ihnen gute Gene mitbekommen, als Fünfjähriger springt er aus dem Stand 1,63 m weit. In Bryne, der Heimatstadt seiner Eltern, findet er seinen ersten Club.
«Ich bin damals explodiert.»
Er ist keine 17, als er für Molde in der höchsten norwegischen Liga debütiert. Eine Minute dauert es, bis er verwarnt wird, keine sechs bis zum ersten Tor. Er ist keine 18, als er gegen den damaligen Leader Brann Bergen bis zur 21. Minute gleich viermal trifft. Das Spiel wird zum Katalysator in seiner Karriere. Oder wie er es im Rückblick formuliert: «Ich bin damals explodiert.»
In diesen frühen Jahren weiss er einen Trainer an seiner Seite, der selbst ein ausgewiesener Torjäger war. Ole-Gunnar Solskjaer gibt ihm einen Rat mit auf den Weg: «Verwende nicht zu viel Kraft. Oder versuche nicht, den Goalie aus dem Tor zu schiessen.» Solskjaer ist aufgefallen, wie der junge Haaland verzweifelt, wenn er selbst im Training erfolglos bleibt. Also sagt er ihm auch: «Ruhig bleiben und stets auf den einen, wichtigen Moment vorbereitet sein.» Haaland ist ihm bis heute dankbar.
Wie ein Unwetter
Anfang 2019 wechselt er nach Salzburg, er wählt Red Bull, weil er hier die Förderung erhält, um den nächsten Schritt zu machen. Nach zwölf Monaten, 27 Spielen und 29 Toren ist er reif genug für eine Topliga. Die Prominenz bemüht sich um ihn, Manchester United, Juventus Turin. Er sucht sich Borussia Dortmund aus, ein Ausbildungsclub auf höchster Stufe mit einem Ausbildungstrainer erster Güte, Lucien Favre.
Haaland kommt wie ein Unwetter über die Bundesliga. Der Stürmer aus Willen und Muskeln, mit einem Körper, der, sagt der frühere Salzburger Vordenker Ralf Rangnick, «wie aus Marmor gemeisselt ist» – dieser Stürmer steht in den ersten drei Spielen für die Borussia 136 Minuten auf dem Platz und schiesst sieben Tore. Später gegen Hertha gelingen ihm gleich so viele Treffer, dass Favre mit Zählen nicht mehr nachkommt. Favre meint, es seien drei, Haaland muss ihn korrigieren: Es sind vier in einer halben Stunde.
Der Norweger steht für Wucht, Dynamik, Kraft und Schnelligkeit. Er steht auch für etwas, das bei all seinen athletischen Vorzügen fast etwas vergessen geht: für Technik. Beispiele hat er dafür schon genug abgeliefert, auch im fein abgestimmten Ensemble von Guardiola.
Da ist aber noch etwas, was ihn ausmacht. Das erkennt nur, wer sein Spiel studiert. Geir Jordet macht das, Jordet forscht an der Schule für Sportwissenschaften in Oslo und gilt über die Landesgrenzen hinaus als Fachmann für Fussballpsychologie. In einem Interview mit der «Schweiz am Wochenende», geführt vor einem Jahr, macht er auf ein Geheimnis des Spiels von Haaland aufmerksam. «Die ganze Magie passiert, bevor der Ball zu ihm kommt», sagt Jordet.
Haaland, so der Professor, ist ein Spieler, der nicht nur auf den Ball schaut, ein normalerweise ausgeprägter Instinkt eines Fussballers. Er studiert die Umgebung: Was passiert wo? Wo bin ich? Wo der Gegenspieler? Wo ist der freie Raum? Wo die Abseitslinie? «Scanning» nennt das der Fachmann: «Die Kunst ist es, im richtigen Moment die Augen vom Ball zu nehmen. Haaland kann das perfekt. Mit dem Ergebnis, dass er einen Informationsvorsprung hat, sich sehr gut positioniert, zur richtigen Zeit am richtigen Ort steht. Und dann gibt es ein Tor.»
600’000 Franken pro Woche
Wenn es um Haaland geht, sind die Ansprüche enorm. Das zeigt sich, wenn er einmal nicht trifft. Dann wird ihm in den englischen Zeitungen gleich vorgerechnet, wie er vor einem Jahr nach elf Spielen dastand und wie er es jetzt tut. Damals hatte er 70 Prozent seiner Chancen verwertet und zu 19 Toren genutzt. Jetzt steht er bei 70 Prozent nicht verwertete Chancen. Für einen Stürmer in seinem Universum mag sich das nach Krise anhören. Es reicht ihm noch immer, mit 9 Toren die Nummer 1 in der Premier League zu sein.
57 Millionen Franken Ablöse musste City für ihn nach Dortmund überweisen. Das ist bei heutigen Massstäben und seinem Alter alles andere als überteuert. Teurer ist Haaland schon im Unterhalt. 600’000 Franken kassiert er in der Woche, 31,2 Millionen im Jahr.
Die Mitspieler schätzen ihn, weil er kein Ronaldo-Double ist, sondern ein Teamplayer. Die Fans lieben ihn. Und die Kinder lassen sich die Haare zur Löwenmähne wachsen, wie er eine hat. Zumindest berichtet Kevin de Bruyne, der derzeit verletzte kongeniale Partner des Norwegers, von seinem Bub. Der sei «ein Riesenfan» von Haaland, sagt er. «Er trägt die Haare wie Haaland, in der Schule machen das alle auch.» Die Knirpse sind siebenjährig.
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