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Stärkstes Beben seit Kantons­gründung
«Lärm wie eine Explosion» – Erdbeben­serie verängstigt Menschen im Jura

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Das letzte Beben war am Sonntag, dem 24. September. Um 7.07 Uhr und 13 Sekunden beginnen in der Ajoie im äussersten Jura an der Grenze zu Frankreich die Häuser zu zittern. Die Gebäude rütteln und schütteln, Dachziegel und Fensterrahmen klappern, Gegenstände fallen aus Gestellen, Holzbeigen stürzen um.  Ein, zwei Sekunden lang dauert das Beben.

Leute, die schon wach sind, erleben den Moment, als hätte ein heftiger Windstoss ihr Haus bewegt. Draussen aber ist von einem Unwetter nichts zu sehen. Erst später realisieren sie: Im Jura hat gerade die Erde gebebt. Das Epizentrum wird bei der Ortschaft Réclère ausgemacht, dessen weitläufige, unterirdische Grotten zu den Naturschönheiten der Schweiz gehören. 

Zunächst misst der Schweizerische Erdbebendienst an der ETH Zürich für das Erdbeben eine Magnitude von 2,6 auf der Richterskala. Später wird dieser Wert auf 3,1 Magnitude korrigiert. Das Beben wird in 5,3 Kilometern Tiefe geortet und die Erdbewegungen werden selbst noch im 72 Kilometer entfernten Häfelfingen BL registriert. 

Das Beben vom 24. September ist das letzte in einer Reihe von ziemlich heftigen Erdstössen, die der Jura in den vergangenen rund zwei Jahren registriert hat. 

«Wie eine Explosion»

Im Jura haben sich die Beben seit jenen von Weihnachten 2021 und März 2022 zwar etwas abgeschwächt, an sie gewöhnen können sich die Leute aber nicht.

«Der Lärm war wie eine Explosion», erinnert sich Josiane Sudan, Gemeindepräsidentin von Réclère, an ein weiteres starkes Beben, jenes vom März 2022. Zunächst habe sie an ein Gewitter geglaubt. Auch diesen August gab es ein Beben. «Da gab es keinen Lärm. Aber ich war beim Wäschemachen und habe das Gleichgewicht verloren», sagte Sudan dem Onlineportal «Le Matin».

«Bei starken Stössen spürt man einen Ruck im Haus.»

Max Marty, Landwirt

Auch in der wenige Kilometer entfernten Gemeinde Clos du Doubs mit dem Hauptort Sainte-Ursanne spürt man die Beben.

Eine Deutschschweizerin, die in der Region ein Ferienhaus besitzt, hier aber nicht mit Namen erscheinen will, erinnert sich: «An einem Nachmittag im Frühling hüpfte plötzlich der Wäscheständer vor mir herum, im Schrank klimperten die Gläser heftig und im Dach gab es ein Geräusch, als ob ein Tier herumspringen würde. Ein paar Minuten später bestätigte eine Moderatorin im Radio, was mir sofort durch den Kopf gegangen war: Das muss ein Erdbeben gewesen sein.»

Landwirt Max Marty stammt aus dem Zürcher Oberland und besitzt heute einen Hof am Doubs-Ufer. «Bei starken Stössen spürt man einen Ruck im Haus», sagt er. Wenn man aber im entscheidenden Moment auf der Strasse oder auf einer Wiese stehe, bekomme man absolut nichts mit.

Premiere am Weihnachtstag

Das allererste Beben in dieser Serie datiert vom 24. Dezember 2021 und erreichte 4,1 Magnitude auf der Richterskala. Schon im darauffolgenden März kam es zu einem weiteren Beben. Dieses war mit einer 4,3-Magnitude noch stärker. Für Schweizer Verhältnisse ist das bemerkenswert.

Zum Vergleich: Das verheerende Beben im italienischen L'Aquila vom 6. April 2009 hatte eine Stärke von 6,3. 300 Menschen starben. Es gab 1000 Verletzte und beschädigte 17'000 Gebäude. Die gegenwärtigen Beben auf den phlegräischen Feldern bei Neapel erreichen eine Magnitude von bis zu 4 und lösen grösste Besorgnis aus, weil sie einen Vulkanausbruch ankündigen könnten. 

«Zum Glück gab es ausser ein paar Rissen an Mauern und Ähnlichem bislang zwar kaum Schäden. Die Bevölkerung ist nicht weiter beunruhigt», betont Philippe Eggertswyler, Stadtpräsident von Pruntrut, dem Hauptort der Ajoie. «Wir alle wissen aber, dass es 1356 in Basel zu einem verheerenden Erdbeben gekommen ist.» 

Basel earthquake as envisioned by Karl Jauslin

Die historische Darstellung über das Erdbeben in Basel im Jahr 1356 weckt nicht nur bei Baslerinnen und Baslern, sondern auch bei vielen Jurassierinnen und Jurassiern eine Art Urangst. 

Erdbebenexperten gehen aufgrund von sogenannt paläoseismologischen Untersuchungen davon aus, dass es eine Stärke von 6,6 Magnitude auf der Richterskala hatte. Bei dieser Methode werden Spuren in verschiedenen geologischen Ablagerungen identifiziert, datiert und miteinander verglichen.

Heute weiss man: Wegen des Bebens stürzten Gebäude ein, und es kam zu einem Grossbrand, der mehrere Tage dauerte. Die Opferzahl ist bis heute unklar. Während manche Historiker von mehreren Hundert Todesopfern ausgehen, vermuten andere wiederum nur einige wenige Opfer, weil die Stadtbewohner sich wegen Vorbeben in Sicherheit bringen konnten. Als gesichert gilt: Kein Erdbeben war in Zentraleuropa bis heute stärker als jenes in Basel. Seit dem 17. Jahrhundert ist es in der Region seismologisch relativ ruhig. Die wenigen Beben verursachten nur geringe Schäden.

Ein Mitarbeiter Schweizerischen Erdbebendienst, SED, ueberwacht eine Statusuebersicht verschiedener seismischer Stationen auf einem Bildschirm, fotografiert am 14. Januar 2021 in Zuerich. Der Schweizerische Erdbebendienst an der ETH Zuerich ist die Fachstelle des Bundes fuer Erdbeben. Seine Aktivitaeten sind in das eidgenoessische Massnahmenprogramm Erdbebenvorsorge eingebunden. (KEYSTONE/Christian Beutler)

Gemäss Fachleuten können sich ähnlich starke Beben in der Schweiz rein statistisch alle paar Hundert Jahre wiederholen.

Trotz der aktuellen Ereignisse im Jura sieht Geophysiker Philippe Roth vom Schweizerischen Erdbebendienst an der ETH Zürich aber keine Anzeichen für stärkere Beben in der Region. «Wir konnten den Erdbebenherd bei Réclère unter der Erdoberfläche exakt lokalisieren und kennen die geometrische Anordnung der verschiedenen Beben recht genau», sagt Roth.

Die Ursache seien «anhaltende Bewegungen im sogenannten Rheingraben und im Jura-Gebirge». Roth erwartet weitere Erdstösse, geht aber davon aus, dass deren Stärke abnimmt. Trotzdem bestehe eine «geringe Wahrscheinlichkeit, dass die Erde kräftiger bebt», so Roth.

Im Rheingraben bebt es am häufigsten

Der Rheingraben nördlich von Basel gehört im deutschsprachigen Raum zu jenen Gebieten, in denen die Erde am häufigsten bebt. Es handelt sich um eine breite Bruchzone zwischen den Vogesen und dem Schwarzwald, die unter grosser Spannung steht, weil sich die Kontinentalplatten kontinuierlich verschieben. Wird die Spannung zu gross, brechen die Gesteinsschichten im Erdinnern und die Erdoberfläche gerät in Bewegung. 

Roths Erklärung, weshalb das im Jura kaum geschah: Dort seien die Häuser auf «hartem Sediment gebaut».

«Der Jura befindet sich zwischen zwei von Norden nach Süden gerichteten Gräben, dem Rheingraben im Osten und dem Bressegraben im Westen», führt Philippe Roth aus. Genau unter Réclère sei es zu Verschiebungen in Richtung Norden und in der Folge auch zu anderen horizontalen Verschiebungen an vertikalen Verwerfungen und damit zu Erdbeben gekommen.

Auch Philippe Roth findet es erstaunlich, dass ein sogenannt untiefes Beben mit einer Stärke von 4,3 Magnitude fast keine Schäden verursachte. Es gilt der Grundsatz: Jeder näher an der Erdoberfläche, desto grösser die Schäden. Beben dieser Stärke können reihum kleinere Schäden wie Risse in Fassaden verursachen. Roths Erklärung, weshalb das im Jura kaum geschah: Dort seien die Häuser auf «hartem Sediment gebaut».

Selbst in Réclère, wo seit zwei Jahren die Erde bebt, ist das verheerende Erdbeben von Basel bis heute sichtbar. Naturwissenschaftler haben in den Grotten abgebrochene Kalkablagerungen an Stalaktiten und Stalagmiten untersucht und historisch datiert. Das Resultat: Eine Kalkablagerung brach 1356 ab, als die Erde in Basel bebte. Jede Besucherin und jeder Besucher der Grotten wird heute an diese Tragödie erinnert.