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Populist gewinnt Vorwahlen
Er will den Staat zerschlagen – und könnte bald Argentinien regieren

«Wir werden der parasitären politischen Kaste, die das Land untergehen lässt, ein Ende setzen»: Javier Milei liebt den grossen Auftritt. 
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Argentinien wird gerade von einem politischen Erdbeben erfasst, und kaum jemand hat es kommen sehen: Der libertäre Populist Javier Milei hat überraschend die Vorwahlen zur Präsidentschaftswahl gewonnen. Der 52-Jährige holte mit seiner Partei «La Libertad Avanza» knapp über 30 Prozent der Stimmen. Die Bewerber der konservativen Allianz «Vereint für Wandel» kamen auf 28.3 Prozent der Stimmen, die aktuelle peronistische Regierungskoalition auf 27.3 Prozent.

Die Vorwahlen dienen dazu, das Parteienspektrum zu lichten. Nur Parteien und Wahlbündnisse, die mindestens 1,5 Prozent der Stimmen erhalten, dürfen an der Präsidentenwahl am 22. Oktober teilnehmen. Sie geben auch Aufschluss darüber, wie gross die Anhängerschaft der Kandidierenden wirklich ist. 

Seit Sonntag weiss die Bevölkerung, dass die notorisch unzuverlässigen Umfrageinstitute Javier Milei unterschätzt haben. Der Populist könnte das politische System sprengen, in dem die Macht seit der Militärdiktatur (lesen Sie hier, wieso Argentinien die Verbrechen der Diktatur nicht aufgearbeitet hat) entweder bei den linken Peronisten oder den rechten Konservativen lag.  

Slogans wie «Die Kaste hat Angst» oder «Alle sollen abhauen» könnte man sich auch gut bei Donald Trump vorstellen.

Ein Wahlsieg Mileis im Oktober wäre für das Land ein politischer Schock, vergleichbar mit der Wahl Donald Trumps in den USA. Zwischen dem 52-jährigen Populisten und dem 77-jährigen amerikanischen Ex-Präsidenten gibt es offensichtliche Parallelen. Beide sind politische Quereinsteiger, die sich als Gegner des politischen Establishments sehen. Für Milei sind alle Politiker, ob links oder rechts, Teil der verhassten Kaste. Slogans wie «Die Kaste hat Angst» oder «Alle sollen abhauen» könnte man sich auch gut bei Trump vorstellen.

Ein Unterschied zwischen den beiden zeigt sich in ihrem Verhältnis zum Staat. Donald Trump plant, bei einem allfälligen Wahlsieg Beamte einzusetzen, die ihm gegenüber bedingungslos loyal sind. Milei hingegen bezeichnet sich selber als «Anarchokapitalisten». Er ist ein Libertärer, der den Staat massiv zurückfahren will. 

«Freiheit, verdammt noch mal!»

In seinen Augen ist die Verwaltung ein «Rattennest», in dem sich Politiker auf Kosten anderer bereichern. Die Regierung soll sich weder in das tägliche Leben der Menschen noch in die Wirtschaft einmischen. Seine Auftritte beschliesst er gerne mit: «Libertad, carajo!» – Freiheit, verdammt noch mal!

Diverse Ministerien, unter anderem das Bildungs- und das Gesundheitsministerium, würde Milei ersatzlos streichen. Alle Schulen sollen privatisiert, selbst der Handel mit Organen sollte erlaubt werden. Die argentinische Zentralbank will Milei «in die Luft jagen» und die Landeswährung durch den US-Dollar ersetzen. Der Populist ist gegen Abtreibung, will das Waffengesetz lockern und hält den Klimawandel für eine «Farce der Linken». 

Mit seinen zerstrubbelten Haaren und der schwarzen Lederjacke sieht Milei ein bisschen aus wie ein Fussballprofi aus den 70er-Jahren. Das kommt vor allem bei den Jungen gut an, genauso wie seine derbe Sprache und ein Wahlkampf, der sich stark auf soziale Medien fokussiert.

Wütender Aussenseiter: Javier Milei. 

Dass Javier Milei einen derartigen Aufstieg hinlegen konnte, hat viel mit der miserablen wirtschaftlichen Situation zu tun. Die Argentinier sind sich einiges gewohnt, doch aktuell steckt das Land in der grössten Wirtschaftskrise seit zwei Jahrzehnten. 

Die Inflation liegt bei über 115 Prozent, der Peso hat im vergangenen Jahr mehr als die Hälfte seines Wertes gegenüber dem US-Dollar verloren. Gemäss den Behörden leben 40 Prozent der Bevölkerung in Armut. Angesichts der gigantischen Wirtschaftsprobleme verpuffen auch die Warnungen von Wirtschaftsexperten, die Mileis Programm fast unisono zerreissen (lesen Sie hier die grosse Reportage zur Armut in Argentinien).

Mileis Sieg ist eine Klatsche für das politische Establishment. Allen voran für die Peronisten, die mit dem aktuellen Wirtschaftsminister Sergio Massa angetreten waren. Sie zahlen für die miserable Regierungsbilanz von Präsident Alberto Fernández und Vizepräsidentin Cristina Kirchner. Beide hielten sich im Wahlkampf auffällig zurück, wohl um mit einer absehbaren Niederlage nicht in Verbindung gebracht zu werden. 

Enttäuschendes Resultat: Der Peronist Sergio Massa. 

Die Konservativen bezahlen vor allem dafür, dass sie Milei lange Zeit nicht ernstgenommen haben und ihn insgeheim als möglichen Juniorpartner betrachtet haben. Auch lieferten sich die beiden Kandidierenden Patricia Bullrich und Horacio Rodríguez Larreta einen erbitterten internen Streit, der viele abschreckte.

Garantiert ist ein Wahlsieg des selbst ernannten Anarchokapitalisten im Oktober aber keineswegs. Bei den Konservativen hat Patricia Bullrich ihren Platz als Spitzenkandidatin gefestigt. Die frühere konservative Sicherheitsministerin könnte Milei noch einholen. Der Peronist Massa ist zwar angeschlagen, kann aber immer noch darauf hoffen, dass sich die Konservativen und Mileis libertäre Bewegung gegenseitig die Stimmen abluchsen. 

Könnte Javier Milei noch einholen: Patricia Bullrich. 

Doch das politische Momentum liegt jetzt beim Mann, der von sich sagt, er werde den etablierten Parteien «in den Hintern treten». Nach seinem Wahlsieg rief Milei in Buenos Aires: «Wir werden dem Kirchnerismus und der parasitären politischen Kaste, die das Land untergehen lässt, ein Ende setzen.»