Nachruf auf Hans-Christian StröbeleEr nervte Helmut Kohl, Gerhard Schröder und Joschka Fischer
Der Grüne Hans-Christian Ströbele war einer der bekanntesten Politiker Deutschlands – ein Alt-68er, der sich selbst treu blieb und Jahrzehnte deutscher Politik mitprägte.

Jahrzehntelang war Christian Ströbele in der deutschen Politik eine zentrale Figur – ein Linker, mit dem sich auch Konservative aufrichtig streiten konnten; ein Friedensaktivist, der betonte, kein Pazifist zu sein; ein Grüner, der alternative Projekte gründete, aber ein bürgerliches Leben führte. Dass Ströbele nun, im Alter von 83 Jahren, gestorben ist, bewegt auch seine politischen Gegner. Als «zielstrebig und unbeirrbar» würdigte ihn die konservative «Frankfurter Allgemeine Zeitung». Der deutsche Kanzler Olaf Scholz, mit dessen SPD Ströbele immer wieder über Kreuz lag, erinnerte an den «streitbaren Politiker, der die politische Debatte über Jahrzehnte mitgeprägt hat».
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Christian Ströbele war ein unverbesserlicher Alt-68er. Vor Gericht verteidigte er als Rechtsanwalt führende Mitglieder der Rote Armee Fraktion, die Deutschland in den 70er-Jahren mit Bombenanschlägen und Entführungen terrorisierte: Andreas Baader, Gudrun Ensslin, Ulrike Meinhoff waren seine Klientinnen (und beschimpften ihn mitunter als «Bulle»). Ströbele war Mitbegründer der deutschen Grünen, für die er Jahrzehnte im Bundestag sass. Ebenso half er dabei, den alten Traum von einer linken Zeitung zu verwirklichen: Der 1978 gegründeten Berliner «tageszeitung» (taz) blieb er bis zu seinem Tod eng verbunden.
Der «Fundi» und der «Realo»
Bei den Grünen gehörte Ströbele zu den unbeugsamen Linken, den «Fundamentalisten» oder «Fundis». Einer seiner schärfsten parteiinternen Gegenspieler war Joschka Fischer, Ober-«Realo» (also Realpolitiker) und nach 1998 Aussenminister in der ersten Bundesregierung, an der die Grünen sich beteiligten – unter Leitung von SPD-Bundeskanzler Gerhard Schröder. «Ströbele, Meister der grünen Selbstzerstörung», meinte Fischer einmal. Worauf Ströbele auf einem Wahlplakat in Berlin-Kreuzberg, wo er jahrzehntelang verlässlich als Abgeordneter wiedergewählt wurde, erwiderte: «Ströbele wählen, Fischer quälen.»
Schon in den Anfangsjahren der taz kam es immer wieder zu Streit mit Ströbele. Die alternative Zeitung wollte alles anders machen: Es wurde schon damals konsequent gegendert, es sollte keine Arbeitsteilung geben, alle sollten putzen, die Journalistinnen sollten auch die Zeitung setzen, die Setzer Artikel schreiben. Das Ergebnis war, wie Ströbele 1980 schrieb: «Staub und Dreck in allen Ecken» und «Stress schlimmer als in anderen Betrieben». Was fehlte, waren bürgerliche Tugenden: Arbeitsteilung, Pünktlichkeit, Sauberkeit.
Helmut Kohl im Kreuzverhör
Ströbele betrieb seine Kanzlei seit 1984 ganz standesgemäss direkt am Ufer der Spree in Berlin-Tiergarten in einem herrschaftlichen Haus, in dem er auch wohnte. Er war zwar immer mit Velo und rotem Schal unterwegs, besass aber durchaus auch ein gutes Auto. Dem Sog der Karriere unterlag er nie: Er blieb einfacher Abgeordneter, der sich bei der parlamentarischen Kontrolle demokratischer Institutionen verdient machte. In Untersuchungskommissionen nahm er Regierungsmitglieder ins Kreuzverhör, etwa Helmut Kohl. Im Parlament schimpfte er gelegentlich auf seine eigene Partei, so auch als diese sich 1999 für eine Beteiligung Deutschlands am Krieg in Kosovo aussprach.
«Ich bin kein Pazifist», betonte Ströbele. Selbstverteidigung sei vertretbar, ebenso der bewaffnete Freiheitskampf unterdrückter Völker im globalen Süden. Aber Waffenlieferungen lehnte er ab. In den letzten Monaten, nach Russlands Invasion der Ukraine, rang er sich dann doch dazu durch, die Lieferung von Verteidigungswaffen an das angegriffene Land zu befürworten. Die grüne Aussenministerin Annalena Baerbock ist ohnehin dafür – der Generationenwechsel ist längst vollzogen.
Ströbele und das «Wunder von Bern»
Mit der Schweiz hatte Ströbele jahrelang indirekt zu tun: Das «Wunder von Bern», Deutschlands Sieg über Ungarn im Endspiel der Fussball-Weltmeisterschaft 1954, wurde am Radio von seinem Onkel kommentiert: «Aus. Aus. Aus. Deutschland ist Weltmeister!» Das wird immer wieder zitiert. Ströbele und seine Geschwister halten die Rechte daran, kassieren regelmässig Tantiemen. Seinen Anteil spendete er.
Schon 2017, als Ströbele sich aus der Politik zurückzog, ging er am Stock, jeder Schritt ein Schmerz. In den letzten Jahren war er oft auf Spaziergängen an der Spree anzutreffen, schwer gehend, gestützt auf einen Rollator, immer begleitet von einer Betreuungsperson. Seine Markenzeichen, der schneeweisse Haarschopf, die buschigen Augenbrauen, waren nach wie vor von weitem zu erkennen. Viele grüssten ihn. Im Gespräch blieb er klar, zugewandt, informiert.
«Der Körper wurde ihm zur Qual», schrieb sein Rechtsanwalt Johannes Eisenberg am Mittwoch. «Er hat selbst entschieden, dass er den langen Leidensweg, den ihm seine Erkrankung zugemutet hat, nicht mehr fortsetzen wollte und lebenserhaltende Massnahmen reduziert.»
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