Aarauer im VerletzungspechEr gibt auch nach dem vierten Kreuzbandriss nicht auf
Miguel Peralta vom FC Aarau ist erst 24, aber er hat bereits eine dicke Krankenakte. Nun steht er am Scheideweg seiner Karriere.
Kniespezialist Sandro Kohl nennt es lapidar: ein «ploppendes» Geräusch. Was vielleicht harmlos klingt, ist tatsächlich das Grauen in den Ohren eines jeden Sportlers. Miguel Peralta hat dieses unselige «Plop-Geräusch» schon viermal vernommen. Das erste Mal 2014, wenige Tage nach der Unterschrift unter seinen Profivertrag, als das rechte Kreuzband reisst. Gegen GC Ende Juli gesellte sich nun ein weiterer Kreuzbandriss dazu.
Peralta humpelt über das Strassenpflaster der Aarauer Altstadt in ein Café. «Es geht schon – es muss», sagt der 24-Jährige, noch von den Ferien auf Kreta sonnengebräunt, um den Hals trägt er einen Rosenkranz. Das mediterrane Klima hat Peralta sichtbar gutgetan: «Ja, ich will wieder auf den Platz», sagt der Rechtsverteidiger des FC Aarau.
Das Risiko, dass er erneut einen Kreuzbandriss erleidet, liegt bei fast 100 Prozent.
Peralta schöpft nicht zuletzt deshalb Zuversicht aus der jüngsten Verletzung, weil es gegen GC erstmals das linke Knie erwischt hat. «Wenn es das rechte gewesen wäre, hätte ich mir überlegt, mit dem Fussball aufzuhören. Aber was nützt es mir, vom Schlimmsten auszugehen?», fragt er. Beim ersten Kreuzbandriss sei er «komplett zerstört» gewesen, seit zwei Jahren steht deshalb ein Mentaltrainer an seiner Seite.
Doch wie kommt es überhaupt dazu, dass sich ein Profifussballer im jungen Alter gleich vier Kreuzbandrisse zuzieht? Natürlich drängt sich auch die Frage auf: Wie stehen Peraltas Chancen, auf den Platz zurückzukehren angesichts dieser ungewöhnlichen Krankenakte? Und hat möglicherweise die Genetik einen Einfluss auf sein Verletzungspech?
Sandro Kohl sitzt im weissen Kittel in der Hirslanden-Klinik in Zürich. Seit über fünfzehn Jahren arbeitet er als orthopädischer Chirurg und sagt: «Nein, die Genetik spielt keine Rolle.» Auch lasse sich eine Kreuzbandruptur nicht mit der Anatomie des Knies erklären. Vielmehr stelle der Fussball an sich durch Stop-and-go-Bewegungen und häufige Richtungswechsel einen Risikofaktor dar.
«Grundsätzlich darf jeder Fussballer einmal sein Kreuzband reissen», lautet die Faustregel des Chirurgen. Doch bei jedem weiteren Kreuzbandriss werden die Eingriffe aufwendiger: «Es kann sich auch um eine vom Arzt erzeugte Reruptur handeln. Indem man die Kanäle falsch setzt, kommt es zu Spitzenbelastungen im Band, das lockert aus, oder es reisst durch.» Für eine höhere Aussagekraft bedürfe es jedoch einer Untersuchung mittels Kernspintomografie (MRT), betont Kohl.
Doch auch bei der besten medizinischen Voraussetzung – was hiesse, dass die Nachbildung des Kreuzbandes «optimal gelingt» – würde «nach dem ersten Kreuzbandriss die Wahrscheinlichkeit einer Reruptur auf 30 Prozent steigen». Unter Berücksichtigung von Peraltas Verletzungshistorie fällt die Prognose für ihn eher düster aus: «Das Risiko, dass er erneut einen Kreuzbandriss erleidet, liegt bei fast 100 Prozent.» Theoretisch sei es aber durchaus möglich, dass Peralta verletzungsfrei weiterspielen könne, zumal sich nicht mit Bestimmtheit vorhersagen lässt, wann das Kreuzband wieder reisst.
Die Karriere beginnt mit einem Kindheitstraum
Peraltas Karriere in Buchform wäre vielleicht eine Tragödie. Mit 24 Jahren besitzt er eine Krankenakte, die selbst einen erfahrenen Chirurgen in Staunen versetzt. «Das ist schon aussergewöhnlich», sagt Kohl. Dabei geht dieser Karriere ein Kindheitstraum voran, der sich bereits mit 18 Jahren erfüllt. Der Aarauer Junior vermag die Clubbosse mit seiner Schnelligkeit von sich zu überzeugen, im Mai 2014 unterschreibt Peralta den ersten Profivertrag. «Damals», erinnert er sich, «ist ein Kindheitstraum in Erfüllung gegangen.» Als Kind habe es nur den Fussball gegeben, den «Tschuttiplatz», wie er sagt, einen Katzensprung vom Elternhaus entfernt.
Doch die anfängliche Euphorie schlägt nach wenigen Tagen in jähe Verzweiflung um. Peralta erleidet im Training mit dem Fanionteam einen Kreuzbandriss im vorderen rechten Knie. Im Winter 2015 fährt er ins Trainingslager – dort reisst dann der Meniskus. Es folgen Zwangspausen, während mehrerer Monate pendelt Peralta im Aufbautraining zwischen der Rehaklinik in Rheinfelden und dem Aarauer Brügglifeld. Als er 2018 seinen Stammplatz zurückerobert, zwickt abermals das rechte Knie im Spiel gegen Chiasso. Die Partie gegen GC markiert die sechste schwere Knieverletzung in seiner Profikarriere.
Der FCA stärkt Peralta den Rücken
Während Peralta von seinen Verletzungen spricht, sitzt er lässig im Stuhl und nippt an einer Tasse Kaffee, von seiner eigenen Erzählung scheinbar unbeeindruckt. «Durch die Schicksalsschläge», sagt Peralta, habe er gelernt, «dass es auch wichtigere Dinge im Leben gibt als den Fussball». An jeder Verletzung sei er mental gewachsen. Und falls es mit dem Fussball letztlich nicht klappen sollte, bietet sich ihm mit dem Diplom als Kaufmann in der Tasche eine Alternative an: «Diese Tür lasse ich mir natürlich offen.»
An einen neuen Beruf muss Peralta vorerst nicht denken. Der Sportchef des FC Aarau, Sandro Burki, sagt nämlich: «Für mich ist klar, dass ich Miguel unterstützen werde. Er hat grosse Fähigkeiten als Fussballer und einen starken Charakter. Miguel ist einer von uns.» Noch 2017 führte Burki die Aarauer als Captain an. Diese Rolle hat anscheinend auf seinen neuen Job abgefärbt. «Burki ist ein Vorbild und eine wichtige Bezugsperson», sagt Peralta. Seinen Stammverein, der sich «Zäme för Aarau» zum Leitspruch gemacht hat, nennt er nicht umsonst «meine zweite Familie». Seine erste ist im solothurnischen Niedergösgen daheim, und auch die gibt ihm zurzeit «sehr viel Kraft».
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