Niederlande-Chef KoemanEr wird scharf kritisiert, obwohl er erfolgreich ist
In der Heimat ist man nicht zufrieden. Doch Ronald Koeman fehlen nur noch zwei Siege um nach dem EM-Titel als Spieler auch als Trainer zu triumphieren.
Wann immer England und die Niederlande in den vergangenen Jahren etwas Wichtiges auszutragen hatten auf dem Fussballfeld – Ronald Koeman war fast jedes Mal dabei.
EM 1988 in Deutschland, Gruppenspiel: Oranje siegt mit 3:1, hat aber Glück, dass Englands Torjäger Gary Lineker nach einem schweren Patzer des heutigen niederländischen Trainers nur an den Pfosten des leeren Tores schiesst.
WM-Qualifikation 1993: Wieder siegen die Niederlande (2:0), diesmal trifft Koeman sogar und die Engländer verpassen deshalb die Weltmeisterschaft in den USA.
Nations League 2019: Koeman ist jetzt Nationalcoach seines Landes, schlägt England im Halbfinale nach Verlängerung (3:1) und nimmt danach die Glückwünsche seines Kollegen Gareth Southgate entgegen.
An diesem Mittwoch sehen sich beide bei der Europameisterschaft in Deutschland wieder. Erneut ist es ein Halbfinale. Und um mehr ging es zwischen den Niederlanden und England wahrscheinlich noch nie.
Viel Kritik in England und den Niederlanden
Bemerkenswert daran ist, dass viele Niederländer und Engländer ihren jeweiligen Trainer bei diesem Turnier schon mehrmals in Gedanken gefeuert haben. Als dem Oranje-Stürmer Cody Gakpo am Montag bei einer Pressekonferenz in Wolfsburg erzählt wurde, dass das englische Team in der Heimat noch stärker kritisiert werde als das niederländische, entgegnete der Profi des FC Liverpool nur: «Ach, ist das überhaupt möglich?»
Koeman jedenfalls kann nun in den letzten beiden EM-Spielen etwas schaffen, was bislang in der Geschichte des Fussballs nur dem Deutschen Berti Vogts gelungen ist: Als Spieler (1972) und als Trainer Europameister (1996) zu werden. Diese Chance sollte dem Niederländer in der Heimat Kredit und Respekt verschaffen, doch bei Koeman ist das anders.
Einer der einzigen Europameister-Mannschaft
Der 61-Jährige gehört neben Ruud Gullit oder Marco van Basten zu den Europameistern von 1988. Das ist der einzige Titel, den die Niederlande bis heute gewannen. Aber trotzdem wird Koeman als Bondscoach immer noch ständig gefragt: Was hätte der grosse Johan Cruyff zu diesem oder jenem Spiel gesagt?
Beim FC Barcelona war das in den Jahren 2020 und 2021 noch schlimmer. Koeman schoss im Champions-League-Finale 1992 das vielleicht wichtigste Tor in der Geschichte dieses Clubs. Und als er später als Trainer zurückkehrte, wurde Lionel Messi verkauft und ein Schuldenstand von mehr als einer Milliarde Euro bekannt. Koeman beschrieb diese Zustände unverblümt, aber das öffentliche Echo war: Er sei ein Defätist, kein Realist. Nach nur 15 Monaten musste er wieder gehen.
Als Trainer und Typ ist Koeman nur schwer zu greifen. Sein ganzes Wirken ist ambivalent. Er kritisiert seine Spieler öffentlich teils sehr hart. Aber gerade erfahrene Profis wie Virgil van Dijk oder Memphis Depay schätzen an ihm, dass er dem Team mehr Freiheiten und Eigenverantwortung gewährt als sein Vorgänger Louis van Gaal.
Ein Pragmatiker, der schön spielen sollte
Er vertraut den Bundesliga-Profis Wout Weghorst (Hoffenheim) und Xavi Simons (RB Leipzig) eigentlich nur wenig. Aber als es im Viertelfinal gegen die Türkei (2:1) und im letzten Gruppenspiel gegen Österreich (2:3) nicht lief, brachte er sie sofort. «Der Teambuilder», nannte ihn die Zeitung «AD» am Montag anerkennend.
Koeman ist ein Pragmatiker. Und ausgerechnet er trainierte in den vergangenen Jahren zwei Teams, bei denen Gewinnen allein nicht reicht. Vom FC Barcelona und der niederländischen «Elftal» wird auch immer das schöne und dominante Spiel erwartet. Aber während das im Alltag mit genau diesem Trainer zwangsläufig zu Konflikten führt, ist sein Ansatz bei genau diesem Turnier vielleicht der richtige.
Auf widrige Umstände jedenfalls hat Koeman bislang erfolgreich reagiert: auf grosse Verletzungsprobleme wie eine durchwachsene Vorrunde. «Wir können stolz sein, dass wir das Halbfinale erreicht haben», sagte Koeman. «Das hat niemand erwartet. Aber die Mission ist noch nicht vorbei.»
DPA
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