Embryos Kindern gleichgestelltDieser US-Richter wünscht sich einen Gottesstaat
Tom Parker, der Oberste Richter von Alabama, betrachtet die Vernichtung von befruchteten Eizellen potenziell als Tötung – und alle laufen Sturm.
Eine befruchtete Eizelle gilt als Person, und ihre Vernichtung kann als «wrongful death», widerrechtliche Tötung, juristisch verfolgt werden: Das hat das Höchste Gericht des US-Bundesstaats Alabama vor rund zwölf Tagen entschieden. Drei Paare, die durch In-vitro-Fertilisation (IVF) Eltern geworden waren, hatten wegen widerrechtlicher Tötung geklagt, nachdem die übrig gebliebenen, in der Klinik gelagerten Eizellen von einem Patienten zerstört worden waren. Eingefrorene Embryonen seien «Kinder ausserhalb der Gebärmutter», sagte das Gericht.
Der Oberste Richter Tom Parker zitierte dazu in seiner ganz persönlichen Zusatzbegründung aus dem biblischen Buch Jeremia sowie der Genesis. Und er formulierte: «Die Alabamer verlangen von uns, dass wir jedes menschliche Wesen so behandeln, wie es sich geziemt angesicht der Ehrfurcht vor einem heiligen Gott, der alle nach seinem Ebenbild geschaffen hat.»
Möglicherweise gefährdet das Urteil die Familiengründung für Tausende von prospektiven Eltern: Bis zu 2 Prozent der Geburten in den USA sollen laut offizieller Statistik auf IVF-Behandlungen zurückgehen, knapp 100’000 allein im Jahr 2021. Bereits haben mehrere Kinderwunsch-Kliniken in Alabama wegen des Urteils vorderhand sämtliche IVF-Behandlungen abgesagt und untersuchen, was der Entscheid für sie bedeutet. Müssen sie jede ungenutzte, eingefrorene, befruchtete Eizelle für immer aufbewahren? Ist das Einfrieren überhaupt noch legal?
Die republikanische Partei, die Kinderreichtum propagiert und Pro-Life-Anhänger als Wählerschaft anspricht, spürt jetzt die Folgen ihres weithin vertretenen Credos «Das Leben beginnt bei der Zeugung» und müht sich um Schadensbegrenzung. So haben die republikanischen Abgeordneten in Florida nach dem allgemeinen Aufruhr ihre Abstimmung über ein «fetal personhood»-Gesetz verschoben, und Präsidentschaftskandidat Donald Trump hat sich beeilt, sich dezidiert für IVF auszusprechen.
Immunität für IVF-Kliniken?
In Alabama selbst strickten am Mittwoch sowohl Senat wie auch Repräsentantenhaus mit heisser Nadel Gesetzesvorschläge, um den Richterspruch zu umgehen – ohne dabei die grundsätzliche Frage nach der sogenannten «fötalen Menschhaftigkeit» (fetal personhood) anzusprechen oder gar zu hinterfragen. Die Rede ist von einer temporären, spezifischen Immunität für IVF-Kliniken, die nicht strafverfolgt werden dürften.
Kein Wunder, dass Demokraten wie der Abgeordnete Chris England darüber spotten – während sich andererseits manche fundamentalen Christen über die Vorschläge aufregen. Zu ihnen dürfte auch der Oberste Richter Tom Parker selbst zählen.
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Es ist nicht das erste Mal, dass Parker mit radikalen und religiösen Auffassungen auffällt. Der 72-Jährige, Spross einer Mittelschichtsfamilie aus Alabama, seit 2019 Chef des Höchsten Gerichts von Alabama, nahm etwa an einem Fest zur Erinnerung an den Ku-Klux-Klan-Gründer teil. Urteilssprüche des US-Supreme-Court hält er nicht unbedingt für bindend, und er hat diverse juristische Schriften gegen Abtreibung und die gleichgeschlechtliche Ehe verfasst. Den einstigen, in der Trump-Zeit gekippten nationalen Abtreibungsschutz hatte er als «verfassungsmässige Verirrung» gegeisselt. In seinen Gerichtsurteilen beruft er sich regelmässig auf die Bibel. Er wünscht sich explizit einen Gottesstaat.
Gegen Trennung von Staat und Kirche
«Gott schuf die Regierung; dass wir sie in andere Hände übergehen liessen, bricht mir das Herz», bekannte Parker Mitte Februar in einem fundamental-christlichen TV-Sender. Dort sprach er sich auch für das «Seven Mountains Mandate» aus, eine Bewegung aus dem erstarkenden christlichen Nationalismus in den USA. Man bezeichnet sie als «dominionist», weil sie einen Herrschaftsanspruch vertritt. Gemäss dieser religiös begründeten politischen Ideologie soll die Gesellschaft komplett vom Christentum bestimmt werden: Bei den «Seven Mountains» handelt es sich um die sieben Bereiche Familie, Religion, Erziehung, Medien, Künste/Entertainment, Handel und Regierung. Die offizielle Trennung von Staat und Kirche wird als Missverständnis und Fehlentwicklung betrachtet.
Auch im US-Repräsentantenhaus gibts Vertreterinnen und Vertreter dieser Ideologie, in der Tendenz gehört sogar Sprecher Mike Johnson dazu. 125 Abgeordnete haben 2023 den nationalen Gesetzesvorschlag «Das Leben beginnt bei der Zeugung» unterzeichnet («Life at Conception Act»). Der «Dominionism» ist mittlerweile an den Schaltstellen der Macht angekommen, sowohl in der Legislative als auch Judikative. Tom Parker hat mögliche drastische Konsequenzen einer radikalen Pro-Life-Auffassung und vor allem eines fundamentalistischen Christentums mit Herrschaftsanspruch ins Rampenlicht gerückt: vielleicht ein heilsamer Schock.
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