EM-Qualifikation gegen IsraelIn einem kleinen Prunkbau kann sich das Nationalteam die EM sichern
Die Schweiz braucht einen Sieg, dann ist alles klar. Gegner Israel spielt derweil für grosse Gefühle – und den Fussballschuh eines achtjährigen Jungen.
Schweiz: Nur den Sieg im Kopf
Murat Yakin gibt eine kleine Vermisstmeldung auf. «Wo ist Manu?», fragt der Nationalcoach. Dann ist Manuel Akanji doch noch da, um am Tag vor dem Spiel mit den Journalisten zu reden.
Die Schweizer sind in Felcsut gelandet, einem Dorf im ungarischen Nirgendwo. Israel hat hier Asyl gefunden, um in Kriegszeiten seine verbliebenen Heimspiele in der EM-Qualifikation austragen zu können. Die Ausgangslage ist einfach: Gewinnt die Schweiz am Mittwochabend gegen Israel, hat sie ihren Platz an der EM 2024 in Deutschland auf sicher.
Die grosse Erfolgsmeldung wäre das nicht gleich, sondern lediglich eine Pflichterfüllung in einer mässig besetzten Gruppe. Nichts anderes haben Trainer und Mannschaft von sich selbst erwartet. Was spricht für einen Schweizer Sieg, Murat Yakin? «Die Qualität, die Erfahrung, das Vertrauen», antwortet er. Und schiebt schelmisch nach: «Und die wenigen Zuschauer, die da sind.» 35 Schweizer Fans haben sich für diesen Match ein Ticket besorgt.
Wie schon am letzten Freitag, als er das Kader bekannt gab, wird Yakin nicht müde, die Auftritte seiner Mannschaft in ein gutes Licht zu rücken. Sie spiele attraktiv, kreativ, offensiv, sagt er und blendet die müden Auftritte in Kosovo oder gegen Weissrussland aus. «Wir wollen den Sack morgen zumachen», sagt er in bestem Sportlerdeutsch.
Kann man die Emotionen ausschalten, Manuel Akanji? Die Frage zielt auf das, was der Gegner durchlebt. «Das geht schon», sagt er, «ich bin abgekapselt und konzentriere mich auf das, was ich gut kann. Wenn ich mich von Emotionen leiten lasse, kann ich meine Leistung nicht bringen.»
Israel I: Der Schuh von Nave
Als Eli Dasa zur Pressekonferenz der Israelis kommt, hat er einen Fussballschuh in der Hand. Es ist ein linker Schuh und für Dasa, den Captain mit äthiopischen Wurzeln, und die ganze Delegation der Israelis von einer Bedeutung, die vielleicht nur verstehen kann, wer in ihrer Situation ist. Der Schuh gehört Nave Soham und ist das Einzige, was vom achtjährigen Buben nach dem Überfall der Hamas auf den Kibbuz Reim noch zurückgeblieben ist.
Nave ist in den Gazastreifen entführt worden, zusammen mit sieben Mitgliedern seiner Familie. Drei weitere sind ermordet worden. «Wir warten auf ihn hier», sagt Eli Dasa. Zu Beginn des folgenden Trainings tragen alle Spieler in Gedenken an Nave nur einen Schuh.
Neben Dasa sitzt Alon Hasan, der 52-Jährige ist seit dem 8. Mai vergangenen Jahres Coach der Nationalmannschaft, nachdem er schon vierzehn Jahre in diversen Funktionen für den Verband gearbeitet hat. Hasan fällt das Reden nicht in jedem Moment leicht. Einmal stockt ihm die Stimme, als er sagt, es gäbe Momente, die man nicht beschreiben könne. «Was jetzt passiert, bleibt immer in unseren Köpfen. Unsere Herzen brennen.»
Die Juden haben eine sehr lange Geschichte in Ungarn. Darum fühlen sich Hasan und seine Spieler gut aufgehoben in diesem Land, das ihnen für die beiden Qualifikationsspiele gegen die Schweiz und am Samstag gegen Rumänien Asyl gewährt. Dass Felcsut ein spezieller Ort ist, kümmert sie nicht weiter. «Wir fühlen uns hier daheim, wenn nur schon ein Jude im Stadion ist», sagt Hasan.
Israel II: Auch noch ein wenig Fussball
Seit fünfeinhalb Wochen wird in Israel kein Fussball mehr gespielt. Der Fussball ist kein Thema, es gibt nur den Krieg in den Nachrichtensendungen. Am Sonntag gab es eine kurze Abwechslung, weil Israel in Kosovo zu einem Qualifikationsspiel auflief. Das Land schaute zu. Und die Spieler gingen mit der Motivation auf den Acker von Pristina, den Menschen daheim Freude zu bringen. «Darum freuen wir uns auf morgen», sagt Trainer Hasan an diesem Dienstag.
Das Programm, das sie mit vier Spielen innert neun Tagen zu absolvieren haben, ist happig. Dasa will sich darüber nicht beklagen. Sie seien ausgebildet, um das zu bewältigen, sagt er, ein Gastarbeiter bei Dinamo Moskau. Ganz so einfach fällt ihnen das dann doch nicht. Die einen haben seit Anfang Oktober kein Spiel mehr bestritten, und beim 0:1 am Sonntag in Kosovo konnten sie nicht kaschieren, dass ihnen nach einer Stunde die Kräfte ausgingen.
Einmal waren die Israelis an einer Endrunde vertreten, 1970 an der WM in Mexiko. Wenn sie sich jetzt für die EM im kommenden Sommer qualifizieren könnten, wäre das unter diesen Umständen ein unglaublicher Erfolg. Aber wie sehr es in diesen Tagen um eine höhere Sache als um den Fussball geht, macht Alon Hasan deutlich. Wenn sie die Qualifikation durch ein Tor in der letzten Minute verpassen, gleichzeitig aber erfahren würden, dass alle Geiseln befreit seien, sagt er, «ja, dann wäre alles gut».
Felcsut: Das kleine Reich von Orban
Von Budapest führt der Weg 50 Kilometer raus aufs Land. Links und rechts der Strasse gibt es nichts zu sehen. Das Ziel ist Felcsut, das ist kein Ort, der viel zu bieten hat. Genau das macht es hier auch leichter, für die Sicherheit der Delegation Israels zu sorgen. Links beim Dorfeingang erhebt sich das Pancho Hotel, vier Sterne, ein paar Dreiecke als Schmuck fürs Dach. Meistens ist es belegt von den Spielern des örtlichen Fussballclubs, der Pancho Akademia.
Das ist kein Name wie Ujpest, Honved oder Ferencvaros, der aktuelle Serienmeister. Pancho Akademia ist erst 2005 gegründet worden, aber dank der Zuneigung von Ministerpräsident Viktor Orban zum Spitzenclub gewachsen. Im Moment liegt er wieder auf Platz 3, nur zwei Punkte hinter Ferencvaros.
Pancho, ob Hotel oder Club, steht für Ferenc Puskas, den ungarischen Weltstar der 1950er- und 60er-Jahre. Pancho war sein Übername, als er acht Jahre bei Real Madrid zauberte. Dass es Felcsut zu gewisser Prominenz gebracht hat, liegt an Orban. Der autokratisch angehauchte Politiker hat in diesem Dorf mit knapp 2000 Einwohnern einen Teil seiner kargen Jugend verbracht. Er hat es sich zum Ziel gemacht, gleich das ganze Land mit Fussballplätzen zu überziehen.
Die NZZ schrieb im Frühjahr, dass zwanzig Prozent des Wertes der öffentlichen Aufträge für die Stadionbauten an zwölf regierungsnahe Personen flossen, an Vater, Brüder oder Freunde von Orban. Firmen, die den Mannschaftssport unterstützen, allen voran den Fussball, erhalten grosszügigen Steuererlass.
Die Pancho-Arena ist garniert mit neun Trainingsfeldern. Gleich daneben steht ein kleines weisses Haus. Es gehört Orban, der sich offenbar gerne hier aufhält. Das Stadion bietet nur 4000 Plätze, aber es ist ein kleiner Prunkbau. Holzträger wachsen aus weissen Betonsäulen und stehen für die Verschwendungssucht Orbans.
Lörinc Meszaros ist Orbans Statthalter in Felcsut. Meszaros ist ein ehemaliger Gasinstallateur, der es zum Vorstandsvorsitzenden von Pancho Akademia gebracht hat. Und vor allem zum Geschäftsmann mit einem geschätzten Vermögen von 1,25 Milliarden Euro. «Meszaros ist der Geldbeutel von Orban», sagt Peter Marki-Zay, der Orban letztes Jahr bei den Präsidentschaftswahlen unterlag, «sein Vermögen ist auch Orbans Vermögen».
Die Schweizer werden davon nicht viel wissen. Wie hat Manuel Akanji gesagt: «Wir sind hier, um Fussball zu spielen.»
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